So., 02.10.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Brasilien: Deutsch-Brasilianer unterstützen Bolsonaro
Pomerode ist eine Region geprägt von deutschen Auswanderern, die sich seit 1863 dort niederlassen. Eine deutsche Insel in Südbrasilien. Schilder mit deutschen Namen, Häuser im Fachwerk-Stil und eine Brauerei namens "Schornstein". 2018 machte Pomerode Brasilienweit Schlagzeilen, weil der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro hier eines der höchsten Wahlergebnisse einfuhr: 87 Prozent stimmten damals für ihn. Hier würde Bolsonaro am Sonntag wiedergewählt werden. Die Bauern profitieren von der laxen Hand des Präsidenten bei den Umweltstandards, Unternehmer rühmen seine Wirtschaftspolitik. Und die harte Law-and-Order-Politik unterstützen hier alle.
Pomerode in Brasilien: deutsch, konservativ, pro Bolsonaro
Dieser Ort ist anders als der Rest Brasiliens: Pomerode – ein herausgeputztes Städtchen. Hier sind sie stolz, dass kein Müll rumliegt, sie keine Arbeitslosen haben und keine Armenviertel. Und sie sind stolz auf ihre Herkunft. Hier leben fast nur deutschstämmige Brasilianer – und von denen haben vor vier Jahren 87 Prozent Jair Bolsonaro gewählt. Im lokalen Schützenverein wird mit einer Anschütz geschossen, Kaliber 22, ein deutsches Kleinkalibergewehr. Die meisten Familien sind vor 160 Jahren aus Pommern eingewandert. Bis heute sprechen sie deutsch – mit Dialekt. "Mein Sohn ist auch Schütze", erzählt Rolf Nicolodelli vom Schützenverein "2 de Maio". "Ihm habe ich das von klein auf beigebracht, mit zehn, elf Jahren. Ich sagte ihm: Sohn, kuck hier, wie ich damit umgehe. So musst Du auch eines Tages auch das machen. Und nicht denken, die Waffe ist dafür, sie auf der Straße zu tragen oder Mord im Kopf zu haben. Die Waffe ist für den Sport."
Dass Bolsonaro den Kauf von Waffen vereinfacht hat, kam bei ihnen gut an. Deshalb werden sie den Rechtsaußen wieder wählen. "Mit Präsident Bolsonaro haben wir mehr Freiheit", sagt Wigold Klabunde. "Ich finde, das kann ruhig so weitergehen. Jeder Mensch muss wissen, was er machen kann und muss." Auf ihre Tradition geben sie viel: Deutsch ist in Pomerode so ziemlich alles: Deutsch und konservativ. Deshalb ist Bolsonaro auch ihr Kandidat, über den man spricht – auch beim örtlichen Treffpunkt "Kaffeeklatsch".
Regierung lässt Pestizide zu – Landwirte sind zufrieden
In Pomerode leben Viele von der Landwirtschaft. Gerade wird Reis ausgesät. Ivo Fauth baut ihn in vierter Generation an. Früher mussten sie hier mit dem Ochsenkarren durch die Felder ziehen. Heute dagegen ist alles maschinell und auf Effizienz getrimmt. Damit stieg auch der Einsatz von Pestiziden, um Unkraut und Insekten zu vernichten. So steigerte Ivo seine Produktion. "Wir sind auf die Pestizide angewiesen, die in Brasilien durch die Behörden zugelassen sind. Sie helfen uns, die Menge und die Qualität von unserem Reis zu steigern." Bolsonaro ist sein Präsident. In nur vier Jahren hat dessen Regierung mehr als tausend Pestizide neu zugelassen – auch solche, die in der EU verboten sind. Dank des profitableren Betriebs konnte Ivo sich moderne Erntemaschinen kaufen. Klar, werden er und sein Vater Arnold für Bolsonaro stimmen – und nicht für dessen Herausforderer, Ex-Präsident Lula da Silva. "Der Lula ist wie ein Bananenbusch – der hat schon seine Frucht gegeben. Der soll lieber an was anderes denken, als Präsident werden zu wollen. Ich glaube, dessen Zeit war gewesen."
So denken hier in Südbrasilien die meisten Menschen. In der Bolsonaro-Hochburg Florianopolis treffen sie sich zum Nationalfeiertag bei einer Militärparade. Dass Bolsonaro die Wahl verlieren könnte, ist für viele hier unvorstellbar. Und wenn, dann nur durch einen Betrug des linken Lagers. Glauben sie hier. "Wenn der Linke Lula gewinnen sollte, dann muss es sich um Wahlfälschung handeln", meint Katia da Silva. "Das werden wir nicht akzeptieren und dagegen protestieren, um unser Vaterland zu verteidigen. Zur Parade ist auch Oliver Boje gekommen. Aufgewachsen in Pforzheim lebt er seit 14 Jahren in Südbrasilien. Er unterstützt Bolsonaro vor allem wegen dessen wirtschaftsliberaler Politik. "Sie können jetzt von heute auf morgen eine Firma gründen. Da haben sie früher mehr als 30 Tage gebraucht, bis das genehmigt war. Das machen sie heute alles übers Internet. Sie geben ihre Daten – in 24 oder spätestens 48 Stunden haben sie ihre Steuernummer. Dann können sie anfangen. Das hilft der brasilianischen Industrie doch deutlich."
"Bolsonaro sagt ganz klar, was Sache ist"
Ganz in der Nähe hat Oliver Boje vor ein paar Jahren ein Restaurant und die Haus-Brauerei "Badenia" eröffnet. In den Tanks gärt seine Eigenmarke "Greifenbier". In der Pandemie sei die Bolsonaro-Regierung zur Stelle gewesen – mit günstigen Krediten, die er erst spät zurückzahlen muss. Und mit Arbeitslosengeld für seine freigestellten Mitarbeiter. "Was mir ganz wichtig war, dass wir keine Mitarbeiter entlassen mussten. Das war oberste Priorität: Wenn es irgendwie möglich ist, dass wir alle Mitarbeiter halten können. Das hat geklappt und in der Zwischenzeit haben wir sogar drei Mitarbeiter mehr."
Längst läuft der Betrieb mit seinen 15 Angestellten wieder auf Hochtouren. Sein Restaurant ist beliebt, auch weil es vor badischer Gemütlichkeit nur so strotzt. Über die Lautsprecher läuft SWR3. Umso erstaunlicher, dass Oliver Boje die Aggressivität von Bolsonaro, die brutalen Verbalattacken auf Journalisten und Richter in Schutz nimmt. "Was viele Leute kritisieren an ihm, dass er so grobe Ausdrucksweise hat… auf der anderen Seite denke ich manchmal: Viele Politiker und Abgeordnete… diese förmliche Sprache, die da im Kongress und im Parlament gesprochen wird… und in Wirklichkeit wollen sie sich eher bekriegen, weil sie ganz andere politische Ansichten haben. Da denke ich dann immer: Bolsonaro sagt ganz klar, was Sache ist. Ich finde es eigentlich nicht so schlimm." Oliver Boje hofft auf eine zweite Amtszeit für Bolsonaro. Auf die traditionsbewussten Deutschen kann sich der amtierende Präsident verlassen – in dem Ort und der Region, die so anders sind als der Rest Brasiliens.
Autor: Matthias Ebert, ARD-Studio Rio de Janeiro
Der Weltspiegel Podcast "Wahl in Brasilien: Duell um die Zukunft des Landes" zieht eine Bilanz nach fünf Jahren unter einem rechtsextremen Präsidenten und fragt, was kommen wird. In der ARD-Audiothek und überall da, wo es Podcasts gibt.
Stand: 07.10.2022 14:13 Uhr
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