So., 13.04.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Ukraine: Drohnenfliegen als Schulfach
Er feuert sie an. Eigentlich ist Serhij Musiklehrer. Jetzt bringt er seinen Schülerinnen und Schülern auch das Drohnenfliegen bei. Heute beim Wettbewerb müssen sie ihre Drohnen fehlerfrei durch den Parcours in der Sporthalle fliegen. Viele verbringen täglich Stunden am Simulator. An immer mehr Schulen gehört das Drohnenfliegen mittlerweile zum Lehrplan. „Drohnensteuerung ist sehr nützlich für die Gehirnentwicklung. Wie beim Spielen von Musikinstrumenten. Immer mehr Kinder interessieren sich dafür und kommen hierher“, erklärt Lehrer Serhij Tkatschjuk.
Einer seiner besten Schüler ist Ivan. Er verbringt fast seine gesamte Freizeit mit Drohnenfliegen. Doch die vielen Zuschauer machen ihn nervös: „Es ist zwar nicht schlimm, wenn ich nicht gewinne. Ich muss halt lernen, mich besser zu konzentrieren. Aber wenn ich gewinne, bekomme ich eine neue Drohne oder irgendeinen Preis. Es wäre schon toll.“ Den Parcours schafft er dann ohne Fehler.
Drohnen-AG an der Schule
Und auch die neunjährige Lisa zählt zu den Besten an ihrer Schule. Neben Schwimmen und Tanzen, geht sie nun jeden Donnerstagnachmittag zum Drohnentraining. "Bei früheren Wettbewerben wollte ich immer schnell fliegen, also habe ich nicht gewonnen. Diesmal habe ich mich nicht beeilt, sondern bin ruhig geflogen", erzählt sie. Gelernt hat sie das in der Drohnen-AG an ihrer Schule. Mit Simulatoren und Headsets, die eine virtuelle Realität zeigen, üben die Jugendlichen mit ihren Drohnen Hindernissen auszuweichen, Ziele anzusteuern.
Diese Technologie wird zukünftig immer wichtiger werden, erklärt Lehrer Serhii Tkachuk: "Weil wir einen Krieg haben, unterstellt man uns eine Militarisierung. In anderen europäischen und asiatischen Ländern, ist die Drohnensteuerung schon sehr weit entwickelt. Aufgrund des Krieges geschieht das jetzt auch in unserem Land. Bald jeder sie steuern können. In allen Bereichen wird sie geben."
Krieg ist Alltag für die Kinder

Doch der Krieg ist längst Alltag für diese Kinder - auch wenn sie weit weg von der Front sind. Viele ihrer Väter sind beim Militär an der Front. Dorian ist acht Jahre alt, er war fünf, als der Krieg begann: "Mein Vater ist in den Krieg gezogen. Er fing an, Drohnen zu fliegen. Das wollte ich dann auch und habe beschlossen Drohnen zu fliegen." Seither übt er, um so gut zu werden wie die Älteren. "Nun, eines Tages möchte ich Ingenieur werden. Wenn ich groß bin, baue ich vielleicht Drohnen, repariere und fliege sie."
Alle müssen die permanenten russischen Angriffen auf ukrainische Städte ertragen. Für manche Schüler, wie für Kostja, ist es wichtig, Kontrolle über sein Leben zu bekommen, das aus den Fugen geraten ist. Sein Gesicht will er nicht zeigen. "Ganz ehrlich, Drohnen, wenn man sie kontrolliert, beruhigen einen. Wenn ich einen schlechten Tag habe, oder ich mich mies fühle, dann steuere ich die Drohnen ein wenig und meine Laune verbessert sich sofort."
Ivan genießt es, die Dinge von oben zu sehen, aus der Vogelperspektive. "Ich fühle mich gerne frei, weil der Mensch von Natur aus nicht fliegen kann. Und wenn du eine Drohne hast, fliegst du und fühlst dich frei." Für Lisa geht es vor allem um Geschwindigkeit: "Ich fliege gerne sehr kleine Drohnen. Sie sind sehr schnell und können in kleine Löcher fliegen." Sie ist gerade mal neun Jahre alt. Sie will ein Blog über Drohnen machen, denn sie ist überzeugt, Frieden wird es so schnell nicht geben: "Definitiv nicht morgen und nicht in den nächsten Monaten. Vielleicht ein Jahr, vielleicht zwei. Russland ist groß und wir wehren uns irgendwie. Es wird lange dauern."
Drohnen bauen, um den Krieg zu verarbeiten
Das glauben auch die Schüler in einer anderen AG an einer anderen Schule. Dort bauen sie ganze Drohnen zusammen. Heute geht es darum, die einzelnen Bauteile zusammen zu löten. Luca ist 13 Jahre alt. Er erklärt: "Das wird eine Aufklärungsdrohne oder eine Überwachungsdrohne. Höchstwahrscheinlich wird sie an die Front gehen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass so eine Drohne Munition abwirft, weil sie nicht viel Gewicht tragen kann."
Marianna sagt: "Denn wir können ja nicht viel machen. Alle hier sind froh, Drohnen zu bauen und so zu helfen. Denn es ist schön zu wissen, dass man wenigstens etwas tun kann."
Drohnen zu bauen helfe den Kindern den Krieg zu verarbeiten, glaubt Direktor Dmytro Kornijenko. Außerdem sei das Fach eines mit Zukunft: "Es ist interessant für Kinder, mit dieser Technologie zu arbeiten, sie selbst zu entwickeln und zu programmieren. Das ist ein ganzes Bündel von Fähigkeiten, die ein Kind braucht, für die Zukunft. Super modern." Haben sie als Pädagogen nicht Angst, dass die Kinder Krieg spielen und noch mehr in den Krieg hineingezogen werden, will ich von ihnen wissen. "Ich habe eher Angst davor, dass sie nicht das lernen, was sie als Erwachsene brauchen. Es ist besser, dass sie jetzt etwas lernen, mit dem sie ihr Leben retten und sich selbst schützen können", sagt Lehrer Serhij Tkatschjuk.
Und so hoffen sie auf Frieden, doch für die Lehrer, wie für die Kinder ist der - aufgrund der täglichen russischen Angriffe – leider immer noch nicht in greifbarer Nähe.
Autorin: Birgit Virnich, ARD Studio Kiew
Stand: 13.04.2025 20:08 Uhr
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