Mo., 28.05.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Bangladesch: Kohle contra Wunderwald
Die Ausbeute, die Abdur Rashid Hawlader heute aus der Reuse holt, ist nicht gerade groß. Ein paar Krabben, ein paar Shrimps, kleine Fische. Meistens reicht der Fang gerade mal, um ihn für ein bisschen Geld an die Bewohner des nächstgelegenen Dorfes zu verkaufen.
Die Menschen leben von und mit dem Wasser
"Wir fangen nur noch sehr wenig. Es ist schwer, damit eine Familie zu ernähren. Meine Familie ist sehr arm. Denn es gibt nicht mehr so viele Fische hier in den Gewässern wie früher. Selbst nach einem ganzen Tag auf dem Boot habe ich nicht mehr als ein Kilo Fisch und Meerestiere", erzählt Abdur Rashid Hawlader. Die Sundarbans, das sind 10.000 Quadratkilometer Mangrovenwald. Dreimal so groß wie Mallorca. Durchzogen von zahllosen Fluss- und Meeresarmen. Die Menschen leben von und mit dem Wasser. Ein Tropensturm zieht auf, als Abdur Rashid Hawlader zurück an Land kommt und kurz danach scheint es, als würde das gesamte Dorf untergehen.
Nach dem Regen ist Hawlader als Chef der Fischer einer der wenigen im Ort, der Strom hat – von einem kleinen Solarpanel auf dem Dach. Wenn es nach der Regierung von Bangladesch geht, soll sich das bald ändern. Denn nur wenige Kilometer von dem Fischerdorf entfernt, plant sie ein riesiges Kohlekraftwerk. Das größte des Landes. Die Fischer wissen nicht so recht, was sie davon halten sollen.
Die Region brauche dringend Fortschritt
"Das Kraftwerk wird uns vielleicht Strom bringen. Aber wird es nicht auch das Wasser und die Luft vergiften? Ich fürchte, das wird die Sundarbans zerstören. Als Fischer werden wir es danach noch schwerer haben", so Abdur Rashid Hawlader. Seine Frau widerspricht ihm heftig. Die Arbeit als Fischer bringe doch jetzt schon kaum etwas ein. Die Region brauche dringend Fortschritt, wenn die Kinder hier eine Zukunft haben sollen.
"Ich hasse diese Arbeit. Wir vegetieren doch nur so vor uns hin. Vor allem für die Kinder wäre es viel besser, wenn es richtige Jobs gäbe. Vielleicht passiert das endlich, wenn sie das Kraftwerk fertig haben", erzählt Jesmin Begum.
Doch das Kraftwerk wäre gerade mal zehn Kilometer weit weg vom Nationalpark der Sundarbans. Die UNESCO hat deshalb heftig protestiert. Denn der Wald hier ist Weltnaturerbe und Heimat für viele seltene Tiere.
Unter anderem den bengalischen Königstiger, einem der meist bedrohten Tiere der Welt. Wissenschaftler der Umweltbehörde bringen Beobachtungskameras an. 106 Tiger gibt es hier. Die Umweltbehörde ist stolz, dass sie es geschafft hat, die Zahl zu stabilisieren. Aber was, wenn jetzt direkt nebenan ein riesiges Kraftwerk entsteht?
Bangladesch war lange das Armenhaus Südasiens
"Das können wir noch nicht abschätzen, ob und wie die Industrialisierung Einfluss auf das Ökosystem und vor allem die Tigerpopulation haben wird. Das ist nicht leicht zu sagen. Ich denke, wir werden das erst wissen, wenn wir in ein paar Jahren harte Daten haben", sagt Dr. Nazneen Ahmed, Umweltbehörde Bangladesch. In der nahegelegenen Hafenstadt Mongla treibt die Regierung die Industrialisierung schon voran. Bangladesch war lange das Armenhaus Südasiens und hat großen Nachholbedarf. Mongla ist der zweitwichtigste Hafen des Landes. Doch immer wieder fällt hier der Strom aus. Die Geschäftsleute am Hafen sind deshalb alle dafür, dass das Kohlekraftwerk endlich gebaut wird.
"Die Regierung weiß schon, was sie tut. Wenn wir wirtschaftlichen Fortschritt wollen, dann gibt es keine Alternative. Wir brauchen Strom. Nur dann wird sich diese Gegend hier weiter entwickeln. Für Bangladesch und für die Menschen brauchen wir dieses Kraftwerk dringend", findet H.M. Dulal, Reeder.
Bau des Kraftwerks – trotz Protesten von Umweltschützern, Fischern und der UNESCO
Das Problem ist, dass alle Schiffe, die nach Mongla wollen, den Nationalpark durchqueren müssen. Die Fahrrinne ist tückisch und nur bei Flut befahrbar. Mit dem Kohlekraftwerk wird der Schiffsverkehr noch einmal deutlich zunehmen und damit die Gefahren. Umweltaktivist Nur Alam zeigt uns, dass wenige Tage zuvor ganz in der Nähe ein voll beladener Kohlefrachter auf Grund gelaufen und gesunken ist. Er befürchtet, dass so etwas bald öfter passiert.
"Wenn die Flut kommt, dann läuft die ganze Drecksbrühe in die Sundarbans. Das bedroht alle Pflanzen dort und letztlich auch die Tiger. Außerdem wird sich die Asche aus dem Kohlekraftwerk auf die Blätter der Bäume setzen. Natürlich wird das ernste Konsequenzen für die Natur haben", sagt Nur Alam, Umweltaktivist.
Wir begleiten Nur Alam zu der Havariestelle des Kohlefrachters. Auf dem Weg kommen wir an der Baustelle des Kraftwerks vorbei. Mehr als 1300 Megawatt Strom sollen hier bald erzeugt werden. Direkt daneben wird ein riesiges Industriegebiet entstehen. Es wird bereits kräftig gebaggert. Trotz Protesten von Umweltschützern, Fischern und der UNESCO.
Angst um die Zukunft
Wenige Kilometer stromabwärts. Der Kohlefrachter ist mittlerweile komplett in den Fluten versunken. Die Bergungsarbeiten sind mühsam und gefährlich. Die starke Strömung hat die Kohle im Wasser verteilt. Die Sicht für die Taucher ist gleich null. 700 Tonnen Kohle. Seit drei Tagen schuften die Männer. Mit einfachstem Gerät pumpen sie die Kohle aus dem Wrack. Trotzdem haben sie gerade mal ein Zehntel geborgen.
"Das Kohlekraftwerk ist noch nicht fertig und trotzdem hat es jetzt schon die Sundarbans beeinträchtigt. Den Fluss, die Fischer, die Fische, die Tiger und den Wald", so Nur Alam, Umweltaktivist.
Die Fischer zurren ihre Boote fest für den nächsten Sturm. Mit Naturgewalten haben sie zu leben gelernt. Doch jetzt haben sie Angst um die Zukunft.
Autor: Peter Gerhardt/ARD Studio Neu Delhi
Stand: 03.08.2019 15:52 Uhr
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