Faktencheck zur ARD Wahlarena

Sendung vom 6.6.2024

In der ARD Wahlarena zur Europawahl 2024 live aus Erfurt diskutierten am Donnerstag-Abend die Spitzendkandidatinnen- und Kandidaten Katarina Barley (SPD), Martin Schirdewan (Die Linke), Terry Reintke (B90/Grüne), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Manfred Weber (CSU), Daniel Caspary (CDU), Fabio De Masi (BSW) sowie René Aust, der Drittplatzierte auf der Europawahl-Liste der AfD.

Einige Aussagen der Kandidierenden haben wir im Faktencheck genauer unter die Lupe genommen.

Wie viele Geflüchtete haben seit 2015 Arbeit gefunden? Gefährden Geflüchtete den Wohlstand und die Sicherheit in Deutschland?

Die Themen Flucht, Migration und Integration wurden von den Moderatoren des Abends zu Beginn der Sendung aufgerufen. Terry Reintke, Spitzenkandidatin von Bündnis90/Die Grünen sagte in diesem Zusammenhang: „Bei den Männern, die 2015 / 2016 nach Deutschland gekommen sind, da sind mittlerweile 86 % in Arbeit. Das ist eine Zahl, die uns mittlerweile auch zuversichtlich stimmen kann.“

Da uns diese Prozentzahl auf den ersten Blick relativ hoch vorkam, haben wir beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg nachgefragt und Herbert Brücker, Forschungsbereichsleiter - Bereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung, teilte mit: „Die Aussage ist nach unserer Einschätzung korrekt. Nach der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten erreichen geflüchtete Männer, die sich acht und neun Jahre in Deutschland aufhalten, im Durchschnitt eine Erwerbstätigenquote von 86 Prozent. Die Befragungsergebnisse sind repräsentativ und weichen weniger als einen Prozentpunkt von den Durchschnittswerten der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit ab.“

Auch René Aust, die Nummer 3 auf der AfD-Wahlliste zur Europawahl, wurde von Bürgerinnen und Bürgern im Studio auf Menschen angesprochen, die nach Deutschland zuwandern oder flüchten. Ein jüngerer Zuschauer aus Halle/Saale fragte den AfD-Kandidaten nach der AfD-Position zu Geflüchteten und zwar vor dem Hintergrund der Kolonialverbrechen: „Wie können wir uns als Europäer vor diesen Menschen so verschließen, deren Leid wir zu verantworten haben?“

Aust antwortete: „Meine Aufgabe ist es, einen Ordnungsrahmen in der Bundesrepublik Deutschland mit herzustellen, in dem die Bürger unseres Landes wohlhabend, sicher und frei sich entfalten können. Wenn wir die derzeitige Migrationspolitik gerade seit 2015 uns anschauen, dann hat sie zum Gegenteil geführt. Die Bürger haben weniger Wohlstand und die Bürger haben weniger Sicherheit.“

Im Faktencheck teilte zur Frage nach dem Wohlstand Herbert Brücker vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mit: „Insgesamt ist die Aussage so pauschal, wie sie getroffen wurde, nicht haltbar. Bei einer differenzierten Berücksichtigung aller Fakten ergibt sich ein anderes Bild.“ Laut Brücker sei der Begriff des Wohlstands „nicht klar definiert worden, so dass bei der Überprüfung der Aussage Interpretationsspielräume“ bestünden. Zu unterscheiden seien verschiedene Wege, auf denen die Migration den Wohlstand der deutschen Bevölkerung beeinflussen kann, unter anderem über die Effekte für Arbeitsmarkt und Gesamtwirtschaft und die fiskalischen Effekte für den Sozialstaat.

Die ausländische Beschäftigung ist von Januar 2010 bis März 2024 um 3.851.000 Personen gewachsen (Bundesagentur für Arbeit, Statistik, 2024). Die deutsche Beschäftigung ist zwar zunächst im letzten Jahrzehnt noch gestiegen, sinkt aber inzwischen, weil per saldo die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter pro Jahr um über 400.000 Personen abnimmt. Die Migration leistet deshalb seit 2010 einen erheblichen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland, der durch den Rückgang des Arbeitsangebots deutscher Arbeitskräfte zunehmend an Bedeutung gewinnt. Damit steigt auch die Summe der Arbeits- und Kapitaleinkommen der deutschen Bevölkerung.

Deshalb ist davon auszugehen, dass der Wohlstand gemessen an den deutschen Erwerbseinkommen durch die Migration gestiegen und nicht gefallen ist.

Schwieriger ist die Frage der fiskalischen Effekte zu beurteilen. Auf der einen Seite sind durch den migrationsbedingten Anstieg der Erwerbstätigkeit die Steuer- und Abgabenzahlungen erheblich gestiegen. Davon profitieren aufgrund der günstigen Altersstruktur der Migrationsbevölkerung insbesondere die altersbezogenen Transfersysteme wie Renten- und Pflegeversicherungen und die gesetzliche Krankenversicherung. Auf diese Systeme entfallen rund 70 Prozent der sozialen Transferleistungen in Deutschland.

Auf der anderen Seite sind, u.a. durch den Zuzug von Geflüchteten, die Ausgaben der Grundsicherung, d.h. für Asylbewerberleistungen und Bürgergeld, gestiegen. Geflüchtete integrieren sich aufgrund von institutionellen Hürden wie Asylverfahren, fehlenden Sprachkenntnissen, schlechterer Vorbereitung auf die Migration und anderer Faktoren langsamer als andere Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt. Deshalb übersteigen die Transferleistungen zunächst die Steuer- und Abgabenzahlungen, erst ab einer längeren Aufenthaltsdauer übersteigen die Steuer- und Abgabenzahlungen die Summe der empfangenen Transferleistungen.

So schätzte eine Simulationsstudie von DIW und IAB den Saldo aus Steuer- und Abgabenzahlungen und der Ausgaben für Transferleistungen für die 2015 zugezogene Flüchtlingskohorte unter verschiedenen Annahmen über die Investitionen in Sprache und Bildung für das Jahr 2025 auf minus 1,233 bis plus 1,489 Milliarden Euro (Bach u.a. 2017). Zusätzlich müssen noch Ausgaben über die Infrastruktur berücksichtigt werden.

Aus wohlfahrtsökonomischer Perspektive ist die Fluchtmigration von anderer Migration zu unterscheiden, weil es hier primär um eine humanitäre Aufgabe geht, die, in Abhängigkeit von den getroffenen Werturteilen, auch etwas kosten darf. Für die übrige Migration ergeben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch positive fiskalische Effekte. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs von 2010 bis 2021 nur 15 Prozent der Zuzüge und etwa ein Viertel des Bevölkerungswachstums auf die Fluchtmigration, aber 50 Prozent der Zuzüge auf die Migration aus der EU entfallen sind. Durch die einseitige Betonung der Fluchtmigration wird deshalb der Beitrag der Migration zu Arbeitsmarkt, Gesamtwirtschaft und Sozialstaat unterschätzt.

Zur Frage nach der Sicherheitslage (Die Bürger haben weniger Wohlstand und die Bürger haben weniger Sicherheit“ (Aust) haben wir beim Bundeskriminalamt nachgefragt. Das BKA antwortete mit Hinweisen auf die Polizeiliche Kriminalstatistik. Daraus geht hervor, dass die Zahl „tatverdächtiger Zuwanderer“ in Deutschland seit 2015 schwankt. Rückgänge hatte es beispielsweise in den Jahren 2018 bis 2020 gegeben. In den Folgejahren stieg die Kriminalität im Kontext von Zuwanderung wieder an.

Unsere Quellen:

Brücker, Herbert, Maye Ehab, Philipp Jaschke & Yuliya Kosyakova (2024): Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten: Verbesserte institutionelle Rahmenbedingungen fördern die Erwerbstätigkeit. IAB-Kurzbericht 10/2024. DOI:10.48720/IAB.KB.2410. https://iab.de/publikationen/publikation/?id=2160329.

BA-Beschäftigungsstatistik, Sonderauswertung für das IAB, Nürnberg.

Stefan Bach, Herbert Brücker, Peter Haan, Agnese Romiti, Kristina van Deuverden und Enzo Weber Investitionen in die Integration der Flüchtlinge lohnen sich. 2017. DIW Wochenbericht 3/2017. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.550523.de/17-3.pdf.

Brücker, Herbert, Andreas Hauptmann, Elke J. Jahn, Richard Upward. 2014. Migration and imperfect labor markets: Theory and cross-country evidence from Denmark, Germany and the UK. European Economic Review 66, S. 205-225.

Bundeskriminalamt / Polizeiliche Kriminalstatistik

Was tut die Politik gegen die hohe Inflation in der Europäischen Union?

Eine Frage, die das Netz schon Wochen beschäftigt, ist die Frage um den Döner-Preis, sagt Amelie Weber aus der Tagesschau-Redaktion, die in die ARD-Wahlarena aus Hamburg zugeschaltet wird und die Diskussion im Netz für die ARD Wahlarena verfolgt. Vor allem Fragen wie „Wann wird der Döner wieder günstiger“ oder „Wann kommt die Döner-Preisbremse“ beschäftigen junge Wählerinnen und Wähler. Was lustig klingt, hat einen ernsten Hintergrund sagt Amelie Weber und zitiert aus der aktuellen Studie „Jugend in Deutschland“. 65 Prozent der 14-29-Jährigen machen sich demnach Sorgen um die Inflation.

User „Jeremy“ stellt folgende Frage: „Was tun Sie gegen die hohe Inflation in der EU?“

ARD-Wahlarena Moderatorin Ellen Ehni gibt die Frage weiter an Linken-Spitzenkandidat Martin Schirdewan.

Martin Schirdewan, Die Linke:

"Ich finde es erst mal gut, dass wir über solche Themen wie die steigenden Preise in der EU und in Deutschland reden. Die Miete wird für viele immer unbezahlbarer. Das Essen wird für viele immer unbezahlbarer und auch die Energie steigt wieder. Natürlich müssen wir darüber nachdenken, wie diese alltäglichen Dinge, die man wirklich braucht, bezahlbar bleiben. Deswegen finde ich die Idee über eine Döner-Preisbremse nachzudenken, zu diskutieren eigentlich ganz spannend, ganz interessant, weil dahinter ein ernstes Problem steckt. Die Lebensmittelpreise sind in den letzten 30 Jahren 30 Prozent teurer geworden. Also immer wenn wir in die Kaufhalle, in den Supermarkt gehen, müssen wir 30 Prozent mehr zahlen. In derselben Zeit ist das Vermögen des Lidl-Besitzers Dieter Schwarz um eben über 30 Prozent gestiegen. Man erkennt den Zusammenhang auf den ersten Blick. Ich glaube, es geht darum, dass wir tatsächlich um Umverteilung kämpfen. Das heißt, die großen Lebensmittelkonzerne mit Übergewinn besteuern. 90 Prozent fordern wir. Und dieses Geld nutzen, um dann auch Grundnahrungsmittel mit einem Preisdeckel zu versehen, so dass sie sich, dass wir uns unsere Grundnahrungsmittel wieder leisten können. Und dass die jungen Leute insbesondere gerne wieder Döner essen. Das ist klar. Ich finde, das sollte sich dann an dieser Stelle auch wieder auswirken. Döner oder Falafel, ist mir ehrlich gesagt im Endeffekt ehrlich gesagt egal."

Schirdewan zieht zwischen gestiegenen Lebensmittelpreisen und dem Vermögen des Lidl-Eigentümers Parallelen.

Das sind die Fakten:

Das Statistische Bundesamt erhebt die Preise für hunderte Produkte und Dienstleistungen eines festgelegten Warenkorbs und berechnet daraus den allgemeinen Verbraucherpreisindex. Auch für Nahrungsmittel wird ein solcher Index gebildet. Als Basis ist derzeit das Jahr 2020 mit 100 Punkten gesetzt.

Im April lag der Verbraucherpreisindex für Nahrungsmittel bei 132,8 Punkten und somit lag das Preisniveau entsprechend um 32,8 Prozent höher als im Jahr 2020. Dagegen lag der allgemeine Verbraucherindex im gleichen Zeitraum bei 119,2 Punkten (19,2 Prozent). Die Lebensmittelpreise sind in Deutschland somit überdurchschnittlich gestiegen.

Verbraucherschützer nennen gestiegene Kosten für Energie, Düngemittel und Futtermittel als Hauptursachen für gestiegene Lebensmittelpreise. Zudem würden Arbeitskräftemangel und Mindestlohn die Personalkosten verteuern.

Manche Preissteigerungen bei Lebensmitteln erscheinen Verbraucherschützern aber nicht gerechtfertigt. Sie beobachten besonders häufig versteckte Preiserhöhungen durch geringere Füllmengen und veränderte Rezepturen. Von der Politik und dem Kartellamt fordern sie deshalb, Unternehmen zu prüfen, ob sie die aktuelle Lage nutzen, um die eigenen Erträge zu verbessern. 

Die Schwarz-Gruppe gibt keine Informationen über das Vermögen von Dieter Schwarz heraus. Das Vermögen von Lidl-Gründer Schwarz soll sich Schätzungen zufolge auf 38, 5 Milliarden Dollar belaufen. Im vergangenen Jahr waren es wohl noch 42,9 Milliarden Dollar.

Die Unternehmen der Schwarz Gruppe erwirtschafteten im Jahr 2023 einen Gesamtumsatz von 167,2 Milliarden Euro.  Im Jahr 2020 waren es 125,3 Milliarden Euro. Das ergibt ein Umsatzplus von 33,4 Prozent. 

Lidl hingegen erreichte mit einem Filialumsatz von 125,5 Milliarden Euro ein Plus von 30,3 Prozent verglichen mit dem Jahr 2020 mit einem Umsatz von  96,3 Mrd. Euro.

Fazit:

Es ist richtig, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland in den letzten Jahren überdurchschnittlich gestiegen sind. Ein Zusammenhang zwischen gestiegenen Lebensmittelpreisen und dem Vermögen des Lidl-Gründers Dieter Schwarz lässt sich mit den vorliegenden Daten jedoch nicht herstellen. Im Vergleich zum Jahr 2020 erzielte die Schwarz-Gruppe ein Umsatzplus von 33,4 Prozent, Lidl erreichte ein Plus von 30,3 Prozent mit ihrem weltweiten Filialnetz. Das Unternehmen verweist allerdings auch auf gestiegene Preise Einkaufspreise, insbesondere bei Handelswaren, Rohstoffen, Energie und Transport.

Unsere Quellen:

Statistisches Bundesamt,

Verbraucherzentralen

Schwarz Gruppe

(Agenturen)

Sind die Reallöhne seit der Corona-Pandemie eingebrochen?

Auch BSW-Spitzenkandidat Fabio Di Masi wurde in der Sendung von einem Zuschauer nach dem Thema Inflation gefragt: „Wie würden Sie auf die Inflation reagieren? Was ist Ihre Maßnahme?“ Di Masi benannte daraufhin Ursachen für steigende Preise aus seiner Sicht: „Vermachtete Märkte“, „Energiepreisschock“, „International gerissene Lieferketten“ während der Corona-Pandemie. Di Masi sagte: „Die Reallöhne sind seit der Corona-Krise eingebrochen“.

Im Faktencheck teilte dazu Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg mit: „Die Aussage ist statistisch korrekt. Die Reallöhne sind im Zuge der COVID-Pandemie, der Energiekrise in der Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die hohe Inflation zunächst gefallen, aufgrund der hohen Lohnabschlüsse dieses Jahr aber wieder gestiegen. So ist der Reallohnindex des Statistischen Bundesamtes 2023 gegenüber 2019 um 5,1 Prozentpunkte gesunken. Im ersten Quartal 2024 ist der Reallohnindex allerdings wieder um 3,8 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen, so dass ein Teil des Reallohnrückgangs inzwischen wieder wettgemacht werden konnte.“

Unsere Quelle:

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Nürnberg)

DESTATIS, Verdienste, Reallöhne und Nominallöhne, Pressemitteilung vom 29. Mai 2024

Wie steht die AfD zum europäischen Binnenmarkt, Schengenraum und Euro?

Ein Zuschauer, der sich als Herr Kummer aus Jena vorstellte, wollte vom AfD-Kandidaten René Aust wissen: „Wenn Ihre Partei an Einfluss gewinnt: Was wird aus dem Euro? Was wird aus dem europäischen Binnenmarkt? Was wird aus dem Schengenraum?"

Die Frage nach dem Schengener Abkommen, bei dem es vor allem um die Abschaffung stationärer Binnen-Grenzkontrollen zwischen EU-Staaten geht, beantwortete Aust nicht.

Zum EU-Binnenmarkt sagte der AfD-Politiker: Zunächst einmal kann jeder bei uns im Wahlprogramm nachlesen, dass wir uns bekennen zum Binnenmarkt. Das ist eine große Errungenschaft, dass deutsche Unternehmer zollfrei in ganz Europa ihre Waren verkaufen können. Und es ist auch eine große Errungenschaft, dass wir beispielsweise Orangen und Apfelsinen aus Spanien und Portugal importieren können. Deswegen ganz klar und deutlich: Wir stehen zum Binnenmarkt und das wird auch so bleiben.“

Im Faktencheck haben wir im Europa-Wahlprogramm der AfD nachgelesen. Darin findet sich der Begriff „Binnenmarkt“ insgesamt dreimal - im Inhaltsverzeichnis sowie im Kapitel: „Die EU ist ein undemokratisches und reformunfähiges Konstrukt“. Auf Seite 11 heißt es zudem: „Wir bekennen uns zur Sozialen Marktwirtschaft, zum gemeinsamen Markt, der Zollunion und einer gemeinsamen Handelspolitik.“

Gleichwohl fühlte sich offenbar Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die FDP-Spitzenkandidatin, von Austs Wortmeldung herausgefordert und erwiderte: „Man kann bei Youtube sehen, was die Chefin der AfD sagt, Frau Weidel, sie will Deutschland aus der Europäischen Union herausführen.“

Im Faktencheck haben wir nach diesem Video gesucht. Gefunden haben wir ein 5 Jahre altes Video von WELT TV in dem Weidel sagt: „Der Dexit wäre letztendlich eine Option.“ In mehreren Videos aus dem Jahr 2024 geht es zudem um ein Interview, das die AfD-Chefin der Financial Times gegeben hat. Darin spricht sie über eine „Reform“ der EU. Wörtlich sagte Weidel: „Wenn eine solche Reform nicht möglich sein sollte, wenn wir die Souveränität der EU-Mitgliedstaaten nicht wieder herstellen können, dann sollten die Bürger entscheiden, genau wie in Großbritannien. Dann hätten wir ein ‚Dexit‘-Referendum.“ Der Austritt der Briten aus der EU sei als „souveräne Entscheidung“ „völlig richtig“ gewesen. Die Abstimmung im Jahr 2016 sei ein „Vorbild für Deutschland“.

Dazu passen auch weitere Passagen aus dem von Aust zitierten AfD-Wahlprogramm. Unter der Überschrift: „Das EU-Projekt ist gescheitert“ heißt es etwa: „Die EU hat sich zu einem undemokratischen Konstrukt entwickelt, das immer mehr Gewalt an sich zieht und von einer intransparenten, nicht kontrollierten Bürokratie regiert wird. Mit den Verträgen von Schengen, Maastricht und Lissabon wurde das Prinzip der Volkssouveränität ausgehöhlt. Der Versuch, funktionierende demokratische Nationalstaaten aufzulösen und durch eine Art europäischen Superstaat zu ersetzen, ist zum Scheitern verurteilt.“

Möchte die AfD die D-Mark zurück?

Die zweite Frage von Herrn Kummer aus Jena zur Zukunft der Währung Euro wurde von René Aust nicht wirklich beantwortet. Aust meinte: „Die Euro-Krise hat sich in den vergangenen 15 Jahren merklich beruhigt. Aber wir laufen auch in wirtschaftlich schwierige Zeiten. Und wenn wir nochmal in so schwierige Zeiten wie vor 15 Jahren hineingehen, dann kann ich Ihnen eines versichern, es wird immer so sein, dass am Ende des Tages die Bürger dieses Landes in der Europapolitik das Steuer in der Hand haben. Das heißt am Ende des Tages gibt es darüber immer Volksabstimmungen. Und das ist das Entscheidende.“

Auch an dieser Stelle schaltete sich in der Sendung Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP ein und erinnerte an eine Sitzung des Deutschen Bundestags vor wenigen Wochen: „Wir haben vor ein paar Wochen die Diskussion gehabt im Deutschen Bundestag, weil die AfD gefordert hat, die deutsche Mark wieder einzuführen, den Euro abzuschaffen. Da waren junge Leute auf der Tribüne, die wussten nicht, wird gerade über die deutsche Mark oder die Reichsmark diskutiert?"

Im Faktencheck haben wir nach dieser Bundestagsdebatte gesucht und sie auch gefunden. Der Bundestag hat tatsächlich am 25. April 2024 über einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Euro-Währungsunion kritisch bewerten – Integrationsverantwortung wahrnehmen“ diskutiert. Konkret ging es in dem Antrag laut Bundestag vor allem um die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bundesbank. Unter anderem fordert die AfD-Fraktion die Bundesregierung darin auf, zu prüfen, ob die Käufe von Wertpapieren durch die Notenbanken „gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Staatsanleihekäufen des Eurosystems verstoßen“.

Konkreter zu D-Mark oder Euro äußert sich die AfD in ihrem Europa-Wahlprogramm. Darin heißt es: „Der Euro ist für ein Wirtschaftsgebiet mit 20 sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften eine Fehlkonstruktion und kann in dieser Form weder ökonomisch noch sozial funktionieren. […] Noch jede überstaatliche Währungsunion der Geschichte ist bisher gescheitert. Nur durch nationale Währungen erlangt jeder Staat wieder seine Souveränität über seine Wirtschafts- und Währungspolitik zurück. […] Eine neue Deutsche Mark könnte ihre höhere Kaufkraft gegenüber anderen Ländern wiedergewinnen.“

 Unsere Quellen:

AfD Europa-Wahlprogramm

Homepage Bundestag

Youtube

Welt TV

Financial Times (London)

Was macht ein EU-Politiker, um die „MAP-Regelung“ durchzusetzen?

Zum Schluss der Sendung ergreift Studiogast Christian Wolf aus Bielefeld mit einer ungewöhnlichen und sehr speziellen Frage zum stationären Handel das Wort. Er ist nach eigenen Angaben Musikalienhändler von Beruf und möchte gerne von den Politikern in der Runde erfahren, warum eine ganz spezielle Preisregelung in Deutschland nicht möglich ist, um den Handel zu schützen. 

„Der stationäre Handel ist Stiefkind der Politik. Keiner befasst sich wirklich damit. Wir kennen alle die große Problematik, die Städte sterben und keiner unternimmt was. Seit 26 Jahren gibt es Amazon auf dem Plan. Wird bis heute nicht so besteuert wie der Handel. Zieht Gewerbesteuerzahlungen ab. Diese fehlende Gewerbesteuer wird dem stationären Handel wieder aufs Auge gedrückt. Jetzt gibt’s die Möglichkeit das Ganze zu regeln, über eine MAP-Regelung (Minimum Advertised Price). Funktioniert in Amerika fantastisch. In Deutschland, in der EU wird versucht, das einzurichten. Aber unser Kartellrecht schießt dagegen, weil das eine Preisabsprache wäre. Diese Preisabsprache ist für jeden nur von Vorteil, aber es wird einfach nicht angegangen. (...) Der gesamte Handel schreit danach. Die Frage ist einfach: Was macht ein EU-Politiker denn jetzt, dass diese MAP-Regelung durchgesetzt wird, dass das Kartellrecht alltagstauglich zurechtgestutzt wird, damit wir endlich mal wieder vernünftig handeln können?"

Auch wenn CDU-Politiker Caspari versucht auf die Frage einzugehen, bleibt sie zum Schluss der Sendung unbeantwortet. Deshalb hier eine kurze Erklärung zu „MAP“:

MAP (Minimum Advertised Price) ist eine Preisstrategie, die Herstellern helfen soll, den Verkaufspreis ihrer Produkte zu kontrollieren. Mit dem wachsenden globalen Wettbewerb und dem Online-Handel kann es leicht passieren, dass verschiedene Einzelhändler ein und dasselbe Produkt zu unterschiedlichen Preisen anbieten. Wenn Produkte zu niedrigen Preisen verkauft werden, kann das den Wert des Produkts mindern. Um dem entgegenzuwirken, legen Hersteller eine Untergrenze für die Preise fest, zu denen ihre Produkte beworben werden dürfen.

Preisabsprachen sind nach dem EU-Wettbewerbsrecht verboten. Sie gelten als wettbewerbswidrig. Die Wettbewerbsregeln der EU gelten in allen EU-Mitgliedstaaten.

Hersteller dürfen nur unverbindliche Preisempfehlungen (UVP) aussprechen, die den Einzelhändlern als Orientierung dienen. Diese Empfehlungen sind, wie der Name schon sagt, unverbindlich und die Einzelhändler sind frei, ihre eigenen Verkaufspreise festzulegen.

MAP und UVP (unverbindlicher Verkaufspreis) werden oft verwechselt, sind aber nicht dasselbe. Der UVP ist der vom Hersteller empfohlene Verkaufspreis, zu dem Einzelhändler das Produkt anbieten sollten. MAP hingegen legt nur den Mindestpreis fest, zu dem ein Produkt beworben werden darf, und betrifft nicht den Endverkaufspreis im Geschäft.

Das Bundeskartellamt hat in der Vergangenheit Geldbußen gegen drei Hersteller und zwei Händler von Musikinstrumenten sowie gegen verantwortlich handelnde Mitarbeiter in Höhe von insgesamt rd. 21 Mio. Euro verhängt. Die Hersteller hätten führende Fachhändler dazu angehalten, festgesetzte Mindestverkaufspreise nicht zu unterschreiten.

Unsere Quellen:

EU-Wettbewerbsrecht, Europäische Union

Bundeskartellamt

Stand: 7.6.2024 // 15:00 UHR

Autorinnen: Ayten Hedia und Bastian Wierzioch

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