Interview mit dem Regisseur Hannu Salonen zum Tatort: Sternenkinder

Das Erste: Sie haben einen Kinofilm gedreht, Dramen und Komödien. In letzter Zeit sind Sie mit hochgelobten Filmen der Reihen "Tatort" und "Polizeiruf 110" aufgefallen. Was ist der besondere Reiz an der Inszenierung von Krimis?
Hannu Salonen: Es reizt mich, einen filmischen Kosmos zu entwickeln, der mit suggestiver Kraft und Spannung aufgeladen ist. Zudem kann man einen Thriller sehr gut vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Themen erzählen. Diese müssen allerdings der Geschichte organisch entspringen, denn wenn sie künstlich aufgepfropft werden, spürt das der Zuschauer und schaltet ab. Darüber hinaus bieten Thriller zumeist hoch emotionale Stoffe, wie es auch hier der Fall ist.

Haben Sie in diesem Genre filmische Vorbilder? Welche Thriller schätzen Sie besonders?
Ich könnte zahllose Filme nennen. Michael Mann ist z.B. ein Regisseur, den ich sehr verehre, weil er sehr atmosphärisch erzählt und seine visuelle Bildsprache sehr stark ist. Er hat eine großartige Kontinuität in seinem Stil.

In dem "Tatort: Sternenkinder" gibt es neben dem sehr emotionalen Fall um einen Babyraub eine starke Nebenhandlung um Alim Zainalow, der verdächtigt wird, ein muslimischer Terrorist zu sein. War es schwierig, diese beiden Themen filmisch "unter einen Hut" zu bekommen?
Ich hatte durchaus Respekt vor der zu erzählenden Masse, schließlich musste auch der Handlungsstrang um Borowskis Tochter nahtlos eingepasst werden. Mich hat die Genre-Mischung aus Thriller und Drama aber sehr gereizt und ich finde, das Konzept ist aufgegangen.

Haben Sie sich für diesen Film mit den Themen Babyraub und pränatale Diagnostik noch eingehend beschäftigt, um eine größtmögliche Realitätsnähe herzustellen?
Der Autor Orkun Ertener hat für das Drehbuch extrem gut recherchiert. Ich persönlich hatte einen Bezug zu dem Thema, weil meine Frau hochschwanger war, als wir den Film drehten. Grundsätzlich habe ich sehr darauf geachtet, dass alles realitätsnah ist. Bestätigt wurden wir durch einen Fall, der während der Dreharbeiten für Schlagzeilen sorgte: in Amerika wurde erneut ein Kind aus dem Leib der Mutter geraubt. Gleichzeitig erfuhren wir, dass in der Schweiz embryonales Gewebe verwendet wird, um bei Kindern Brandwunden zu heilen, was in Deutschland gar nicht erlaubt ist. Das zeigt, wie aktuell die Themen unseres Filmes sind.

Haben Sie mit echten Babys gedreht?
Ja. Ich habe großen Wert darauf gelegt, das wir kein zwei- oder dreimonatiges Baby nehmen, sondern tatsächlich ein Kind, dass gerade geboren wurde. Alles andere wäre unglaubwürdig gewesen. Wir hatten fünf Babys parat, aber wir haben nur mit einem Baby, das zwölf Tage alt war, gedreht. Bei den Szenen mit dem Baby herrschte eine ganz besondere Stimmung am Set. Alle waren still und ehrfürchtig, denn alle wussten, wenn das Baby nicht mitspielt, können wir nicht drehen. Glücklicherweise hat es sehr gut geklappt.

Kommissar Klaus Borowski fällt durch seine Eigenwilligkeit etwas aus der Reihe der "Tatort"-Kommissare. Wie sehen Sie diese Figur?
Klaus Borowski hat Ecken und Kanten, gilt allgemein als grantige Figur. Wie er mit seinem Kollegen Alim Zainalow umgeht, als dieser unter Terrorverdacht steht, ist geradezu unsympathisch. Dennoch ist er diesmal etwas weicher, als es bisher der Fall war und nicht mehr so verschlossen. Insofern erlebe ich in "Sternenkinder" zwar einen kantigen Mann, der aber einen weichen Kern hat. Letztlich scheitern die Polizisten aber an diesem Fall, vor allem Borowski scheitert ständig, in privater Hinsicht ja auch.

Im Prinzip sind am Ende des Films alle Figuren auf ihre Art und Weise schuldig geworden.
Das ist in der Tat so. Das reine Böse gibt es nicht in diesem Film, sondern nur spannende Grauzonen zwischen Schwarz und Weiss.

Auch bei Alim Zainalow weiß man lange Zeit nicht, ob an dem Verdacht etwas dran ist ...
Das war auch meine Absicht. Ich wollte es offen halten, so dass man denken könnte, dass er etwas damit zu tun hat. Die Szenen mit Mehdi Moinzadeh alias Alim Zainalow wollte ich möglichst authentisch erzählen. Mir war Emotionalität dieser Szenen besonders wichtig, damit man kapiert, in was für einer Lage Alim sich befindet. Und natürlich wollte ich ihm einen schönen Abgang bescheren.

Wie war die Zusammenarbeit mit Axel Milberg, Maren Eggert und Thomas Kügel?
Die Zusammenarbeit mit Axel Milberg war wunderbar, einfach und wahnsinnig konstruktiv. Axel Milberg ist ein hochprofessioneller Schauspieler und, wie ich finde, gänzlich ohne Allüren. Er steht nicht über den Dingen, sondern zeigt Leidenschaft für das Projekt.
Mit Maren Eggert würde ich jederzeit mehr drehen, sie ist eine großartige Schauspielerin. Gleiches gilt für Thomas Kügel, der Borowskis Chef Roland Schladitz spielt, und auch in meinem nächsten Film "Über die Ostsee in die Freiheit" (AT) in einer Hauptrolle zu sehen sein wird. Die drei sind ein super Team! Ich hätte große Lust, einen weiteren Film mit diesem Team zu inszenieren.

Worauf haben Sie bei der Besetzung der Episodenhauptrollen Wert gelegt?
Mir war wichtig, dass sich die beiden Paare äußerlich unterscheiden, damit man sie leicht auseinander halten kann. Bei der Rolle Wolfgang Marquardt habe ich nach einer Körperlichkeit gesucht. Ich hatte das Bild des öligen Mannes im Schiffs-Motorraum vor Augen, den Hans-Jochen Wagner, mit dem ich schon früher gedreht hatte, sehr gut verkörpert. Liana Marquardt ist dagegen eine Frau, die labil ist, leicht schwebend; Claudia Geisler war die perfekte Besetzung dafür. Die Rolle Olaf Brückner war nicht leicht zu besetzten, weil er das Kind am Ende ablehnt. Die Komplexität seiner Tragödie glaubhaft darzustellen, war eine große Herausforderung. Oliver Stritzel – auch mit ihm hatte ich bereits gearbeitet – ist das ausgezeichnet gelungen. Cornelia Schmaus war ein Vorschlag von Axel Milberg. Ich hatte sie bisher nur einmal am Theater erlebt und dachte, sie wäre wunderbar für die Rolle Dr. Fehlau. Das Schwierigste war jemanden zu finden, wie Astrid Fünderich, die nur eine große Szene hat, in der sie aber alles geben muss.

Häufig ist die Stimmung in dem Film bedrohlich, wofür vor allem Kamera und Musik sorgen. Wie sah Ihr Konzept auf diesen Ebenen aus?
Ich gehe immer nach der organischen Struktur und nach dem Rhythmus der Geschichte und entwickle daraus meine Stilmittel. Grundsätzlich versuche ich, Räume zu zeigen und Stimmungen zu schaffen, die den inneren Zustand der Figur beschreiben. Meine Filme leben prinzipiell auch sehr stark von der Musik, weil es atmosphärische, emotionale Filme sind. Dabei unterstützt mich ein eingespieltes Team: mit Kameramann Andreas Doub habe ich schon häufig gearbeitet, genauso wie mit dem Komponisten Karim Sebastian Elias.

Der Drehort Kiel war neu für Sie. Wie wollten Sie die Stadt an der Förde zeigen?
Ich wollte keine Postkarten-Motive von Kiel zeigen, dazu spielt der Film auch zu häufig in Innenräumen. Dennoch wollte ich, dass die Nähe zum Wasser und die gewisse Stimmung, die es nur im Norden gibt, in dem Film mitschwingt – und die ich vielleicht so gut kenne, weil ich aus Finnland komme.

Sie haben Ihre Ausbildung an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) absolviert und leben schon lange in Deutschland, derzeit in Konstanz. Spüren Sie vielleicht trotzdem eine Distanz zu Deutschland und dem deutschen Fernsehen, die Ihnen einen besonderen Zugang ermöglicht?
Ja. Ich sehe es als Vorteil an, dass ich in Finnland fremd bin, weil ich schon seit 13 Jahren nicht mehr dort lebe, in Deutschland aber auch ein Fremder bleibe – egal, wie assimiliert und integriert ich bin. Das ist ein angenehmer Zustand, der mir einen besonderen Blickwinkel ermöglicht.

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