So., 07.06.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Krim: Putins Getreue im Patriotismusrausch
Ein voll besetzter Jumbo aus Moskau ist in Simferopol gelandet. Die Saison auf der Krim beginnt gerade erst, darum sind Urlaubsorte und Strände noch recht leer. Doch viele fürchten, das könnte so bleiben, denn die russische Annexion der Halbinsel hat diese verkehrstechnisch zur Insel werden lassen, ohne den traditionellen Landweg durch die Ukraine.
Und dann das: Wo sonst Delphine die Segeljachten schmücken, sind es hier Panzer! Die sonnige Urlaubsstimmung hat einen trotzigen, patriotischen Unterton: Die grünen Männchen, Moskaus Soldaten ohne Abzeichen, sind genauso beliebte Souvenirs wie der Präsident, der die Krim in die russische Föderation aufnahm, und sein Vorgänger im Kreml, der wieder salonfähig wird in Russland.
Hier bei Sewastopol soll ein neues Zentrum für russischen Patriotismus entstehen, auf dem Gelände der russischen Nachtwölfe, einer Motorradorganisation mit guten Verbindungen zum Präsidenten.
Kriegsspiele bei den Nachtwölfen
Nach vielen skeptischen Nachfragen dürfen wir drehen. Das riesige Areal ist voller Zweiter-Weltkriegs-Erinnerungen aus Pappmaschee – Vorbereitungen für ein Biker-Festival im August. Thema: 70 Jahre Sieg über die Faschisten.
Eine alte Fabrik, Mad-Max-Anmutung, und dann sind wir auf einmal im Krieg: Uniformierte mit schweren Waffen und reichlich jungen Gesichtern. Obwohl wir wissen, dass hier nur strategische Spiele stattfinden, wirkt alles beklemmend echt. "Wir spielen die Volksmiliz Krim, Simferopol", sagt ein Mann in Uniform. Russen kämpfen gegen US- und andere westliche Truppen, heißt der Spielauftrag. "Gegen Deutsche, Engländer, Franzosen und alles, was zur EU gehört, plus Kanada", sagt ein junger Mann.
Wehrsportübungen sollen Jugendliche anziehen
Gewonnen hat diesmal die Volksmiliz, und damit die richtige Seite, glauben sie alle hier: Die Fahnen der Volksrepubliken im ukrainischen Donbass wehen auf ihrem Gelände. "Bei uns auf der Krim gibt es gerade ein Aufblühen des Patriotismus", sagt ein Mann der Volksmiliz. "Darum werden wohl immer mehr Leute dazukommen."
Auch junge Frauen machen mit, bei diesem Festival taktischer Spiele mit dem Motto Durchbruch der russischen Welt. Geschossen wird mit kleinen Plastikkugeln – Wehrsportübungen, von Präsident Putin per Erlass wieder in Schulen eingeführt, Orientierungsmärsche, Extremsport – das Gelände der Nachtwölfe soll mit all dem Kinder und Jugendliche anziehen.
Korruptionsverdacht auf der Krim
Zurück im kleinen Hafenstädtchen Balaklava. Die Besitzer der kleinen Boote, die hier Touristen zu abgelegenen Stränden bringen, sind wütend: Ihre ukrainischen Lizenzen sind ausgelaufen, neue russische Lizenzen aber scheitern an überforderten Bürokraten und übertriebenen Anforderungen, glauben die Männer. Ihr Argwohn: Andere Geschäftsleute mit guten Beziehungen sollen die Lizenzen bekommen und die einheimischen Kapitäne hier verdrängen.
Geht es um Schmiergeld? "Ich weiß nicht", sagt ein Mann. "Die wollen uns unser Geschäft wegnehmen. Du sollst mit Deinem Boot gegen Geld für einen anderen Typen arbeiten."
Auch Oleg ist wütend, aber er und seine Kunden sind offene Befürworter des Krimanschlusses, niemand von ihnen will ein kritisches Wort sagen zur Korruption unter der neuen Krimregierung. Eine Frau meint: "Korruption gibt es doch überall auf der ganzen Welt."
Obwohl Olegs Sommersaison, von der er ein Jahr überleben muss, jetzt bedroht ist, vermeidet er jede Kritik an den neuen Machthabern. Wer auf der Krim kein Patriot ist, gilt als Verräter, heißt es. "Ganz egal, ob Russland nun gut oder schlecht ist – es ist unser Vaterland", sagt Oleg. "Hoffen wir einfach, dass die Krise aufhört und alles gut wird."
Zeitreise in die Sowjetunion
Eine Kostprobe bekommen wir, als wir Olegs Töchter in einem Hafencafé treffen. Im Gegensatz zu ihm sind beide Ukraineanhänger und verurteilen die Machtübernahme. "Das Leben geht doch weiter, wir wollen nicht Sowjetunion bleiben, weiter Schlange stehen", sagt seine Tochter Katia. 96 Prozent wollten den Anschluss meint Oleg. Die Töchter widersprechen. "Nur über 30 Prozent. Ein anderer Staat durfte sich hier nicht einmischen", sagt Julia.
Noch während des Interviews bekommen wir Besuch: Zwei Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes wollen unsere Papiere sehen, fragen, was wir filmen, warum wir provozierende Fragen stellen. Es wirkt wie eine Zeitreise in die Sowjetunion.
"Leute, die hier für Russland sind, die haben hier nichts zu befürchten", sagt Katia. "Aber wenn man dagegen ist, dann kommen eben wie jetzt zwei Mitarbeiter und fragen: 'Was reden Sie da? Wir schreiben jetzt alles auf." Geht doch weg hier, in die Ukraine, habe man ihnen gesagt, berichten Olegs Töchter.
Nachtwolf-Biker kämpfen mit echten Waffen
Moto-Cross-Training für die Jüngeren auf dem Gelände der Nachtwölfe – ein Projekt von Konstantin. Auch er gehört zum Motorradclub Nachtwölfe. Wie nahe deren patriotische Spiele der Kriegsrealität sind, zeigt ein verdecktes Foto Igor Girkins.
Der russische Geheimdienstler hatte mit seinen Bewaffneten die Krim-Annexion eingeleitet und auch in der Ostukraine Militäroperationen angeführt. Dort, im realen Krieg, kämpfen Nachtwolf-Biker mit echten Waffen in der Hand, räumt Konstantin ein: "Die lebten schon im Donbass, das ist ihre Heimat, und darum kämpfen sie. Sie müssen kämpfen, denn sie verteidigen sich und ihre Familien gegen die pro-amerikanische, ukrainische Junta."
Ein Panzer aus Pappmaschee wird verlegt für die Motorradschau, zu der sie auch deutsche Biker einladen. "Wir wollen Verständigung, keinen Krieg", meint Konstantin. Und wir glauben es ihm. Doch der neue Patriotismus, den sie hier mit Moskauer Unterstützung so effektvoll in Szene setzen sollen, er könnte eine Welt vorbereiten helfen, die man längst vergessen glaubte.
Autor: Udo Lielischkies, ARD Moskau
Stand: 08.06.2015 17:28 Uhr
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