Interview mit Wotan Wilke Möhring zum "Tatort: Pauline"

Das Erste: Die zwölfjährige Pauline ist noch nicht tot, da erscheinen Sie schon als Hauptverdächtiger in diesem "Tatort". Ist es nicht etwas unfair, ihre Figur Sven gleich zum Mörder zu stempeln?
Wotan Wilke Möhring: Überaupt nicht. Schließlich wollen wir im Krimi Fährten legen, die den Zuschauer zum Mitkombinieren reizen. Und je länger diese Fährten tragen, desto spannender wird es. Denken Sie an die verblüffende Auflösung des Bankräuber-Kinohits „Ocean’s Eleven“ mit George Clooney, die kaum jemand erwartet hat.

Erklären wir kurz, was im "Tatort" anfangs passiert: Kurz bevor Pauline stirbt, duscht sie nach dem Reiten beim Freund ihrer Schwester, dem Pferdehofbesitzer Sven, den Sie spielen. Der Zuschauer soll rätseln, ob Sven pädophil ist, nicht wahr?
Der Zuschauer sucht nach Erklärungsmustern für das, was er sieht, und die Kunst des Regisseurs besteht hier darin, gezielt und absichtlich solche Denk-Impulse auszulösen, dass ich zum Beispiel verdächtig wirke. Meine aufgerissenen Augen deuten vielleicht auf die Begierde eines Pädophilen, vielleicht spricht aus diesem Blick aber nur der Schreck, Pauline unter meiner Dusche zu sehen. Mit dieser Mehrdeutigkeit haben wir hier bewusst gespielt.

Wie sieht denn Ihr Bild Ihrer Figur Sven aus? Oder ist die Rolle zu klein, um ein Gesamtbild zu entwerfen?
Egal wie groß eine Rolle ist, ich versuche immer, mir eine klare Vorstellung von meiner Figur und ihren Motiven zu machen. In meinen Augen ist Sven ein ausgeprägter Gefühlsmensch, der das Herz gegenüber seinen Freunden auf der Zunge trägt. Sven ist aber nicht clever genug, um sich mit geschickten Ausreden und Lügen aus der Affäre ziehen zu können. Da er das weiß, bleibt er Kommissarin Lindholm und anderen Fremden gegenüber eher verschlossen. So wird es ihm auch beinahe zum Verhängnis, dass er der Kommissarin verschweigt, warum Pauline ihn an der Hand verletzt hat. Denn je länger man etwas verschweigt, um so verdächtiger wirkt es.

Ihre Figur gerät zunehmend in Bedrängnis, die Verdachtsmomente häufen sich Schritt für Schritt. Bestimmt nicht einfach für Sie, im Laufe des Films eine Art Spannungslinie aufzubauen, oder?
Mir ist das nicht schwer gefallen, denn für den Aufbau der Spannung ist vor allem der Regisseur zuständig, sie entsteht erst im Auge des Betrachters. Ich trage indirekt dazu bei, weil Sven sich zunehmend in Konflikte und Widersprüche verstrickt und damit zunehmend in Verdacht gerät – schließlich sogar bei seiner Freundin Nele. Weil ihm keiner glaubt, begeht er weitere Fehler, dadurch wiederum wächst seine Verzweiflung. Außerdem sucht das Dorf nach einem Schuldigen, und Sven bietet sich allein deshalb an, weil sich auf seinem Pferdehof immer zahlreiche Mädchen versammeln. Die geballte Wut im Dorf entlädt sich in einer Schlägerei. Erschwerend für Sven kommt hinzu, dass er nicht den analytischen Verstand besitzt, um die eskalierende Dramatik um seine Person zu durchschauen. Er wirkt wie ein verletztes Tier, das nur noch um sich schlägt.

Konnten Sie eigentlich reiten? Haben Sie es für diesen "Tatort" gelernt?
Nein, ich hatte nie Reitunterricht, aber es gelingt mir halbwegs, mich im Sattel zu halten. Auch im Kinofilm "Antikörper" hatte ich einige Reitszenen. Allerdings erliege ich leicht der Gefahr, Pferde zu unterschätzen. Aber sie sind eben keine Autos, bei denen man einfach am Lenkrad dreht, damit sie abbiegen. Pferde spüren auch sofort, ob der Reiter seiner Sache sicher ist. Beim „Tatort“ haben wir meine Reitszenen übrigens mit zwei Pferden gedreht, für die Nahaufnahmen habe ich ein friedlicheres Tier bekommen, das hat die Sache etwas erleichtert.

Haben Sie die Tanzszenen beim Feuerwehrball auch so gut hingelegt, oder durften sie vorher trainieren?
Nein, das ging schon so. Ich bin zwar kein großer Standard-Tänzer, aber diesen Disco-Fox haben Anna Maria Mühe und ich auch so hinbekommen – und es hat einen riesigen Spaß gemacht.

Wählen Sie gerne körperbetonte Rollen aus? Sie haben schon mehrmals Boxer dargestellt, im Fernsehfilm "Liebe und Verrat" von Mark Schlichter beispielsweise wie auch in einer neuen TV-Produktion mit dem Titel "Hart auf hart". Und ihre Karriere begann mit der "Bubi Scholz Story" in der ARD, auch wenn Sie dort gerade keinen Boxer gespielt haben.
In der Tat werden mir häufig Rollen mit viel Körpereinsatz angeboten, offenbar sehe ich so aus, dass viele Regisseure mich als Typen besetzen, dem zumindest eine körperliche Auseinandersetzung zuzutrauen wäre, auch wenn sie nicht stattfindet.

Bedauern Sie das?
Nein. Für mich als Schauspieler bietet eine Figur, die sich eher körperlich als verbal ausdrückt, große Chancen, besonders wenn es sie innerlich so zu zerreißen droht wie Sven hier im „Tatort“. Eine seelische Zerrissenheit äußert sich oft physisch, es rüttelt und schüttelt diesen Menschen im wahrsten Sinne. Figuren, die aus dem Gleichgewicht geraten, die psychisch zerrissen sind und ihre Gefühle nicht mehr beherrschen können, sind für mich als Schauspieler daher von großem Reiz.

Das Spektrum Ihrer zahlreichen Produktionen reicht von den Kinofilmen "Anatomie 2", "Goldene Zeiten" und "Das Experiment" bis zum preisgekrönten NDR-Film "Die Hoffnung stirbt zuletzt" über eine Polizistin, die durch Mobbing in den Selbstmord getrieben wird. Wonach wählen Sie Ihre Rollen aus?
Die Qualität meiner Projekte ist sicher auch deswegen entstanden, weil ich viele Rollenangebote abgesagt habe. Ich bin davon überzeugt, dass man sein Format als Schauspieler mindestens genauso stark durch die Absagen wie durch die Zusagen prägt. So gesehen, ist jedes Rollenangebot auch eine innere Prüfung, die es zu bestehen gilt.

Worin besteht für Sie denn der Anreiz, eine Episodenrolle in einem "Tatort" zu übernehmen?
Da ich keine feste Rolle in einer Serie oder Reihe spiele, habe ich überhaupt kein Problem damit, in einzelnen Fällen Episodenrollen anzunehmen. Außerdem ist ein „Tatort“ in meinen Augen ein 90-Minüter wie jeder andere, ein in sich geschlossener Fernsehfilm. Für mich zählt allein die Rolle.

Die "Welt am Sonntag" nannte Sie den Kevin Spacey des deutschen Kinos. Ein etablierter Profi im Film- und Fernsehgeschäft, dennoch ein Mann mit einem "Allerweltsgesicht", der auf der Straße nicht erkannt wird. Vermutlich wird das nicht mehr lange so bleiben.
Zum Glück kann ich mich im Moment noch ziemlich unbemerkt in der Öffentlichkeit bewegen. Jeder Schauspieler, der die Schwelle zum Star überschreitet, sollte sich bewusst machen, was er damit preisgibt, und dass er sich auf diesem Grat zwischen öffentlicher Bekanntheit und der Preisgabe seines Privatlebens sehr bewusst bewegen sollte: Man kann nicht mehr in der Kneipe sitzen und in der Nase bohren, man kann nicht mehr U-Bahn fahren, man kann sich schon gar nicht mit jemandem prügeln. Man wird zu einem Produkt der Medienwelt. Mein Anliegen ist es, Menschen mit meinen Filmen zu bewegen, und nicht, meine Person ins Scheinwerferlicht zu stellen.

Hoffen und warten Sie nicht dennoch auf die eine Rolle, die Sie zum großen Star macht?
Die Frage ist doch, was mir unter dem Strich bleibt, wenn ich zum Top-Star werde. Außerdem hat der Bekanntheitsgrad eines Menschen doch längst nichts mehr mit seinem Können zu tun. Dennoch hoffe auch ich, dass möglichst viele Menschen meine Filme sehen wollen. Aber ich würde nie einen Film drehen, nur um damit bekannter zu werden.

Sie haben unglaublich abwechslungsreiche Jahre als Jugendlicher und junger Erwachsener hinter sich: Sie haben eine Ausbildung als Elektriker, haben Punk-Bands gegründet, einen Techno-Club in Berlin aufgemacht und Wirtschaftskommunikation studiert ...
Aus dem Nachhinein betrachtet, wirkt mein Lebenslauf in der Tat sehr sprunghaft und widersprüchlich. Damals habe ich einfach nur gelebt und fand es nicht so ungewöhnlich.

Würden Sie gern eine Etappe aus Ihrer Biografie streichen?
Nein, zu seiner Zeit war alles richtig, weil ich alles mit Herz gemacht habe. Ich habe immer versucht, meiner inneren Stimme zu folgen, deshalb bereue ich auch keine dieser Etappen.

Welche Rolle spielt Ihre facettenreiche Biografie für Ihre Arbeit?
Alle Lebensstationen und die vielen Situationen, die ich erlebt habe, bilden die Quelle, den Fundus, aus dem ich als Schauspieler schöpfen kann – zumal ich nie eine Schauspielschule besucht habe.

Nicht nur ihre Biografie ist ungewöhnlich, auch ihre beiden Vornamen sind es. Waren Ihre Eltern Fans von Richard Wagner und seinem Opern-Zyklus "Der Ring des Nibelungen"?
Wagner-Fans nicht unbedingt, aber die Welt der nordischen Sagen spielte für sie eine wichtige Rolle. Aber auch der zweite Vorname Wilke stiftet gelegentlich Verwirrung. So werde ich immer wieder gefragt, wo denn mein Vorname aufhört und der Nachname beginnt.

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