So., 27.04.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Australien: Trucker-Notstand – jetzt fahren die Frauen
Ein langer Tag liegt heute vor ihr. Lyndall Denny freut sich auf die Schicht am Steuer. Der Sohn ist aus dem Haus. Draußen lacht die Sonne. Sie könnte mit ihren 67 Jahren längst den Ruhestand genießen. Aber dafür wird sie zu dringend gebraucht. Als Lkw-Fahrerin bei einer der größten Logistik-Firmen Australiens. "Ich denke, es kann losgehen!" Lyndall ist ein Segen für die Transportbranche. Und: Sie liebt ihren Job. Einen Mega-Truck durch Australien lenken. Diesen Traum hätte sie sich rückblickend schon viel früher erfüllen sollen. "Ich werde emotional, wenn ich an mein Leben denke. An die 30 Jahre, die ich in einem Bürojob hinterm Schreibtisch gesessen habe. Ich war diese Art Frau, die von mechanischen Dingen keine Ahnung hatte. Und jetzt muss ich mich manchmal kneifen, weil ich einfach nicht glauben kann, dass ich Fahrzeuge dieser Größe fahre."
"Woman in Trucking": Mehr Truckfahrerinnen
Lyndal lenkt einen sogenannten Roadtrain, mit mehreren Anhängern und bis zu 114 Tonnen schwer. Heute ist sie im Norden von Adelaide unterwegs, schon kurz hinter der Stadt wird es hier richtig einsam. Diese gigantischen Entfernungen schrecken viele ab. Das schlechte Image und der raue Ton in einer männerdominierten Branche. Darum hat Lyndal die Organisation "Woman in Trucking" gegründet.
Zwischenstopp an der Raststätte. Nicht nur wegen der leuchtfarbenen Sicherheits-Jacke: Viele nehmen sie als bunten Vogel wahr. Lyndall hat schon einige Frauen für den Job hinterm Steuer begeistern können. Doch die Männer hier sind geteilter Meinung über die neuen Kolleginnen im Truckerbusiness. "Manche sind in Ordnung. Manche sind auch hirntot", sagt Ex-Trucker Joffre Booth. Lyndal Denny sagt: "Du kannst nicht zu prinzessinnenhaft sein, du musst so einen Spruch wegstecken. Wenn du Schwäche zeigst oder ihnen das Gefühl gibst, du bist nicht die richtige für den Job, dann fallen sie über dich her. Als Frau muss man doppelt so gut sein, um als gleich gut zu gelten."
Lyndal rollt heute mit leeren Containern zu einem Getreide-Depot. Von dort soll sie vollbeladene wieder mitnehmen. Als Truck-Fahrerin muss sie darum manchmal auch Containerstapler fahren. Schwere Maschinen, dröhnende Motoren, krachendes Metall. Gewöhnungsbedürftig für viele Frauen. Doch Lyndals Botschaft: Niemand muss sich davon entmutigen lassen: "Das ist körperlich nicht besonders anspruchsvoll. Es mag so erscheinen, ist es aber nicht. Solange alle Lager und Gelenke gut geölt sind ist alles ok. Meine größte Sorge ist, dass ich Staub in mein Make-up bekomme, und in meine Haare."
Nur zwei Prozent Lkw-Fahrerinnen

In der Logistik-Zentrale haben sie ganz andere Sorgen. Von hier aus koordiniert Matt alle Aufträge, die Touren, und wer welchen Truck fährt. Aber er findet kaum Personal, trotz überdurchschnittlicher Bezahlung. Heute Morgen erst eine Krankmeldung. Dann hat einer der Fahrer gekündigt, von jetzt auf gleich. "Je weniger Fahrer wir haben, desto mehr Druck lastet auf jedem. Und das sind hohe Kosten für die Firma. Da stehen jetzt Trucks, die nicht fahren. Aber ein Lkw sollte immer in Bewegung sein", sagt Matthew Newman von QUBE. Draußen zeigt er uns die Sattelzugmaschine. Prominent am Kühlergrill die Mahnung der Logistikunternehmen: "Viele Trucker lieben dieses Schild: Ohne Trucks steht Australien still! Dann bleiben überall die Regale leer." Darum wurde auch Lyndal angeheuert. Sie will Frauen vom Job hinterm Lkw-Steuer überzeugen. Viele haben den Beruf nämlich gar nicht auf dem Zettel. Gerade mal zwei Prozent in dem Job sind weiblich. Doch nach zwei Wochen begleiteter Schicht und einem Mentorenprogramm lassen die meisten sich begeistern.
So wie Gail Ritchie. Auch sie war schon lange fasziniert von den Mega-Trucks. Getraut hat sie sich erst mit Ende 40. Und es bislang nicht bereut: "In Australien zu leben und endlich in die Transportindustrie zu gehen. Das war die beste Entscheidung meines Lebens. Das beste was ich machen konnte. Manche Tage sind hart, manchmal geht alles schief, aber die guten Zeiten überwiegen das bei weitem. Der beste Job und man verdient gutes Geld." Umgerechnet 75.000 Euro Jahresgehalt sind locker drin, auch für Berufsanfängerinnen. Weil es so wenig Personal für ihren Job gibt, ist ihr Arbeitgeber ihr entgegengekommen. Sie kann auch kürzere Tagestouren fahren. Heute holt sie 90 Tonnen Blei von einer Metallhütte ab. Die Ladung fährt sie auf derselben Strecke gleich wieder zurück bis in den Hafen. Und dann geht es nach Feierabend direkt wieder nach Hause.
Solche Tagestouren: Für Gail auch eine Möglichkeit, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen. Verständnis für den Truckerjob und seine Schwierigkeiten haben sie hier sowieso. Gails Mann Robert fährt auch Lkw: "Ich finde das gut, das sorgt für einen Wandel, sonst bleiben wir Jungs immer unter uns und quatschen Blödsinn. Jetzt können wir mal anständige Gespräche führen. Also das klappt sehr gut, ich fänd’s gut, wenn das noch mehr machen würden. Die haben es auf jeden Fall drauf, die sollten weitermachen."
Geht es nach "Women in Trucking", sollen bis 2050 die Hälfte aller Lkw von Frauen gesteuert werden. Ein weiter Weg. So wie die meisten Strecken in Australien.
Autor: Florian Bahrdt, ARD-Studio Singapur
Stand: 27.04.2025 22:04 Uhr
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