So., 08.09.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Bosnien: Kampf um die Wasserkraft
Doljanka, übersetzt heißt das „Fluss im Tal“, ganz schlicht.
18 Kilometer zieht sich der Fluss Doljanka (deutsch: Fluss im Tal) durch das Gebirge im Südwesten Bosnien-Herzegowinas. Den Fluss und die unberührte Natur außenherum kannten bislang nur Einheimische. Jetzt aber sorgt das Tal im ganzen Land für Schlagzeilen. Wer hineinfährt, findet eine Großbaustelle auf über einem Kilometer Länge vor. Hier entsteht ein Mini-Wasserkraftwerk. 4,5 Megawatt erneuerbare Energie, erzeugt durch das Wasser der Doljanka.
Für Dženan Šašić ist dieser Bau eine Katastrophe. Der 22-Jährige ist hier aufgewachsen, wohnt und arbeitet inzwischen in Sarajevo. Für ihn war der Fluss immer ein Paradies. Der Bau des Kraftwerks aber zerstöre die Natur und seine Heimat: "Der Fluss ist an dieser Stelle eine natürliche Laichstätte der Flussforelle. Durch den Bau des Mini-Wasserkraftwerks ist die jetzt gefährdet. Und nur ein paar Meter von hier entfernt befindet sich unser ehemaliger Badeplatz, dorthin haben wir Ausflüge gemacht, die Ferien verbracht, Geburtstage gefeiert." Das sei vorbei sagt er, das Wasser bereits verschmutzt durch die Baustelle. Und wenn die unterirdischen Turbinen erst in Betrieb gehen, werde das ganze Flussbett austrocknen.
Dass diese Kritik nicht allen passt, wird bei den Filmarbeiten deutlich: Sicherheitsleute mit Kampfhunden sind in der Nähe, gefilmt wird auch. Mirza Teletovic, Initiator des Projekts, lässt sich nicht blicken. Auch er ist an der Doljanka aufgewachsen und als Basketballer in den USA zum Superstar geworden. Der Dirk Nowitzkiy Bosnien-Herzegowinas. Er wolle in seine Heimat investieren, hat er angekündigt und lässt jetzt das Kraftwerk an der Doljanka bauen, für mehrere Millionen Euro. "Energie bringt Arbeitsplätze" war eines seiner Argumente.
Die Gemeinde genehmigte die Pläne bereits im Jahr 2015. Wie es dazu kam, will keiner erklären: Interviewanfragen an den Ortsvorsteher bleiben unbeantwortet. Der Ärger der Anwohner entlädt sich in heftigen Beschimpfungen. Vor der Kamera reden will aber kaum jemand.
Klage gegen das Wasserkraftwerk
Gemeinsam mit vier anderen Familien hat Dženan Klage eingereicht gegen das Kraftwerk. Die Folge: Gewalt- und Morddrohungen gegen ihn und seine Familie. Auch Naza Spahić hat gegen das Kraftwerk geklagt. Jetzt prüft ein Gericht, ob die Pläne wirklich rechtmäßig sind. Auf das Urteil setzt sie wenig Hoffnung, denn schon der Bau habe zuviel zerstört: "Das Kraftwerkt hat uns alles weggenommen. Es hat uns den Fluss weggenommen. Wir haben keinen Badeort, keinen Ausflugsort mehr, und keine neuen Arbeitsplätze. Wir haben nichts davon. Hier profitiert nur einer: der Investor!"
Der hat angekündigt: In spätestens zwei Monaten soll das Doljanka-Kraftwerk in Betrieb geben. Sollte das Gericht entscheiden, dass der Bau unrechtmäßig war, müsste das Kraftwerk wieder abgerissen werden. Dennoch: der Kampf für den Fluss im Doljanka-Tal scheint er verloren.
Das Aarhus Center Sarajevo berät Kraftwerksgegner wie Dženan juristisch. Einschüchtern und Verwirren gehöre zur Taktik der Investoren, sagt Emina Veljović. Über 300 Anlagen seien insgesamt in Bosnien in Planung, und fast immer würden die Menschen vor Ort kaum in die Baupläne einbezogen, Kritik nicht zugelassen. "Das gesamte Projekt wird nur beworben: Ihr werdet Geld verdienen, ihr werdet Arbeit bekommen, das wird ein großer Ort. Doch eines Tages öffnen die Leute ihre Fenster und der Fluss ist weg. Genau so passiert es gerade an der Doljanka und in vielen anderen Städten in Bosnien-Herzegowina", sagt Emina Veljović.
Kruščica Bewohner wehrten sich erfolgreich
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes Kruščica, nordwestlich von Sarajevo, haben sich mit all ihren Kräften dagegen gewehrt. Über 300 Tage und Nächte blockierten sie eine Brücke, die Baufahrzeuge kamen nicht durch. Als die Polizei die Aktion beenden will, eskaliert die Lage: 20 Verletzte, darunter auch Frauen. "Sie haben uns drei Minuten gegeben, um von der Brücke wegzugehen. Die drei Minuten waren noch nicht mal um da haben sie uns angegriffen. Sie haben begonnen, die Frauen zu ziehen und zu schlagen. Wir haben uns fest an den Händen gehalten und uns nicht losgelassen", erinnert sich Nermina Bešo, Bewohnerin aus Kruščica.
Nach 325 Tagen Protest erklärt ein Gericht die Pläne für ungültig, kein Wasserkraftwerk. Die Einwohner von Kruščica werden als Helden gefeiert.
An vielen anderen Orten geht der Bau weiter. Die Energie, die die Kraftwerke bringen rechtfertige nicht den massiven Eingriff in die Natur, sagen Kritiker. Staatliche Subventionen müssten gestoppt werden. Ein Vorschlag dem auch die Ministerin für Umwelt und Tourismus der Föderation Bosnien-Herzegowina, Edita Dapo, zustimmt. Sie spricht offen von einem Kampf der Energiewirtschaft gegen den Umweltschutz. Ihr Ministerium prüfe alle Kraftwerkspläne besonders sorgfältig, die Genehmigungen seien vereinbar mit dem Gesetz: "Wir sollten alle überzeugen, die Flüsse und die Umwelt zu erhalten. Das wäre ein besseres Ergebnis als diese Mini-Wasserkraftwerke, bei denen ein einzelner Investor das Leben einer ganzen Gemeinde beeinflussen kann. Also, ich persönlich bin gegen die Kraftwerke, aber als Ministerin muss ich alle Investoren gleichbehandeln und die gesetzlich vorgeschriebene Prozedur durchführen."
Autor: Christian Limpert, ARD Studio Wien
Stand: 09.09.2019 13:54 Uhr
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