So., 17.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Ägypten: Müllhalde Nil
Er ist die Lebensader des Landes – der Nil. Doch ausgerechnet der große Fluss mit seinen vielen Bewässerungskanälen ist eine Müllkippe. Teppiche aus Plastik verseuchen das Wasser. Denn der Kunststoff zersetzt sich mit der Zeit zu Mikropartikeln, die wiederum mit der Bewässerung auf den Feldern landen, auf Tomaten, Zucchini, Kartoffeln.
Bewohner benötigen Aufklärung
Fischer Samer kennt diesen ungesunden Zusammenhang. Plastik-Mikropartikel landen im Fisch und damit letzten Endes auf dem Teller. "Plastik sehe ich sehr viel. Plastikflaschen, aber auch Dosen. Dieser Müll macht mein Netz kaputt, er tötet aber auch die Fische", so Samer Hamad. Er legt den Finger in die Wunde: Shady kritisiert die Vermüllung des Landes, vor allem des Nils. Es gehört Mut dazu, so offen Kritik zu üben. Schnell kann man so in Ägypten auch als Landesverräter gelten. Shady ist einer der Gründer der Bürger-Initiative VeryNile. Mit Gleichgesinnten säubert er die Ufer des Nils in Kairo, um gegen ein großes Missverständnis anzukämpfen.
"Wir haben die Leute gefragt: Was glaubst Du wo der Müll landet. Die haben gesagt: Er ist weg. Das ist nicht mehr unser Problem. Der Fluss trägt den Müll davon und deshalb ist es nicht mehr unser Problem. Die Leute verstehen oft nicht, dass dies auf sie zurückfällt", erzählt Shady, Gründer VeryNile.
Müll wird kaum recycelt
Der Nil, den schon die Pharaonen als die Lebensader des Landes anpriesen, erfährt diese Wertschätzung heute nicht mehr. Doch immerhin, die Freiwilligen haben etwas erreicht: Die Umweltministerin Fouad hat sich der Initiative VeryNile von Shady angeschlossen. Das ist erstaunlich, weil die ägyptische Regierung normalerweise Kritik brutal erstickt. Doch die Missstände sind so offensichtlich, dass sie sich nicht leugnen lassen.
"Wir benötigen eine effektive Abholung für organischen und nichtorganischen Müll, und eine passende Anzahl von Fabriken, die in der Lage sind, den Müll zu recyceln. Und wir brauchen eine entsprechende Anzahl von Mülldeponien", fordert Yasmine Fouad, Umweltministerin.
Gerademal 60 Prozent des Mülls werden überhaupt eingesammelt und davon nur 20 Prozent recycelt. Shady geht zu den Partnern von VeryNile, die das Plastik recyceln, das die Initiative aus dem Nil gefischt hat. Der fünfzehnjährige Abdel verdient hier einen Hungerlohn. Die Müllleute sind in der Hierarchie der Berufe weit unten angesiedelt. Sie haben nur wenige Fürsprecher. Shady ist einer von ihnen. "Das ist kein einfacher Prozess. Das Recycling ist für die Gesundheit problematisch. Viele Leute von hier suchen einen Arbeitsplatz der sicherer ist", berichtet Shady.
Umweltministerin Fouad weiß, dass der Umgang mit Müll so nicht weitergehen kann. Aber jetzt soll endlich ein nationales Abfall-Entsorgungs-Programm aufgebaut werden. Feierliche Einweihung im Nildelta. Das Projekt ist von der EU und Deutschland finanziert. 51 Müllfährzeuge für das Gouvernement Kafr el Sheich, in dem dreieinhalb Millionen Menschen leben.
Aktion soll Bewusstsein generieren
Auch im Süden des Landes will VeryNile aufklären. Zum Beispiel in Luxor. Sehr ländlich, weit weg von der Megastadt Kairo, aber mit sehr vielen Touristen, die viel Müll hinterlassen. Deswegen ist Shady mit seinen Mitstreitern hier. Ihre Bürgerinitiative ist inzwischen im ganzen Land bekannt. Der Weg dorthin war schwierig, denn alles was nur den Hauch einer Opposition hat, wird unterdrückt.
"Die erste Hürde war, dass wir eine Genehmigung brauchten für die Straße, denn es gibt ein Gesetz gegen das Zusammenkommen/Vereinigen von Menschen, egal welche Gründe sie haben. So mussten wir uns an drei Ministerien wenden, an verschiedene Gouvernements, damit wir von den Sicherheitskräften nicht als eine Gefahr wahrgenommen werden", erzählt Shady.
Luxor lebt in erster Linie von den vielen Touristen. Touristen, die Augen im Kopf haben. "Ich bin zum ersten Mal in Ägypten und ich bin ganz begeistert von dem Land, von den Menschen, von der Kultur, von der Schönheit und vom Nil. Und was ich in Kairo gesehen habe, und auch hier. Ich finde in Assuan und Luxor ist es noch besser. Da sind dieser Abfall und dieser Schmutz. Überall an jedem Eck", so die Touristin Marianne Herr.
Die Aktivisten wissen, dass die Plastiksammelei symbolischen Wert hat. Ein paar Säcke machen den Nil noch nicht sauber. Die Aktion soll Bewusstsein generieren und vor allem mehr Umweltschützer.
"Vor zwei Jahren waren wir noch sehr wenige. Uns wurde immer wieder gesagt, es gibt keine Hoffnung, wir sollten aufhören. Vor einem Jahr waren hier drei, vier Leute, jetzt sind wir ein paar dutzend in diesem Gouvernement. Es sind tausende in Kairo, vielleicht sind es im nächsten Jahr Hunderte in den einzelnen Gouvernements und hunderttausende in Kairo und diese Welle wird immer größer. Das ist für mich hier ein sehr emotionaler Moment", erzählt Shady.
Shady hat eine Welle losgetreten, die nur dann nicht verebbt, wenn die Ägypter erkennen, dass sie neben der pharaonischen Kultur einen weiteren Schatz haben: den Nil, der untrennbar mit der Schönheit Ägyptens verbunden ist.
Bericht: Alexander Stenzel/ ARD Studio Kairo
Stand: 22.03.2019 11:35 Uhr
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