So., 24.10.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Spanien/La Palma: Glühende Lava bedroht das Inselleben
Vor einem Monat wurde der Cumbre Vieja auf La Palma wieder aktiv. Erstmals seit 50 Jahren. Nun ist der Vulkan wieder ausgebrochen, ein heißer Lavastrom ergießt sich ins Tal, zerstört Häuser, Kirchen, Schulen. 7.000 Menschen mussten ihre Wohnung verlassen. Hoteliers fürchten um Ihre Existenz, Bananen-Anbauer um ihre Ernte. Die Bewohner sind erschöpft und resigniert.
In der Nacht wird der Vulkan zum grandiosen Naturspektakel, dann liefert er schaurig schöne Bilder. Ununterbrochen, seit mehr als vier Wochen. Fasziniert schauen die Menschen zu, mit zwiespältigen Gefühlen: "Das ist nicht beeindruckend, das ist fürchterlich. Ich kann nicht mehr schlafen. Jeden Abend muss ich eine Schlaftablette nehmen", sagt eine Betroffene. "Das ist gleichzeitig schön und schrecklich. Denn so viele Menschen sind vom Ausbruch direkt betroffen", sagt ein Mann.
Im Schatten des Vulkans liegt die Kleinstadt El Paso, noch fließt die Lava an ihr vorbei. Auf einem Platz in der Dorfmitte treffen sich diejenigen, die das gleiche Schicksal teilen: Ihre Häuser sind von der Lava zermalmt worden, etwa das von Libertad Munoz: "Das tut sehr weh, und doch haben wir noch Kraft. Vielleicht besitzen wir Palmeros diesen Überlebenswillen, dieses Gefühl: Nichts kann mich umwerfen."
Auch Deutsche sind hier, sie haben auf La Palma ihren Traum vom Aussteigen gelebt. Für Karin und Thorsten Arnold war eine Finca ihr Ein und Alles, 40 Jahre lang. Nun drückt eine meterhohe Lavawand auf ihr Grundstück und droht alles zu vernichten. "Jeden Tag, wenn Du reinkommst, hast Du die Hoffnung, und dann steht die Wand plötzlich vor Dir. Das tut einfach nur weh, das tut einfach nur weh", sagt Thorsten Arnold.
Die Lava hält keiner auf
Der Vulkan gibt keine Ruhe. Ständig regnet es Asche, sie bedeckt nun große Teile der Insel. In einem kleinen Ort nicht unweit des Vulkans hat Libertad Munoz Zuflucht in einer Wohnung gefunden. Sie konnte wieder bei ihrer Mutter einziehen, damit habe sie mehr Glück als viele andere gehabt, sagt Libertad. Ob sie hier sicher sind, weiß keiner. Nun sitzt Libertad wieder in ihrem alten Kinderzimmer und schaut sich Fotos ihres Hauses an – die Lava hat es sich genommen. "Ich brauche meine Freiheit, ich brauche meinen Platz. Doch es fühlt sich eigenartig an, alles verloren zu haben und in einer Wohnung aufzuwachen."
Es ist ein Naturdesaster in Zeitlupe. Den Menschen bleibt nur das Gefühl der völligen Ohnmacht. Die Lava hält keiner auf. Das spanische Militär hat eine Spezialeinheit für den Katastrophenfall geschickt, dazu gehören auch Psychologinnen wie Cristina Gamboa. Sie betreut die Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten: "Die Symptome, die wir antreffen, sind eine große Unruhe, emotionale Blockade, Orientierungslosigkeit. Viele Menschen wissen nicht, wie sie reagieren sollen, was sie aus ihren Häusern noch mitnehmen sollen."
Vier Wochen Vulkan, vier Wochen voller Unberechenbarkeit. Lavaströme ändern ihre Richtung, teilen sich immer wieder. In den letzten Tagen haben sie ein Neubau-Gebiet im Ort La Laguna erreicht, wieder mussten 500 Menschen in Sicherheit gebracht werden.
Aufgeben keine Option
In Sichtweite des Vulkans haben Wissenschaftler ein Lagezentrum eingerichtet – hier laufen alle Daten ein, Gasentwicklung, Stärke der Erdbeben, Fließgeschwindigkeit der Lava. Der Vulkanologe Stavros Meletlidis zeigt eine Gesteinsprobe der Lava – sie lassen Rückschlüsse darauf zu, wie es im Innern des Vulkans aussieht. Doch eine Antwort auf die meistgestellte Frage hat der Wissenschaftler nicht – wann hört dieser Vulkan endlich auf? "Vieles hängt stark davon ab, was wir an Magma aus der Tiefe des Vulkans bekommen. Wir können Vorhersagen für wenige Stunden, höchstens für einen Tag machen. Wir können aber nicht vorhersagen, ob der Vulkan aufhört und wann."
Das Ende des Vulkanausbruchs ist noch völlig unklar, doch Menschen wie Libertad oder Thorsten blicken schon in die Zukunft. Gemeinsam besichtigen sie ein Grundstück, das zum Verkauf steht. Die Parzelle könnte zwischen verschiedenen Familien aufgeteilt werden. Eigentlich ideal, wenn da nicht ein kleines Detail wäre – der Vulkan ist in Sichtweite. "Klar besorgt das einen, solange der Ausbruch andauert, aber wenn er dann einmal aufhört, dann hört er auf. Der Vulkan ist eine Realität, die muss man annehmen und sich ihr stellen. Damit müssen wir letztendlich leben, oder?", sagt Libertad Munoz. Wir haben doch alle gewusst, dass wir auf einer Vulkaninsel leben, sagt Libertad noch – für die Einheimischen, die Palmeros, ist Aufgeben keine Option.
Autor: Stefan Schaaf, ARD Studio Madrid
Stand: 24.10.2021 20:44 Uhr
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