So., 24.10.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Dominikanische Republik: Gerechtigkeit für Säureopfer
Wie sich Yocairi Amarante fühlt, wenn sie in den Spiegel schaut? Jeden Tag, jede Stunde anders. Es ist eine Achterbahn der Gefühle, seit dem Säureangriff vor einem Jahr, der ihr Gesicht, ihren Körper und ihr Leben entstellte: "Ich werde traurig, wenn ich daran denke, wie ich früher aussah und wie ich jetzt aussehe. Ich versuche aber nicht an das Vergangene zu denken, ich versuche es hinter mir zu lassen, zu sagen ich sehe gut aus, wie ich bin. So kann ich raus auf die Straße."
40 Prozent der Haut von Yocairi ist verätzt, sowie ein Auge, mit dem anderen sieht sie verschwommen. Sie ist gerade 19 Jahre alt, als sie sich von ihrem Partner trennt, der Vater ihrer gemeinsamen Tochter. Das letzte Foto ist von ihrem Geburtstag – eine Woche vor dem Attentat. "Das war seine Art mir Böses anzutun, damit ich mit niemandem sonst zusammen bin."
Was er tat? Er ließ Yocairy von zwei Freunden mit "Acido del Diablo" übergießen – Teufelssäure. Es ist Gemisch aus unterschiedlichen Säuren, um Lacke und Rohrverstopfungen zu lösen. Ihre Haut verbrennt bei vollem Bewusstsein. Passanten versuchen zu helfen. Über Wochen liegt Yocairi auf der Intensivstation: "Meine Tochter erschrak als sie mich sah, sie sagte ich sei hässlich, furchtbar, jemand der Angst macht. Ein Monster also."
Zwei Mal versucht sie sich das Leben zu nehmen. Jeder Gang auf die Straßen in Santo Domingo bedeutet: So viele Blicke, denen man standhalten muss. Nie wieder wird ihr Leben normal sein.
Säure-Anschlage keine Einzelfälle
Die bei Touristen so beliebte Dominikanische Republik hat ein Problem: Yocairi ist keineswegs ein Einzelfall. Vor zwei Monaten erschüttert ein weiterer Säure-Anschlag die Karibikinsel und der endet für das Opfer tödlich. "Acido del Diablo" beherrscht nun die gesellschaftliche Debatte in der Dominikanischen Republik. Es kommt zu Demonstrationen. Der Druck ist groß, die Staatsanwaltschaft des Landes reagiert. Sie muss. Yocairis Täter stehen vor Gericht und es soll ein Exempel statuiert werden. Anders als früher soll jetzt bei jedem Säureangriff die Höchststrafe gefordert werden: 30 Jahre. "Es ist wichtig, dass das hier endet. Wir müssen ein Bewusstsein schaffen, dass das hier ein Mord am lebendigen Körper ist. Diese Tat ist ein Mord, den wir nicht zulassen dürfen", erklärt Andrea Villa Camacho, Oberstaatsanwältin für Frauenrechte.
Es müsse etwas passieren, denn bislang habe der Staat die Opfer allein gelassen. Bei Mercedes blieb die Tat ungesühnt, auch bei Yomaira und bei Maria. Franklin wurde im Schlaf übergossen, Domingo saß neben dem eigentlichen Opfer. "Es ist wirklich schwierig für uns, wenn du keine Unterstützung durch die Behörden hast, und so viele Fälle bleiben in der Luft hängen", sagt Mercedes Taveras von der Fundación Sembrando Esperanza. Die Betroffenen haben ihre eigene Stiftung gegründet, geben sich Trost und Freude, weil ihnen sonst niemand helfe. Es gab kein Geld für den Prozess, für Operationen, keine Hilfe für die Familien. "Wenn wir Arbeit suchen, bekommen wir keine, sie schauen nur wie wir aussehen. Als ob wir nicht wie alle anderen wären“, sagt Domingo Suero. Noch während des Interviews kommt ein neues Säure-Opfer zur Gruppe dazu.
30 Jahre Haft für die Täter
Es ist der Abend vor dem letzten Prozesstag. Yocairi sucht bei ihrer Schwester Halt. Das Urteil gegen ihre Täterkommt näher. Wird sie die Gerechtigkeit erleben, die so viele nicht hatten? Sie sorgt sich, dass ihr die Familie von ihrem Ex dann was antun könnte: "Ja, wir sollten keine Angst haben, aber vorsichtig sein."
Dann kommt der Tag der Entscheidung. Noch einmal begegnet Yocairi ihren drei Peinigern von Angesicht zu Angesicht. Ihre Familie steht ihr bei. Die Staatsanwältin verliest die SMS-Nachricht, die Yocairis Ex-Freund den Mittätern kurz vor der Tat sendete: "In das Gesicht, auf die Stirn“, das wollte er. Er wollte zerstören was er nicht mehr haben konnte. Ihre Schönheit." Sie fordert die Höchststrafe für alle drei Täter. Die Verteidigung dagegen plädiert auf Freispruch. Die SMS sei nicht vom Angeklagten, die Motorradfahrer durch den Helm nicht zu identifizieren.
Nach zwei Stunden Beratung verliest die Richterin das Urteil: "Das Gericht befindet die Angeklagten für schuldig an der Gewalt gegen Frauen, dem Akt der schweren Barbarei und verurteilt alle drei zu 30 Jahren in einem Sicherheitsgefängnis." Für viele ist die Strafe noch viel zu gering. Die Debatte um lebenslange Haft brodelt.
"Ich weine vor Glück, weil mein Fall nicht ungestraft blieb. Es wurde Gerechtigkeit hergestellt", sagt Yocairi. Der Prozess ist vorbei. Die Achterbahnfahrt der Gefühle wird für Yocairi aber weitergehen.
Autorin: Xenia Böttcher, ARD-Studio Mexiko Stadt
Stand: 24.10.2021 21:39 Uhr
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