So., 08.12.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Taiwan: Neue Perspektive für Indigene
Taiwans indigene Bevölkerung wurde viele Jahrzehnte unterdrückt und diskriminiert. Auch die Atayal, die in den Bergen an der Ostküste leben. Aber seit einigen Jahren dreht sich der Wind: Etwa seit der Jahrtausendwende fördert Taiwans Regierung die Ureinwohner gezielt. Und davon profitiert auch der Verein von Chen Peng-ling. Die junge Frau ist aus Taipeh in ihre Heimat zurückgekehrt.
Ein indigenes Dorf auf Vordermann zu bringen, das ist Chen Peng-lings Mission. Visite beim Bauarbeiter-Trupp: Die Männer vom Stamm der Atayal erneuern einen Pfad. Frühere Generationen des einstigen Bergvolks haben hier Pilze gesammelt und Wildschweine gejagt. Das war einmal. Doch Chen glaubt: Es ist noch nicht zu spät: "Wir Jungen haben wenig Erfahrung mit den Bergen. So hoffen wir, dass Kinder wieder in den Wald gehen. Sonst kommen wir ja nur alle ein, zwei Jahre mal zurück auf unser entferntes Stammesland. Deshalb wäre ein Pfad rund um unser Dorf sehr schön."
In der ehemaligen Polizeistation des Dorf Jinyue im Landkreis Yilan tagen Chen und ihr Dorfentwicklungsverein, planen gemeinsam die Zukunft, das Ziel: eine neue Perspektive für Taiwans Atayal: "Als ich nach langer Zeit für ein Projekt zurückkam ins Dorf, da dachte ich: Unsere Kultur ist ja überwuchert. Und da ich in Taipeh Raumplanung studierte, war mir klar: Wenn wir Jungen uns nicht drum kümmern, dann tut es niemand."
Atayal wurden zwangsumgesiedelt
An der Ostküste, dort wo Taiwan steil in den Pazifik fällt, liegt die Heimat der Atayal. Über Jahrhunderte wurden sie unterdrückt – von westlichen Kolonialherren, chinesischen Siedlern, japanischen Besatzern. Von der Sprache und Stammeskultur war fast nichts mehr übrig – bis auf ein paar blasse Fotos und Legenden. Jetzt ist täglich von zehn bis zwölf Seniorentreff in Jinyue. Für Tradition und Kultur – neben Check-up und gelenkschonender Herz-Kreislauf-Übungen. Hier halten sie die Erinnerungen nun wach, auch mit Filmaufnahmen, die gezeigt werden: Vor einigen Jahren ging es für Bewohner von Jinyue mit dem Hubschrauber in die Berge. Ins zurückgelassene Dorf Ryohen. Von hier wurden die Menschen 1957 zwangsumgesiedelt. Einige hatten ihre alte Heimat seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. "Viel Auswahl hatten wir nicht, aber die Berge gaben alles her. Wir haben auch Süßkartoffeln angebaut. Alles bio. Wir waren glücklich und mussten nichts kaufen", erinnert sich die 90 Jahre alte Dorfälteste Shih Lien-hua.
Die eigene Regierung siedelte sie um, weil angeblich der Anschluss ans Stromnetz zu schwierig gewesen wäre. Tatsächlich aber ging es wohl darum, sie besser assimilieren zu können. Denn die Atayal galten als widerborstig.
Einnahmequelle durch nachhaltigen Tourismus
Neues Selbstbewusstsein durch Erfolg: Chen Peng-ling, die umtriebige Dorfentwicklerin, hat für die Atayal im nachhaltigen Tourismus die lukrativste Einnahmequelle ausgemacht. So werden Besucher auch schon mal fürs Müllsammeln auf dem Meer eingespannt: "Wenn wir Tourismus wollen, müssen wir unserem Land auch was zurückgeben. Wir säubern auch Flüsse und Bäche. Die Touristen können mitmachen. So lernen sie Kajakfahren, und sie helfen uns noch."
Und das Konzept geht auf: Die Zahl der Touristen steigt, die der Unterkünfte auch. Das bedeutet Geld und Jobs. Und für Touristen: unvergessliche Momente. Etwa 90.000 Atayal leben auf Taiwan. Die Gäste werden einige von ihnen kennenlernen – auf einem anstehenden Festival. Das Fest steigt im Nachbarort. Chen hat es organisiert, das Motto: "Gefühle teilen". Es geht nicht um Folklore, sondern um Anerkennung, Identität, Selbstvergewisserung: Die jungen Atayal zelebrieren ihr Erbe, die Alten führen ihre Jagd-Trophäen aus, singen und beten in ihrer Sprache: "Unser erstes Ziel: dass uns die Alten unterstützen. Alle lokalen Stämme haben Vertreter geschickt, das ist gut. Und mehr Menschen sollen uns kennenlernen. Touristen können anhalten und sich das anschauen", sagt Chen.
Taiwan beginnt umzudenken. Für das geschehene Unrecht gegenüber den Indigenen hat sich sogar die Präsidentin entschuldigt - in aller Form und vor der ganzen Nation.
Autor: Uwe Schwering, ARD Tokio
Stand: 08.12.2019 20:51 Uhr
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