So., 25.08.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Israel: Eine Misswahl der anderen Art
Gesucht wird die "Miss Holocaust-Überlebende"
Auch mit 89 steigt Genia Schwartzbart noch mehrmals am Tag Treppen hinauf zu ihrer kleinen Wohnung im Zentrum für Holocaust-Überlebende in Haifa.
Genia hatte immer einen starken Willen. Der Wille half ihr zu überleben in all den schlimmen Jahren.
Heute ist für Genia kein Tag wie jeder andere, denn am Abend nimmt sie an einer Gala teil.
Früher konnte sie an so etwas nicht einmal denken, denn bis auf ihre Schwester hat Genia ihre ganze Familie im Krieg und im Holocaust verloren. Und auch danach wurde die Lage für die Überlebenden nicht einfacher.
Aber Genia wollte leben. Deshalb floh sie 1957 nach Israel, gründete wieder eine Familie, bekam Kinder, Enkel, Urenkel. Die sind stolz auf ihre selbstbewusste Genia, denn Genia hat beschlossen an einem ganz besonderen Wettbewerb teilzunehmen: Der Wahl zur "Miss Holocaust-Überlebenden“.
Über 2000 Frauen aus der ganzen Welt haben sich beworben. Heute findet das Finale der letzten 15 statt. Die Auswahlkriterien: Nicht nur Aussehen, sondern vor allem die persönliche Erlebnisse und die Lebensgeschichte.
Schon Stunden vor Beginn des Wettbewerbes kommen Genia und die anderen Teilnehmerinnen in die Kongresshalle. Sie alle wissen, dass es auch Kritik an der Veranstaltung gibt. Manche meinen, das sei geschmacklos. Genia kann das nicht verstehen. Sie will ein Zeichen setzen, will ihre Lust am Leben zeigen.
Letzte Vorbereitungen: Zwischen 70 und 94 sind die Kandidatinnen. Die Veranstalter helfen, wo es geht. Aber manche Teilnehmerinnen brauchen das gar nicht.
Das Konzept sieht eine kurze Vorstellung und dann die Präsentation der Lebensgeschichte vor. Die Damen freuen sich aber vor allem auf das Rahmenprogramm: Viele israelische Künstler werden heute auftreten.
Dann geht es für Genia noch einmal in die Maske. Alle fiebern dem Beginn entgegen. Um das Gewinnen geht es hier nicht: Es geht ums Zusammensein. Ums Spaß haben. Man spricht eine gemeinsame Sprache, hat ähnliches durchgemacht. Das verbindet. Und Genia kann nun endlich ihr neues Kleid zeigen.
Mitorganisiert dies alles Isabella Grindberg. Die Psychiaterin kümmert sich seit Langem ehrenamtlich um Holocaust-Überlebende. Die Veranstaltung sieht sie als Hilfe, das Erlebte zu verarbeiten:
Und dann geht’s endlich los, vor tausenden von Zuschauern. Und die Teilnehmerinnen? Sie genießen die Aufmerksamkeit und können für kurze Zeit die Vergangenheit vergessen, auch Genia, obwohl ihr die Anstrengung dieses langen Tages doch anzumerken ist.
Am Ende muss eine prominent besetzte Jury eine schwere Entscheidung treffen.
Die Siegerin: Nummer 2, Shloshama Kolmer. Aber jede der Frauen bekommt eine Auszeichnung, darf sich als Siegerin fühlen. Genia erhält die Krone der Königin der Herzen, den Publikumspreis. Alle sind zufrieden an diesem Abend.
Ein letztes Bild.
Auch die Tochter Genias hat mitgefiebert und ist richtig stolz:
Der nächste Morgen: Wieder ein großer Tag für Genia. Ihr 90. Geburtstag. Alle sind gekommen: Ihre beiden Kinder, acht Enkel und zehn Urenkel. Im Mittelpunkt: Genia, ihre Krone und der gestrige Wettbewerb.
Mit ihrer Lebensfreude, mit ihrem Willen, mit ihrem Mut hat Genia gezeigt, wie das Leben auch nach dem Holocaust weitergehen kann.
Autor: Markus Rosch / ARD Tel Aviv
Stand: 26.08.2014 13:45 Uhr
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