Mi., 20.03.19 | 22:45 Uhr
Populisten gegen Europa: Ist der Brexit erst der Anfang?
Das Brexit-Drama geht in die nächste Runde: Zehn Tage vor dem offiziellen Termin des britischen EU-Ausstiegs ist das Chaos komplett. Eine neue Abstimmung über den vereinbarten Deal wird offenbar durch eine Jahrhunderte alte Regelung verhindert. Am Donnerstag muss die britische Premierministerin bei den anderen 27 EU-Ländern einen Antrag auf eine Verschiebung des Brexits stellen. Wie realistisch ist dieses Szenario? Sind die Nationalisten in Europa im Aufwind? Würden sie nach der Europawahl den Anfang vom Ende der EU einleiten?
Martin Schulz, SPD (ehemaliger Parteivorsitzender)
Der langjährige Präsident des Europaparlaments warnt vor rechtspopulistischen und nationalistischen Politikern: "Sie wollen die europäische Idee zerstören." Leute wie Italiens Innenminister Salvini, Ungarns Präsident Orbán und Österreichs FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache seien entschlossen, die Europäische Union aufzulösen, glaubt Martin Schulz. Der ehemalige SPD-Parteichef und Kanzlerkandidat fordert daher die Bundesregierung auf, die Reformpläne des französischen Präsidenten endlich zu unterstützen: "Scheitert Macron, ist Europa in Gefahr."
Wolf von Lojewski (Fernsehjournalist)
"Die Briten waren wild entschlossen, sich nicht mehr von merkwürdigen Entscheidungen aus Brüssel fesseln zu lassen. Aber es gibt nun mal Chaos, wenn man die Folgen einer fixen Entscheidung nicht bedenkt", sagt Wolf von Lojewski. Der langjährige Moderator (ZDF-"heute-journal") und frühere Leiter des ARD-Studio London warnt Brüssel vor einer harten Haltung gegenüber den Briten: "Die EU sollte sich jetzt nicht moralisch aufpumpen. Es würde Stärke zeigen, den Briten so weit wie möglich aus der Patsche zu helfen."
Petra Steger, FPÖ (Nationalratsabgeordnete)
"Europa kann langfristig nur durch die Rückbesinnung auf das Nationale erhalten werden", sagt die österreichische Kandidatin für das Europaparlament. Die Mitgliedsstaaten seien nicht nur in der Mentalität und Wirtschaftsleistung sehr unterschiedlich. Die Bevölkerung in Europa habe das Vertrauen in die EU verloren, sagt die Nationalratsabgeordnete. Deshalb sei es ein fataler Kurs der EU, Kritiker als rechtsradikal zu verteufeln: "Nicht Parteien wie die FPÖ, die Fehlentwicklungen aufzeigen, führen zur Spaltung, sondern diejenigen, die andere Meinungen nicht zulassen."
Shona Fraser (britische Musikjournalistin)
Vor über 20 Jahren kam sie als Musikjournalistin nach Deutschland. Seit der Brexit-Abstimmung hat Shona Fraser Sorge um ihre persönliche und berufliche Zukunft und beantragt deshalb jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Überrascht war die ehemalige "Deutschland sucht den Superstar"-Jurorin von dem Ergebnis des Brexit-Referendums nicht: "Im Vorfeld wurden Lügen verbreitet." Die überzeugte Europäerin hofft auf ein zweites Referendum und glaubt, dass es dieses Mal anders ausgehen könnte. Sicher ist sich die Unterhaltungschefin von RTL 2 aber nicht, denn "ein paar Irre halten gerade das Schicksal von England in der Hand".
Roland Tichy (Journalist)
Der Wirtschaftsjournalist warnt die EU vor einer "schrecklichen Lähmung". Den Wunsch Großbritanniens, die EU zu verlassen, kann er verstehen: "Seit vielen Jahren fordern die Engländer mehr Effizienz und weniger Bürokratie von der EU – vergeblich." Der ehemalige Chefredakteur der "Wirtschaftswoche" ist überzeugt: "Die Briten kommen alleine aus, viel schwieriger wird es für uns." Denn Europa sei dabei, so Roland Tichy, den Kontakt zu den Mitgliedsstaaten immer weiter zu verlieren: "EU-Politiker leben in einer Blase, die von Nord- bis Südbrüssel reicht."
Ralph Sina (ARD-Hörfunkkorrespondent Brüssel)
"Die Übersetzung für Brexit müsste eigentlich ,Irrsinn' lauten." Der Brüsseler Studioleiter des ARD-Hörfunks warnt vor den wirtschaftlichen Folgen des EU-Ausstiegs der Briten: "Selbstverstümmelung bleibt Selbstverstümmelung, auch wenn die besten Handelsexperten verzweifelt versuchen, die Katastrophe beherrschbar erscheinen zu lassen." Ralph Sina fürchtet, dass die nächste Bedrohung für die EU aus Italien kommt: "Das Land ist in einem populistischen Rausch. Das könnte ein Vorbote sein, was der EU bei der Europawahl bevorsteht."
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