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Malaysia: Milliardenteure Geisterstadt

Unterwegs zu einem sehr merkwürdigen Ort. Nach Forest City in Malaysia. Auf den ersten Blick eine grüne futurische Metropole – geplant von chinesischen Investoren für 700.000 Einwohner. Doch sie wirkt verwaist, geisterhaft leer. Und unser Dreh hier gefällt den lokalen Behörden offenbar gar nicht.

Forest City: Milliarden Euro teure Megastadt

Wir haben uns hier eine Ferienwohnung gemietet, das ist die einzige Möglichkeit um in einen Wohnblock reinzukommen. Das Haus bietet knapp 300 Wohnung auf 36 Etagen. Aber in fast allen fehlt jeder Hinweis auf Leben. Laut Buchungsportal hat noch nie vor uns jemand diese Wohnung gemietet – trotz spektakulärer Aussicht. Eine viele Milliarden Euro teure Megastadt – erbaut in nur 10 Jahren – aber für wen wurde das alles nur errichtet?

Immobilenhändler Samuel Tan, beobachtet das Projekt seit Tag eins. Doch kaum startet unser Interview, unterbricht uns die Security. Wir bekommen ein Drehverbot für die ganze Stadt. Und müssen erstmal weg. Die Investoren hätten Angst, vor schlechter Presse, sagt uns Tan. Das Interview führen deshalb in einem Hotelzimmer! "Anfangs war das Projekt sehr erfolgreich, da viele Chinesen hierherkamen, um zu investieren. Jeden Tag kamen 17 Busse, voll mit Leuten, die interessiert waren hier Immobilien zu kaufen", erzählt Samuel Tan.

Forest City gebaut von Chinesen – für Chinesen. Sie liegt nur knapp vier Kilometer Luftlinie von Singapur entfernt, auf malaysischem Territorium. Das klang für viele nach einer gute Geldanalage. Doch dann änderte sich alles. China erließ ein neues Gesetz. Chinesische Bürger dürfen seitdem nur noch 50.000 Dollar im Jahr ins Ausland transferieren. Seitdem geht es bergab. "Immer wenn sich zu viele Ausländer in eine Stadt einkaufen, bleibt diese leer. Man nennt sie Geisterstadt, weil die Leute nur zu den Feiertagen hierherkommen und sonst nicht hier wohnen. Dadurch wird es ein ruhiger Ort – nicht sehr einladend für andere, um dort zu bleiben", erklärt Samuel Tan.

Betonruine in einem sensiblen Ökosystem

Die Chinesen haben Spuren hinterlassen: verlassen Bars, Reisebüros, chinesische Restaurants -und da wo noch geöffnet ist, laufen die Geschäfte schlecht. Eine sinnlose Betonruine – und das auch noch in einem besonders sensiblen Ökosystem. Für Aktivistin Serina Abdul Rahman schwer zu ertragen: "Gotham City. Das ist das Erste, was mir in den Sinn kommt. Es ist so surreal. Es gehört nicht hierher. Also diese Wut, die Depression, das Aufregen, das Gefühl der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Diese Gefühle habe ich alle einmal schon durch. Ich bin mittlerweile abgestumpft, weil es keinen Weg mehr gibt, das rückgängig zu machen."

Für die Stadt wurde eine Insel künstlich aufgeschüttet. 29 Schiffe lagen damals hier vor Ort und kippten Sand ins Wasser. Unter dem Sand begruben sie Seegras. Das Brutgebiet von Fischen und andere Meerestieren. "Ohne Seegras gäbe es keine Fische und Meeresfrüchte. Es ist ein Zufluchtsort für junge Fische, die sich zwischen den Grashalmen verstecken. Hier sieht man: Wenn es kleine Fische gibt, kommen auch die großen Fische", erklärt Serina Abdul Rahman. Sie kommt in Absprache mit den Investoren zweimal die Woche. Sie kontrolliert die kleine Seegrasfläche, die überlebt hat. Das Seegras speichert bis zu 30 Mal mehr CO2 als Regenwald. "Es ist wie Gras. Hier kann man das Sprossensystem sehen. Es ist eine Art Wurzelnetzwerk. Und das breitet sich hier überall aus. Der Kohlenstoff ist innerhalb dieser Wurzeln eingeschlossen." Erst ein Viertel der Stadt ist fertig gebaut. Die Planer beabsichtigen noch drei weitere Inseln ins Meer schütten. Serina hofft, dass das Projekt durch den Leerstand gestoppt wird. Bauen sie die restlichen Inseln nicht, kann sich die Natur noch erholen. Die Fischer könnten vielleicht noch eine Weile weiter fischen, aber wenn sie wieder mit der Landgewinnung beginnen, dann sind wir erledigt.

Forest City: Wohnen will hier kaum jemand

Hochhäuser
Heute leben statt der 700.000 geplanten Menschen nur 5.000 bis 10.000 in der Geisterstadt.

Trotzdem: Die Stadt versucht jetzt für Touristen attraktiv zu sein – und in der Hotelanlage finden wir tatsächlich auch ein paar Besucher. Am Abend entdecken wir. Zwar nicht in vielen, aber in ein paar Wohnungen brennt Licht – wer wohnt in der Geisterstadt? Wir treffen Tan Kin Lian. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat aus Singapur kaufte vor sechs Jahren eine Wohnung. Zur Wohnanlage zählen Pool und andere Annehmlichkeiten. Er erzählt: "In dieser Wohnung, auf dieser Etage, bin ich der einzige Bewohner. Nur eine von acht Wohnungen ist belegt. Mir gefällt das, weil es so friedlich und ruhig ist."

Vielleicht hilft aber auch eine ganz neue Idee. Die Hochhausschluchten bieten eine spektakuläre Filmkulisse, ohne dass jemand durchs Bild läuft. Netflix drehte gerade eine Realityshow inszenierte die Stadt eindrucksvoll. Die rettende Idee? Zu hoffen, denn wohnen will hier weiterhin kaum jemand: Heute leben statt der 700.000 geplanten Menschen nur 5.000 bis 10.000 in der Geisterstadt.

Autor: Johannes Edelhoff, ARD-Studio Singapur

Stand: 13.10.2024 13:17 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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