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Südkorea: Nachhilfelehrer als Popstars

Südkorea: Nachhilfelehrer als Popstars  | Bild: NDR

Kommt sie wirklich? Schnappatmung in der Turnhalle der Nonsan Daegon Highschool bei Seoul. Nicht wegen der Sportstunden, sondern wegen ihr: der Taylor Swift im Bildungssystem von Südkorea. Nur Popstars versetzen das junge Publikum so in Ekstase wie die Lehrerin Ji-young Lee. "Ihr solltet nicht lernen, weil es Euch jemand befiehlt. Tut es Euch selbst zuliebe. Weil Ihr Euch etwas Gutes tun wollt. Um Euch ein gutes Leben zu ermöglichen, in zehn oder zwanzig Jahren", sagt sie zu den Schülerinnen und Schülern.

Nachhilfelehrerin gefeiert wie ein Popstar

Ein gutes Leben führt Lee schon jetzt. Der Frisiersalon in ihrem Eigenheim bedient nur sie allein. Nebenan wartet ein Assistenzteam und draußen der Chauffeur. Die 42-Jährige gilt als eine der erfolgreichsten privaten Nachhilfelehrerinnen des Landes. Das Ergebnis harter Arbeit und konsequenter Selbstoptimierung: "Ich schau mir immer die Live-Kommentare meiner Videos an. So überprüfe ich mich selbst, damit ich beim nächsten Auftritt noch besser bin." Und sie ergänzt: "Viele Schüler lernen nicht so gut, weil sie einfach nicht verstehen, wozu. Wenn sie ihre Lehrerin mögen, geben sie sich meistens viel mehr Mühe. Manche eifern ihr sogar nach. Sie erkennen in ihr ein Vorbild. Sie brauchen einfach einen Grund zum Lernen, dann arbeiten sie auch härter.“

Für den Zwölftklässler Jun-seo Na steht bald der Eignungstest der Hochschulen an. Das Lernvideo läuft in doppelter Geschwindigkeit. Der Schüler steht unter Zeitdruck. Nach Schulschluss geht für ihn der Unterricht in einem Privatinstitut weiter. Danach paukt er noch ein paar Stunden alleine. "Schon in jungen Jahren reden wir über Hochschulrankings und tun so, als ob die Aufnahme in eine gute Universität der einzige Weg zum Glück wäre. Aber der Anteil derer, die später wirklich so ein Leben führen können, liegt vielleicht bei zwei Prozent oder so", sagt Jun-seo Na.

Im bildungshungrigen Südkorea hat es Ji-young Lee mit Prüfungstipps zu großer Beliebtheit gebracht. Kein Klassenraum kann alle aufnehmen, die ihren Unterricht an einem Privatinstitut besuchen wollen. Ihre Lektionen in Sozialwissenschaften bietet sie über eine Bezahlplattform einem Millionenpublikum an. Doch Lee vermittelt mehr als Schulwissen: "Die Schüler lernen mich als Menschen kennen. Nicht als jemanden, den sie nur in den Vorlesungen sehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich viel mehr Online-Studierende habe als solche, die ich persönlich unterrichte. Derzeit sind es etwa 100.000. Sie sollen das Gefühl bekommen, dass sie mir ganz nahestehen und dass sie meinetwegen lernen wollen."

Jährlicher Eignungstest für Hochschulen sehr wichtig

Ein Schüler sitzt an einem Svhreibtisch.
Büffeln für den Eignungstest für Hochschulen. | Bild: NDR

Der jährliche Eignungstest für Hochschulen ist ein Fixpunkt im Leben vieler junger Südkoreaner. Niemand muss ihn absolvieren, aber fast alle wollen es. Neun Stunden, die über die Zukunft entscheiden. Dieser einen unkalkulierbaren Prüfung verdankt in Südkorea eine ganze Nachhilfe-Industrie ihren Gewinn. Die meisten Eltern zahlen dafür jahrelang. Am Prüfungstag bleibt ihnen dann nur noch Beten. Je besser die Universität, desto besser die Karriere – und die soziale Absicherung.

Auch Jun-seo gibt im letzten Jahr noch einmal richtig Gas. Selbst an einem Feiertag büffelt er, von morgens bis nachts um eins, in einem öffentlichen Schweigeraum. "Es gibt viele Beschwerden über unser Bildungssystem, und wir hoffen, dass sich dieses System eines Tages ändern wird. Aber ich persönlich glaube, dass dieses Konkurrenzdenken Südkorea auch zu dem modernen Land gemacht hat, das es heute ist", sagt Jun-seo.

Südkoreas System der knallharten Auslese

Aufstiegskampf im Dauermodus. Ji-young Lee erzählt ihren Zuhörern von ihrer Kindheit in kleinen Verhältnissen – und wie sie durch Lernen daraus befreite. Der Weg nach oben werde niemandem geschenkt. "Sie erzählt uns eine Menge nützlicher Sachen und es war toll das anzuhören. Eine richtig gute Rede, sie hat mich zum Nachdenken angeregt, über das Leben und die Zukunft", sagt Schüler Kang Choi. Und Ha-rin Kim ergänzt: "Meine Eltern meinen auch immer: 'Wenn Du jetzt nicht erfolgreich bist, dann wirst Du ein schweres Leben haben.' Sie mäkeln an mir herum, ich fühle mich unter Druck gesetzt." Schüler Ju-won Jeong meint: "Es gibt immer wieder Berichte darüber, dass Schüler sich das Leben nehmen. Wer den Sprung in eine Top-Uni nicht schafft, der hat quasi sein Leben vergeigt."

In Nachhilfestars wie Ji-young Lee sehen die Schüler Lotsen, die sie hindurchsteuern durch schwierige Zeiten. In einem System knallharter Auslese lässt Lees Herzensgruß sie für heute erst einmal hoffnungsvoll nach Hause gehen.

Autor: Ulrich Mendgen, ARD-Studio Tokio

Stand: 16.02.2025 16:29 Uhr

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