So., 23.08.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Belarus: Demonstrieren für den Wandel
Wir sind aufs Land gefahren, etwa 140 Kilometer von der Hauptstadt Minsk. Die Region rund um die Stadt Soligorsk lebt vom Bergbau und von der Landwirtschaft.
Karim, der Traktorfahrer, stammt aus Kasachstan, ist seit Jahrzehnten hier: „Lasst mich bloß mit den Protesten in Ruhe“, sagt er: „Wir müssen unsere Familien ernähren, stehen jeden Morgen auf und arbeiten. In die Politik mische ich mich nicht ein. In der Landwirtschaft haben alle Arbeit, alle müssen ihre Kinder ernähren und kleiden.“
Pogost ist ein typisches Dorf in Belarus: 570 Einwohner. Einige haben Arbeit im nahegelegenen Bergbau, die meisten leben von dem, was sie auf ihren Feldern und in den Gärten anbauen.
Alexandra Mohoreva, die wir hier treffen, steht zu Präsident Lukaschenko. Die Demonstranten, die jungen Leute in Minsk seien gegen das Gesetz. Diese Versammlungen seien doch alle illegal.
Alexandra zeigt uns ihren Garten. Besonders stolz ist sie auf ihre Äpfel. Ihr gehe es nicht schlecht, sagt sie. Verglichen mit anderen Ländern stehe doch Belarus in der Welt gut da.
Gefährliche Situation
Ihr Nachbar, Nikolay Shmarchenko, betreibt zusammen mit einem Helfer eine kleine Autowerkstatt. Nein, Lukaschenko habe er nicht gewählt. Nikolay gibt sich wortkarg: politisch Stellung zu beziehen, gar gegenüber ausländischen Medien, das kann gefährlich sein in diesen Tagen.
Wer nun in der Überzahl ist in Pogost, die Befürworter oder die Gegner Lukaschenkos, das ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich hält sich das die Waage, so unser Eindruck.
Elfrida Klimets ist für einen Machtwechsel in Belarus. Alles sei verkrustet, erstarrt, sagt sie. Sicher, die Arbeitslosigkeit sei gering. Doch die Menschen würden zu wenig verdienen. Und Chancen für junge Leute gäbe es auch nicht: "Die Jungen wollen studieren, eine bessere Ausbildung, wollen Geld verdienen. Wissen Sie, unser ganzes Leben haben wir Geld gespart für eine Wohnung für unsere Tochter. Das ist hart!"
Was eine neue Regierung ändern sollte, das weiß Elfrida auch nicht so genau. Auf alle Fälle: Frischer Wind würde dem Land guttun, sagt sie. Darüber diskutieren sich auch in der Familie.
Autor: Jo Angerer, ARD Moskau
Stand: 23.08.2020 23:46 Uhr
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