Interview mit der Regisseurin Claudia Garde zum Tatort: Schattenspiel

Das Erste: "Schattenspiele" ist bereits Ihr vierter Tatort. Haben Sie ein besonderes Faible für Krimis?
Claudia Garde: Ich würde es etwas anders formulieren: Ich habe kein spezielles Faible für Krimis, es ist eher so, dass die Tatorte mir die Möglichkeit gaben, Themen zu verarbeiten, die ich auch jenseits der eigentlichen Krimihandlung spannend fand.

Ist das nicht auch eher eine Männer-Domäne?
Och, das würde ich nicht unbedingt sagen. Ich kenne zum Beispiel sehr viele begeisterte Krimileserinnen. Aber es ist nun einmal so, dass der Regisseursberuf allgemein bis vor kurzem von Männern dominiert war. Doch das ändert sich ja nach und nach immer mehr. Vielleicht ist es auch tatsächlich so, dass Mord & Totschlag eher Männer interessieren, die spielen nun mal eher Böse-Jungs-Spiele als Mädchen. Bei mir ist es generell so, dass mich weniger der Mord selbst als die Geschichte interessiert, die dahintersteht. Und der Tatort ist ein Format, das einem die Möglichkeit gibt, ganz genau hinzusehen, einem Thema wirklich nachzugehen. Das gibt es auf anderen Sendeplätzen so nicht.

Dieser Tatort thematisiert sehr komplexe gesellschaftliche Probleme. Ist es Ihnen ein Anliegen, mit Ihrer Arbeit Stellung zu beziehen?
Ganz klar. Auf jeden Fall. Es wird immer den einen oder anderen Film geben, bei dem man sich auf privatere Anliegen konzentriert. Aber grundsätzlich ist mir das sehr wichtig. Darin bin ich mir auch mit Doris Heinze sehr einig. Wir wollen weiter darauf hinarbeiten, relevante und aktuelle Themen anzugehen, ohne den Zeigefinger zu erheben. Dabei kann das Thema, um das es geht, durchaus auch mal eher marginal sein. Bei dem vorliegenden Film könnte ich mir zum Beispiel vorstellen, dass viele Leute das Thema von einer ganz anderen Warte betrachten als wir. Das wird ja auch thematisiert. Nach dem Motto: Irgendwo muss man ja mal eine Grenze ziehen, wir können die ja nicht alle bei uns aufnehmen. So eine Haltung deckt das eigentliche menschliche Problem aber zu, es ist ein Totschlagargument. Daher war uns daran gelegen, die menschlichen Schicksale zu zeigen, die dahinterstehen. Mich persönlich hat dieses Thema schon sehr erschüttert, allerdings noch mehr in der Arbeit als vorher.

Wie haben Sie sich da herangetastet?
Zum Beispiel indem wir uns fünf Tage lang in so einem Knast aufgehalten haben. Wir hatten das große Glück, in einer Vollzugsanstalt arbeiten zu können, die geschlossen werden sollte. Wir hatten fünf Tage Zeit, um uns dort die Orte auszusuchen, an denen wir drehen wollten, und haben dieses Gebäude dabei auf uns wirken lassen. Ich habe mich auch selbst mal für eine halbe Stunde in so eine Zelle gesetzt und gespürt, dass ich das gar nicht ertragen konnte, diese Enge. Das Gebäude hatte zwar nicht als Abschiebegefängnis fungiert, aber die Unterschiede dürften da so groß nicht sein.

Hatten Sie Einfluss auf die Entwicklung des Drehbuchs?
Ja, großen. Die Autoren und ich haben sehr stark zusammengearbeitet. Mir persönlich kam es dabei vor allem darauf an, dass die spezielle Thematik, die gesellschaftliche Relevanz nicht in den Hintergrund gerät. Ich wollte nicht, dass sie nur als Vorwand für die Geschichte dient. Mir war vielmehr wichtig, das Thema Abschiebehaft homogen in die ganze Handlung einzuarbeiten und die einzelnen Stränge intelligent zu verweben. Und die Problematik nicht am Schluss einfach auszublenden. Am Ende dieses Tatorts ist der Fall zwar gelöst, der Mörder gefasst, aber das große menschliche und gesellschaftliche Problem bleibt ungelöst; der junge Mann wird abgeschoben, auf sein Schicksal hat Kommissar Casstorff keinen Einfluss. Die Zusammenarbeit mit den Autoren war sehr produktiv, wie ich fand. Sie hat großen Spaß gemacht, und wir entwickeln auch schon das nächste gemeinsame Projekt.

"Schattenspiel" widmet sich nicht nur einem schwierigen Thema, der Film hat auch eine sehr komplexe Struktur. Wo wollten Sie mit Ihrer Regie besondere Akzente setzen? Was war Ihr Konzept?
Es ist schwierig, das allgemein zu formulieren, da fallen mir tausend verschiedene Details ein. Aber auf jeden Fall haben wir versucht, die Geschichte sehr schnörkellos und stimmig zu erzählen. Ganz wichtig war dabei zum Beispiel das Farbkonzept. Der Film sollte eine gewisse Kühle ausstrahlen und darüber eine ganz subtile Wirkung erzielen. Die Szenen in der Vergangenheit haben einen Gelbton, der ein bestimmtes Gefühl der Bedrohung transportiert, aber auch bei den anderen Szenen ist es so, dass sie zwar farbig sind, aber nicht bunt im eigentlichen Sinne, sondern eher kühl. Damit wollten wir eine bestimmte Befindlichkeit vermitteln.

Auffällig ist auch die Art, wie die großen Verwaltungs- und Justizgebäude ins Bild gesetzt sind. Sie wirken labyrinthisch, kalt und feindselig.
Ja, man sieht ein Gitter nach dem anderen, einen Gang nach dem anderen. Da fühlt man sich verloren, einsam; dabei sollen doch gerade diese Gebäude die Sicherheit gewährleisten. Das tun sie aber in dem Moment nicht. Wir fangen ja auch gleich so an. Eingangs gibt es diese Parallelmontage: Man sieht Holicek durch die Tiefgarage das Polizeigebäude verlassen und zur Pforte gehen und im Gegenschnitt das Innere des Gefängnisses; ein Apparat löst den anderen ab, und das einzig Menschliche ist, dass in beiden Fällen Leute Fußball gucken, der Rest ist tatsächlich Labyrinth, Kälte, Einsamkeit.

Der Stoff brachte es mit sich, dass auch ausländische Schauspieler bzw. Darsteller mit "Migrationshintergrund" dabei waren. Hatten die eine besondere Haltung zum Thema? Gab es Diskussionen über den Stoff?
Wir haben es sogar erlebt, dass wir, als wir den George Sembana gecastet haben, einen jungen Mann kennen lernten, der ein ähnliches Schicksal hatte, über dem die Abschiebung schwebte. Er lebte seit langer Zeit in Deutschland, war inzwischen 18 Jahre alt und machte sein Abitur, aber die Duldung seines Vaters war abgelaufen, so dass er in der ständigen Gefahr lebte, abgeschoben zu werden. Außerdem war es so, dass parallel zu den Dreharbeiten ständig Artikel über Abschiebehaft in der Zeitung standen und ein Skandal den nächsten jagte. Dementsprechend reagierten die Leute natürlich auch auf dem Set. Wir hatten immer wieder das Gefühl, an einem sehr aktuellen Thema zu arbeiten.

Ihre letzten beiden Tatorte drehten Sie in Kiel, dem Einsatzbereich von Kommissar Borowski. Wie haben Sie die Arbeit mit dem Hamburger Ermittlerteam empfunden?
Die Tatorte werden ja sehr stark durch die einzelnen Kommissare bestimmt. Ich habe hervorragend mit Axel Milberg zusammengearbeitet, aber genauso hervorragend bin ich jetzt auch mit Robert Atzorn und Tilo Prückner klar gekommen. In Hamburg sind die Verhältnisse etwas fließender als in Kiel, wo die Konstellation relativ feststeht. Da ist Borowski als einziger Kommissar mit seinem Dauerverhältnis zu Frieda Jung. In Hamburg gibt es zwei Kommissare, auch wenn der eine der Chef und der andere sein Mitarbeiter ist. Mein Anliegen war es, die beiden Männer in ein Verhältnis zueinander zu bringen, das dem Zuschauer Spaß macht. Mir hat die Zusammenarbeit mit dem einen wie mit dem anderen Team Spaß gemacht und ich werde auch mit beiden wieder drehen.

Holicek gerät hier in einen Ausnahmezustand – und nie weiß man als Zuschauer, ob er jetzt nicht tatsächlich übergeschnappt ist. Ein schwer zu inszenierender Balanceakt?
Ich finde Uneindeutigkeiten im Leben grundsätzlich spannend. Sie reizen dazu, genauer hinzusehen. Holicek hat das Problem, dass er plötzlich nicht mehr weiß, ob er sich auf sein Gehirn, sein Gedächtnis noch verlassen kann oder ob es ihm etwas vorgaukelt. Wir haben schon in der Buchbearbeitung darauf geachtet, das Problem genau herauszuarbeiten und Szenen zu finden, die seine Unsicherheit, seine Lage für den Zuschauer nachvollziehbar und fassbar machen. Da gibt es zum Beispiel den Besuch bei dem alten Rechtsmediziner im Altersheim. Holicek erhofft sich Unterstützung von ihm, muss dann jedoch erfahren, dass auf das Gedächtnis des alten Herren überhaupt kein Verlass mehr ist. Das spiegelt in gewisser Weise ja seine eigene Situation wider und macht seine Verunsicherung fühlbar. Dadurch, dass Holicek in seiner verzweifelten Lage nicht die richtigen Wege geht, dass er merkwürdige Dinge tut, denkt man natürlich, der hat ja eine Macke. Wir mussten ganz präzise suchen, um die Situation in der Schwebe und damit spannend zu halten.

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