Eindrücke der Korrespondentin vor Ort

Ariane Reimers
Ariane Reimers | Bild: NDR / Marcus Krüger

Warum bewirbt sich China für Olympische Winterspiele, obwohl es doch bisher in dem Land kaum eine Tradition für Wintersport gibt? 

Olympische Spiele sind ein Prestigeprojekt, zwei Wochen lang richten sich die Augen der Welt auf ein Land. China kann in der Zeit demonstrieren, was es kann. Nach den aus Pekinger Perspektive erfolgreichen Sommerspielen 2008 möchte sich das Land nun eben auch als Wintersportnation entwickeln und profilieren. Außerdem interessieren sich immer mehr Chinesen für Wintersportarten, Alpinskifahren etwa ist sehr beliebt. Mittlerweile fahren viele wohlhabende Chinesen aus Peking am Wochenende in die Berge zum Skifahren. Das ist kein Spitzensport, aber das Interesse ist definitiv geweckt. Und es gibt auch einige Wintersportarten, in denen die Chinesen durchaus in der Weltspitze erfolgreich sind, z.B. im Shorttrack, Eiskunstlauf oder in den Freestyle-Skiwettbewerben. Sportarten, die bei uns nicht so sehr im Focus stehen. Und bis zu den Spielen 2022 sind noch sieben Jahre Zeit, da kann noch eine Generation an Sportlern entsprechend gefördert werden, damit China im Medaillenspiegel gut abschneidet. 

Wie schätzen Sie die Chancen für die Bewerbung ein? 

Auf dem Papier sind die Chancen 50:50, denn es sind ja nur noch zwei Bewerber übrig: Almaty (Kasachstan) und eben Peking/Zhangjiakou. China hat sehr viel Erfahrung in der Durchführung von Großereignissen, sie sind bekannt für ihre perfektionistische Organisation und das Land hat eine funktionierende Wirtschaft, auch wenn die Wachstumsraten nicht mehr zweistellig sind. Ich kenne weder Almaty noch war ich jemals in Kasachstan, deswegen fällt es mir schwer zu prognostizieren, wer da die besseren Chancen hat. 

Ist es ein Vorteil, dass in Peking bereits Olympische Spiele stattgefunden haben? 

Ich glaube, es ist ein großer Vorteil, denn in Peking können Olympiastätten wiedergenutzt werden, es muss also nicht ein ganzer Olympiapark aus dem Boden gestampft werden. Die Eissportveranstaltungen ( Eishockey, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Shorttrack, Curling) etwa sollen zum Teil in bereits vorhandenen Hallen stattfinden. China hat 2008 außerdem unter Beweis gestellt, dass der Verlauf der Spiele in organisatorischer Hinsicht reibungslos geklappt hat, dass die Veranstaltungsorte fertig waren, die Infrastruktur funktionierte...

Kritiker beklagen, dass Länder wie China, die die Menschenrechte nicht achten, dem olympischen Geist widersprechen und daher auch keine Spiele ausrichten sollten. Wie sehen Sie diese Kritik? 

Das ist richtig, in China werden Menschenrechte missachtet, es gibt keine Pressefreiheit, das Internet ist zensiert. Auch beim Mitbewerber Kasachstan bemängeln Menschenrechtsorganisationen grobe Verstöße. In der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" steht Kasachstan auf Platz 161, China auf Platz 175 (von 180 Ländern). 
Aber wenn etwa die Staaten Europas nicht mehr bereit sind, Olympische Spiele auszurichten, weil sie zu teuer sind oder weil es dafür in der Bevölkerung keine Zustimmung gibt - man aber trotzdem weiterhin Olympia erleben, gucken, feiern möchte, dann muss man entweder in Kauf nehmen, dass Staaten wie China Olympia veranstalten oder eben auf Olympische Spiele (und andere sportliche Großveranstaltungen) verzichten. 
Im Falle der Winterspiele 2022 gab es anfangs eine ganze Reihe europäischer Bewerberstädte: München, Stockholm, Krakau, Lwiw (Lemberg) und schließlich Oslo. Einige hätten sicherlich gute Chancen gehabt. So werden die Winterspiele zweimal hintereinander in Asien ausgerichtet. 

Sie waren vor Ort in Zhangjiakou. Ist der Ort geeignet für einen sportlichen Wettbewerb in der Größe? 

Zhangjiakou selbst ist auf den ersten Blick eine etwas verschlafene chinesische Provinzstadt mit 900.000 Einwohnern. Ein kleiner 600 Jahre alter Stadtkern aus der Ming-Dynastie ist erhalten, die chinesische Mauer umfasst einen Teil von Zhangjiakou. Die Stadt war lange ein wichtiger Militärstützpunkt - historisch gegen die Mongolen, später zur Verteidigung gegen die Sowjetunion. Erst 1995 wurde sie für Ausländer geöffnet, bis dahin galt Zhangjiakou als Sperrgebiet. Im Zuge der Olympischen Spiele will Peking eine Hochgeschwindigkeitszugstrecke bauen - statt drei oder vier Stunden mit dem Auto braucht man dann nur noch 40 Minuten mit dem Zug. Auf dem Weg haben wir schon riesige Träger für die geplante Eisenbahnlinie gesehen. Für China ist Zhangjiakou sicherlich klein - die Region hat um die vier Millionen Einwohner - verglichen mit anderen Olympiastädten ist sie dann aber doch wieder groß und sicherlich groß genug. 

Wie haben sie die Menschen vor Ort und die Funktionäre erlebt? 

Die Menschen, die wir gefragt haben, waren in der großen Mehrheit für die Ausrichtung der Olympischen Spiele. Sie erhoffen sich mehr Wohlstand und bessere Verdienstmöglichkeiten, wenn die Region für die Olympischen Spiele entwickelt wird. Nur einer hatte leise Zweifel und sagte uns, sich zu bewerben sei OK, aber man dürfe das Geld auch nicht verschwenden. Anders als in Europa gibt es in China aber keine öffentliche Diskussion über Haushalte und die Verwendung von Steuergeldern. Wenn die Regierung entscheidet, dass für Olympische Spiele Geld da ist, dann ist es wohl da, denken sich die Menschen und hoffen, dass sie etwas davon abbekommen. Viele sind aber auch einfach stolz, dass China die Chance hat, wieder Olympische Spiele auszurichten. 
Die Funktionäre waren zum Teil euphorisch. Mit leuchtenden Augen wie ich sie bei einem Kader selten gesehen habe, beschrieben mir Zhang Chunsheng vom Organisationskomitee für die Bewerbung, wie er sich die Olympischen Spiele und die Umgestaltung der Region in ein touristisches Kleinod vorstellt. 

Snowboarder
Snowboarder | Bild: NDR / Ariane Reimers

Die Region ist als schneearm bekannt. Welche Rolle spielt der Umweltschutz bei der Planung? 

Das ist ein sehr schwieriger Punkt. Die Region ist trocken, im Winter gibt es kaum Niederschläge. Ein großer Teil der Pisten und Loipen wird mit Kunstschnee präpariert werden müssen. Die Organisatoren hoffen, dass sie mit moderner Technik, dem Auffangen des Sommerregens und dem Aufbewahren von Altschnee aus dem Vorjahr das Problem lösen können. Natürlich wollen die Chinesen auch von den Erkenntnissen profitieren, die in den letzten warmen Wintern in Europa gewonnen wurden. 
Der zweite Knackpunkt ist die Luftverschmutzung. Die ist in Zhangjiakou zwar nicht so schlimm wie in Peking und in den Bergen ist die Luft noch ein wenig besser, trotzdem: Wenn eine große Smogwolke über der Region Peking hängt, dann ist im Zweifel auch Zhangjiakou betroffen. Hier wollen die Offiziellen erreichen, dass weniger mit Kohle geheizt werden (direkt oder über Kraftwerke) und dafür erneuerbare Energien (v.a. Wind und Solar) ausbauen. Die Frage bleibt, ob lokale Maßnahmen ausreichen, denn die größten Verschmutzer sitzen nicht in Zhangjiakou. 

Das Interview führte Claudia Buckenmaier vom NDR.

0 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.