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Russland: Mütter suchen ihre gefallenen Soldaten

Frauen an einem mit der russischen Fahne geschmückten Sarg
Trauer um einen toten Soldaten | Bild: Bild: BR

Im kleinen Kreise erweisen sie ihm die letzte Ehre. Seine junge Frau hatte er gerade erst geheiratet. Dann war er, ohne sich zu verabschieden, in die Ostukraine gefahren. Zuvor hatte der 28-jährige Anatoli seinen Urlaub eingereicht. Seine Witwe und die Familie sind fassungslos.

Ein Mann:

»Es ist schade, dass junge Leute in der Ukraine ums Leben kommen, aber wir sind stolz auf die jungen Menschen aus den Provinzen, die dem Herzen folgen und dort kämpfen.«

Und dann ein weiteres Begräbnis im russischen Staatsfernsehen: Beim Kampf um den Flughafen von Donezk ist dieser russische Soldat umgekommen. Auch er hatte Urlaub genommen. Freiwillig habe er in der Ukraine gekämpft, erklärt der Kommentator.

Jetzt, da man nicht mehr vertuschen kann, dass russische Soldaten in der Ukraine umkommen, ist das die offizielle Sprachreglung.

Elena Wassiljewa
Elena Wassiljewa | Bild: Bild: BR

Immerhin werden mittlerweile die ersten Beerdigungen im Fernsehen gezeigt, erklärt mir die Aktivistin Elena Wassiljewa per Skype. Auf ihrer Facebookseite melden sich täglich Mütter und Ehefrauen, die nach ihren Söhnen und Ehemännern suchen, die mittlerweile seit Wochen verschollen sind.

Elena Wassiljewa, Aktivistin:

»Nachdem wir die Briefe der Soldatenmütter veröffentlicht haben, passiert dann oft etwas Merkwürdiges. Nach ein, zwei Tagen, rufen die Mütter uns an und bitten uns, ihren Brief zu entfernen: Jemand habe sie zu Hause besucht und sie bedroht.«

Nachdem sie selbst auch Morddrohungen erhalten hat, ist sie in Moskau untergetaucht. Sie hat Angst uns zu treffen, deshalb skypen wir. "Die Regierung tut alles, um das Thema unter den Teppich zu kehren", erklärt sie mir, "sonst müsste sie ja zugeben, dass wir uns in einem Krieg befinden.“

Elena Wassiljewa, Aktivistin:

»Bei uns haben die Geheimdienste die Macht ergriffen und bestimmen alles. Sie regieren dieses Land nach ihren Geheimdienstmethoden. Sie verstehen einfach nicht, dass es hier auch um die Rechte von Menschen geht.«

"Immerhin", meint sie, "haben wir mit dieser Facebookseite die Informationsblockade gebrochen, die der Kreml errichtet hat.“

Bei den Behörden stoßen die Angehörigen auf eine Mauer des Schweigens. Hier in St Petersburg versuchen Aktivisten in ein Krankenhaus hineinzukommen, in dem mehrere verwundete Soldaten liegen. Die Soldaten werden völlig abgeschirmt.

Olga Alexejewa, Aktivistin:

»Ich war nicht in allen Zimmern, aber da liegen einige verwundete Soldaten, die in der Ukraine gekämpft haben, und sie haben alle die Anweisung nicht zu reden und auch die Ärzte wurden unter Druck gesetzt, damit nichts nach Außen dringt.«

Ella Poljakowa
Ella Poljakowa | Bild: Bild: BR

Im Büro in St Petersburg setzen sich die Aktivistinnen für eine Mutter ein, deren Sohn umgekommen ist. Sie hat seine Kameraden aufgesucht und die haben ihr erzählt, dass er in der Ukraine gefallen sei.

Ella Poljakowa, Aktivistin:

»Der Totenschein ist merkwürdig. Da steht kein Ort drauf, an dem er gestorben ist. Und es werden keine Ermittlungen eingeleitet. Die Mutter wird also nicht als Opfer anerkannt und bekommt daher keine Hinterbliebenenrente. Wie soll sie beweisen, dass er in einem unerklärten Krieg gestorben ist, obwohl seine Wunden daraufhin deuten.«

Wir recherchieren in der Kleinstadt Pskow. Hier sind russische Sondereinheiten stationiert. Die Armee ist der größte Arbeitgeber. Die Menschen haben deshalb Angst etwas gegen das Militär zu sagen.

Lew Schlossberg
Lew Schlossberg | Bild: Bild: BR

Einen Journalisten, der einen Artikel über Russlands Gefallene in der Ukraine schreiben wollte, versuchte man mundtot zu machen. Man schlug ihn vor seinem Haus brutal zusammen.

Lew Schlossberg, Journalist:

»Das, was mir passierte ist, ist gezielte Rache derer, die die russischen Soldaten in die Ukraine in den Krieg geschickt haben. Die versuchen zu vertuschen, dass reguläre Militäreinheiten Russlands am Krieg teilnehmen.«

Das Schema ist überall gleich: Man bringt Soldaten nach Rostov an die Grenze. Dort erfahren sie plötzlich, dass sie eine besondere Mission haben. Man erklärt ihnen, dass sie illegal handeln müssen. Und sie haben keine Möglichkeit, diese Mission zu verweigern, sonst gelten sie als Desserteure.

Mit seinem Artikel "Grabesstille“ wollte Lew Schlossberg dazu beitragen, dass die Menschen auch in Russland endlich die Wahrheit erfahren. Die Mauer des Schweigens ist unerträglich, meint er. Zu viele sind gestorben, als dass man das verschweigen könnte.

Autorin: Birgit Virnich, ARD-Moskau

Stand: 08.09.2014 09:04 Uhr

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