Interview mit Lars Becker zu dem "Tatort: Mann über Bord"

Das Erste: In letzter Zeit sind Sie vor allem mit den schrägen "Nachtschicht"-Filmen aufgefallen. Mit "Mann über Bord" legen Sie jetzt einen eher klassisch komponierten Krimi vor. Was hat Sie an diesem "Tatort" gereizt? Welche Facette wollten Sie herausarbeiten?
Ich finde es wunderbar, wenn man nicht nur eine Krimifarbe bedient, sondern das Genre auch diversifizieren kann. "Mann über Bord" hat mir großen Spaß gemacht, gerade weil er so anders ist als "Nachtschicht" und weil dieser "Tatort" mit Axel Milberg wirklich kongenial besetzt ist. Besonders gut hat mir das Spielerische zwischen den Kommissar Borowski und Frieda Jung gefallen. Dadurch, dass Borowskis Assistent in diesem Film erstmals nicht mehr dabei ist, hatten wir den Freiraum, diese Stärke des Formats heraus zu arbeiten, also das tolle Team Axel Milberg und Maren Eggert so stark und so charmant wie möglich zu machen. Borowski darf in diesem Fall geradezu Columbo-Like mit einem Augenzwinkern ermitteln. Das passte zu dem Wunsch der NDR-Fernsehspiel-Chefin Doris J. Heinze, nach den letzten, eher heftigen Fällen eine leichtere Geschichte zu erzählen.

Sie hatten bereits 1999 mit Axel Milberg den Fernsehfilm "Zwei Brüder – Tod im See" gedreht. Was zeichnet Axel Milberg als Schauspieler aus?
In seiner Generation gehört Axel Milberg zu den Top-Schauspielern. Er ist ein richtiger Leading-Character und zugleich ein unverwechselbarer Typ. In der gesamten "Tatort"- und Krimilandschaft steht Axel Milberg für sich. Neben Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär ist er für mich der beste "Tatort"-Kommissar.

War es Ihre Idee, einige schwedische Schauspieler zu besetzen?
Ich wollte von Anfang an gerne, dass wir drei, vier schwedische Schauspieler besetzen und dass sie sich auch mal Schwedisch unterhalten, wenn es passend ist. Das klappte wunderbar und macht den Film sehr authentisch. Die schwedischen Schauspieler waren grundsätzlich sehr diszipliniert, sehr gut ausgebildet und haben eine Arbeitshaltung, die konsequent und konstruktiv ist.

Wie leicht war es, eine schwedische Schauspiel-Legende wie Peter Haber ("Kommissar Beck") für diesen Film zu gewinnen?
Überzeugungsarbeit musste ich nicht leisten. Peter Haber beispielsweise kennt sich im europäischen Fernsehen recht gut aus und wusste, dass "Tatort" eine renommierte Reihe ist. Er hat sich über meine Filme erkundigt, wir haben uns getroffen und darauf hin sagte er zu. Peter Haber hat sich am Anfang noch über seine Sprache Sorgen gemacht, das war aber völlig unberechtigt, denn er spricht ausgezeichnet Deutsch. Ich glaube, es war für ihn ein Vergnügen, mal nicht den Kommissar, sondern einen Verdächtigen zu spielen.

Catrin Striebeck war schon bei Ihrem ersten Film "Schattenboxer" dabei, später haben Sie immer wieder mit ihr gearbeitet. Hatten Sie Catrin Striebeck sofort für die Rolle der Witwe Annemarie Venske vor Augen?
Ja. Ich bin sehr froh, dass wir Catrin Striebeck besetzen konnten, denn zunächst musste geklärt werden, ob sie diese Rolle spielen darf, weil sie als Kommissarin in Lüneburg und Freundin von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ab und zu im Niedersachsen-"Tatort" spielt und die Sender zuweilen befürchten, der Zuschauer könnte durcheinander kommen. Das gleiche galt auch für Jan-Gregor Kremp, den wir für die kleine, aber entscheidende Rolle des Kapitän Venske gewinnen konnten. Jan-Gregor Kremp nimmt man den Kapitän sofort ab und man glaubt ihm auch so ein bizarres Zweierleben. Wenn man diese Figur schwach besetzt hätte, hätte es dem Film geschadet.

Die Szenen, in denen die beiden Witwen aufeinander treffen, sind sehr intensiv. Zeitweise denkt man, Annemarie Venske und Greta Karlsson gehen mit Gift und Waffen aufeinander los. Haben Sie mit Catrin Striebeck und Ingar Sigvardsdotter intensiv geprobt?
Ja. Der Schwerpunkt lag bei diesem Film auf psychologischen Szenen, er hat teilweise einen Kammerspielcharakter. Deshalb war es mir wichtig, eher weniger Takes zu drehen, um mehr Zeit für die Proben zu haben. Gerade zwischen diesen beiden Frauen hat sich die Chemie von Tag zu Tag verbessert.

Welchen Aspekt des Themas Bigamie wollten Sie herausarbeiten? Was hat Sie daran fasziniert?
Ich halte die Grundgeschichte – ein Kapitän, der zwei Häfen anfährt – für sehr filmisch. Aus diesem Modell der zwei Welten hat sich sehr organisch das visuelle Konzept ergeben, das ich mit meinem Kameramann Martin Kukula erarbeitet habe. Wir haben auf den Kontrast gesetzt: die Enge des Schiffes auf der einen Seite, die Weite der Landschaft auf der anderen.

Logistisch muss "Mann über Bord" ein aufwändiges Projekt gewesen sein, denn Sie haben nicht nur auf einer Fähre gedreht, die im normalen Fährbetrieb war, sondern auch z.B. auf den Schäreninseln, wo eine vierzigminütige Bootsfahrt am Anfang und am Ende jedes Drehtages stand.
Die Logistik hat der Produktionsleiter Peter Nawrotzki von Studio Hamburg sehr gut gelöst. Aufwändig waren vor allem die Schiffs-Drehtage, weil wir nur drehen konnten, wenn das Schiff im Hafen lag. Wir mussten also morgens mit dem gesamten Equipment an Bord gehen und abends mit Sack und Pack das Schiff wieder verlassen. Die Reederei Stena Line war jedoch sehr offen und hat uns sehr gut unterstützt.

Wie haben die Passagiere auf die Dreharbeiten reagiert?
Wie bei anderen Dreharbeiten auch: Einige fanden es aufregend, andere störend. Einmal mussten wir allerdings Peter Haber abschirmen, weil er in Schweden sehr bekannt ist und plötzlich von den schwedischen Passagieren umschwärmt wurde.

Sie arbeiten häufig mit dem gleichen Team, auch Ihre Frau, die Kostümbildnerin Fana Becker, ist bei fast allen Projekten – auch bei "Mord an Bord" - dabei. Sind Ihre Filme in gewisser Weise eine "Familien-Angelegenheit"?
Seit ich Filme mache, versuche ich ein Kernteam zu halten. Das zahlt sich für mich aus, denn es gibt eine gewisse Set-Disziplin und eine gute Atmosphäre und das schlägt sich auch in der Qualität nieder.

Sie sind seit 1988 als Regisseur aktiv, haben aber erst 2003 Ihren ersten "Tatort" gedreht. Hat Sie das Format vorher nicht gereizt?
Doch, ich hatte auch Angebote, die jedoch immer mit anderen Projekten kollidiert sind. Der "Tatort – Mann über Bord" hat mir aber sehr viel Spaß gemacht, so dass ich mir vorstellen könnte, einen weiteren Kieler "Tatort" zu drehen, wenn es zeitlich passt. Ich hoffe jetzt, dass das Publikum den Film auch mag.

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