So., 12.11.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
China: Das Schweinehochhaus
Solche Bilder sind auch in chinesischen Nachrichten ein Hingucker. Ein Hochhaus, nicht für Menschen, sondern für Schweine. Riesige Kolosse, Schweinehotels genannt. Ein Boom in China. Land ist teuer, darum bauen sie in die Höhe.In Videos werben die Firmen mit hohen Hygienestandards, alles sei Hightech. Das Land in einer Schweine-Revolution. Nur, was heißt das für die Tiere, für die Arbeiter und letztlich das für Fleisch?
Desinfektions-Marathon: Kein fremder Keim soll die Tiere erreichen
Unser Ziel ist eine Anlage im Süden von China, abgelegen, weit entfernt in den Bergen. Aus gutem Grund: Alles und jeder, der hinfährt, muss einen Desinfektions-Marathon überstehen, kein fremder Keim soll die Tiere erreichen. Nach der ersten Dusche sind wir alle neu eingekleidet. Unsere Anziehsachen müssen wir draußen lassen. Nur eine Plastiktüte mit Privatem dürfen wir mitnehmen. Zusammen mit den Arbeitern machen wir uns auf den Weg zu den Schweinen.Insgesamt sieben Checkpoints müssen wir durchlaufen, mal wird nur der Bus abgesprüht, noch weitere zwei Mal müssen wir duschen – einmal sogar in die Sauna. Notizblock, Handy, Stift – jedes Mal desinfizieren sie es wieder. Und dreimal bekommen wir frische Kleidung. Die Prozedur dauert einen ganzen Tag.
Endlich sind wir auf dem Gelände. Die Belegschaft entspannt sich beim Feierabend-Programm. Wer es einmal durch alle Schleusen geschafft hat, der bleibt gleich mehrere Wochen. Von den 200 Arbeitern sind fast alle unter 30. Auch Gu Weilang, einer der Manager: "Warum wir so attraktiv für junge Leute sind? Wir können viel drumherum bieten, nämlich diesen Wohnbereich hier auf dem Gelände und Freizeitangebote. Es gibt Karaoke, Tischtennis, Billard, Fitnessstudio und das ist auch ein Tennisplatz." Seit seinem Praktikum als 18-Jähriger arbeitet Gu bei dieser Firma. Die Anlage ist sein zweites Zuhause.
Zuchtsauen-Hochhaus: Für jede Phase der Schweinemast eigener Raum
Am nächsten Morgen: Gu und seine Kollegin führen uns durch lange Gänge und fensterlose Räume zu den Schweinen. Wir sind im Zuchtsauen-Hochhaus. Im Zuchtsauen-Hochhaus gibt es für jede Phase der Schweinemast einen eigenen Raum. Die besamten Sauen liegen in engen Kastenständen – genauso wie in Deutschland. Das Personal für die über 1.000 Sauen pro Etage wurde weitgehend reduziert – ersetzt durch moderne Technik. "Unser intelligentes System hat uns im Vergleich zu früheren Zeiten wieder Arbeitskräfte eingespart. Früher waren etwa neun Leute für eine Linie verantwortlich, jetzt sind es fünf oder sechs Personen", erklärt Gu Weiliang.
Die Hälfte aller Zuchtschweine weltweit lebt inzwischen in China. Mit wachsendem Wohlstand ist der Fleischkonsum rasant gestiegen. Schweinefleisch ist am beliebtesten. Dürfen die Schweine oft frei laufen, fragen wir? "Etwa alle vier Monate! Dann dürfen sie mal aus der Box und sich bewegen", sagt Gu Weiliang. "Etwa eine Stunde. Bewegung für eine Stunde."
Schweine-Industrie ist ein Politikum in China
Den Arbeitern fällt nur Positives ein, wenn sie über die Bedingungen hier sprechen. Massentierhaltung wird generell nicht hinterfragt. Im Gegenteil, Lu Changton findet sie sehr modern. Typisch chinesisch-nüchtern konstatiert sie: "Wenn die Schweine draußen wären, gäbe es Sonne, Regen und sie könnten bei schwierigen Wetterbedingungen nicht genug Essen finden. Sie wären wie Obdachlose. Hier haben sie alles, was sie brauchen. Essen, Trinken, eine volle Mahlzeit. Und sie müssen nicht in der Kälte stehen. Natürlich sind sie glücklicher."
Die Schweine-Industrie ist ein Politikum in China und intensiv von der Regierung gefördert. Wenn das „Fleisch des Wohlstandes" fehlt, droht Unruhe, so die Befürchtung. Im Land selbst will kein Experte mit uns sprechen, zu sehr ist das Thema mit der Regierung verknüpft . Dr. Mindi Schneider von der Brown University hat drei Jahre in China zu Schweinen geforscht, jetzt lebt sie in den USA: "Früher haben die Menschen in China einmal im Jahr Schweinefleisch gegessen. Dann kamen die Reformen und es gab mehr Fleisch. Der Erfolg der Regierung hängt also auch davon, ob die Menschen genug günstiges Schweinfleisch kaufen können. So können sie zeigen: Schau, es geht uns immer besser."
Eine Schweinepest – wie etwa die vor fünf Jahren – sorgt deshalb auch für innenpolitische Gefahren: Mehr als 100 Millionen Schweine müssen 2018 bis 2020 gekeult werden. Der Preis für Fleisch verdreifacht sich. "Diese Krise war ein Katalysator für die industrielle Schweinzezucht, die dann als die moderne Antwort zu quasi Vor-Modernen Problemen dargestellt wurde", sagt Mindi Schneider.
Schweinemast: Konzerne investieren in das lukrative Geschäft
Inzwischen investieren neue Konzerne in das lukrative Geschäft: IT-Unternehmen zum Beispiel. Die größte Mastanlage, für 1,2 Mio Schweine pro Jahr, betreibt ein Zement-Hersteller – schließlich verfügte er schon über günstiges Baumaterial.
Zurück bei den Schweinhochhäusern im Süden von China: Am Abend zeigt uns Lu Changtong ihr Zuhause . Eine Ehepartner-Wohnung stellt ihr die Firma, denn ihr Mann arbeitet auch hier. Das gemeinsame Kind lebt bei den Großeltern. Nur sechs Tage im Monat kann sie es sehen. "Das macht mir nichts aus. Vor Kurzem sind wir auch sehr lange hier geblieben. Einmal sogar ein halbes Jahr. Das kam auch mal vor. Während der Pandemie war es nämlich ganz streng. Aber wir haben Viehzucht gelernt, was die Firma von uns verlangt, müssen wir befolgen. Essen, Trinken, ein bisschen Bewegung und ein Dach über dem Kopf. Dafür ist gesorgt – bei den Schweinen und den Menschen.
Autorin: Tamara Anthony, ARD-Studio Peking
Stand: 12.11.2023 20:22 Uhr
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