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Brasilien: Ermittlungsverfahren gegen VW wegen Zwangsarbeit

José Pereira und seine früheren Kollegen
José Pereira und seine früheren Kollegen sind jetzt die Hauptzeugen im Verfahren gegen VW  | Bild: SWR

Der Volkswagen-Konzern muss sich in Brasilien einem neuen Ermittlungsverfahren stellen: Nach Informationen von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung werden der VW-Tochter in Brasilien Ausbeutung von Sklavenarbeit, Menschenhandel und systematische Menschenrechtverletzungen in Hunderten von Fällen vorgeworfen. Die Vorwürfe beziehen sich auf den Zeitraum von 1974 bis 1986. In dieser Zeit baute der Autobauer die Farm "Companhia Vale do Rio Cristalino" am Rande des Amazonasbeckens auf. Die mutmaßlichen Verbrechen sollen auf dem Farmgelände an Leiharbeitern verübt worden sein, die für Rodungsarbeiten eingesetzt wurden – wohl mit Wissen des VW-Vorstands in Wolfsburg.

Die brasilianischen Ermittlungsbehörden haben Volkswagen Brasilien in einer amtlichen Zustellung vom 19. Mai.2022, die den drei Medien vorliegt, offiziell über das Verfahren in Kenntnis gesetzt und zu einer Anhörung am 14. Juni vor dem Arbeitsgericht in der Hauptstadt Brasilia vorgeladen. Auf Anfrage wollte sich das Unternehmen mit Verweis auf das mögliche juristische Verfahren in Brasilien nicht äußern, versicherte aber, dass man die Vorwürfe sehr ernst nehme.

Moderne Sklaverei bei VW in Brasilien

Rio de Janeiro – Schauplatz des wohl neuesten VW-Skandals. Rafael Garcia ist Staatsanwalt. Drei Jahre hat er ermittelt, jetzt hat er Volkswagen offiziell das Verfahren eröffnet. "Unser Fazit ist: Volkswagens Tochterfirma in Brasilien ist verantwortlich für schwere Menschenrechtsverletzungen und abscheuliche Verbrechen. Denn VW wusste über alles Bescheid, was auf der Farm passierte." Es geht um diese Farm, heute stehen nur noch die Ruinen. Der Vorwurf: VW habe hier in den 70er und 80er Jahren hunderte Menschen versklaven lassen. 1973: Volkswagen kauft im Amazonasbecken Regenwald. 140.000 Hektar. Auf Einladung der Militärdiktatur. VW-Steaks aus Brasilien zu exportieren, das war mal der Plan. Was bleibt, ist eine Geschichte von Brutalität. "Das war eine Form moderner Sklaverei", sagt Staatsanwalt Rafael Garcia. "Die Arbeiter mussten sieben Tage die Woche arbeiten, mehr als 10 Stunden am Tag, ohne jede Bezahlung. Ihnen wurde Gewalt angetan, sie wurden daran gehindert, die Farm zu verlassen."

Hausruine als Rest der VW-Farm "Companhia Vale do Rio Cristalino"
Reste der VW-Farm "Companhia Vale do Rio Cristalino" am Rande des Amazonasbeckens  | Bild: SWR

Es geht um die Männer, die für VW den Regenwald rodeten. Das Farm-Management beauftragte Arbeitsvermittler, sich um die Rodungsarbeiten zu kümmern. Die suchten Leiharbeiter in entlegenen Dörfern der Region und transportierten sie zur Farm. José Pereira und seine früheren Kollegen hofften auf einen guten Job. Erzählten sie uns 2017. Die Männer sind jetzt Hauptzeugen im Verfahren der brasilianischen Staatsanwaltschaft. Sie suchten einen guten Job, stattdessen wurden sie offenbar auf der Farm eingesperrt. In den Zeugenvernehmungen erzählen sie von Fesseln nach Fluchtversuchen, von der Arbeit mit vorgehaltener Waffe – und sogar von Todesfällen.

Schüsse und Prügel auf der VW-Farm

"Wenn jemand versuchte zu fliehen, sind die Aufpasser hinter ihnen her und haben sie angeschossen" erzählt der ehemalige Arbeiter José Pereira, "sie haben diejenigen, die geflohen waren, verprügelt. Auf der Straße, in den Hütten. Alle haben es gesehen." Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Schwere Menschenrechtsverletzungen in hunderten von Fällen. Die VW Farm als Falle: Aus den Leiharbeitern wurden offenbar Schuldknechte. "Auf der Farm konnte man nur Essen zu absurden Preisen kaufen. Und als wir die ersten 100 Hektar gerodet hatten, hatten wir hohe Schulden bei ihm. Er sagte – ihr wollt gehen? Nein, jetzt müsst ihr eure Schulden abarbeiten." José und die Leiharbeiter lebten in erbärmlichen Zuständen. Ganz im Gegensatz zu den VW-Angestellten. Für sie gab es auf dem Hauptsitz der Farm viel Komfort.

Friedrich Brügger
Friedrich Brügger war 12 Jahre Manager der Farm  | Bild: SWR

Ihr Chef war ein Schweizer. Der Agronom Friedrich Brügger. Er war der Manager der VW-Farm, er hatte den Autobauern zum Fleischproduzenten gemacht. "Wir haben ja das Diplom schon bei Geburt als Kuhschweizer." Nach 40 Jahren in Brasilien ist er wieder in der Heimat. Für ihn war es der Job seines Lebens, an den er sich bis heute gern zurückerinnert. 1974 begann er mit dem Aufbau der Fazenda Rio Cristalino, der VW Farm. Brügger gefiel sich in seiner Rolle. "Ein Cowboy. Das ist das Leben eines Cowboys. Das sind die Kühe und das ist der Boy. Ist nichts anderes."

Von uns hört er das erste Mal von dem Ermittlungsverfahren – und den Wortlaut der Akten." Die VW Farm ist verantwortlich für Menschenhandel und Ausbeutung von Sklavenarbeit. "Fertiger Blödsinn. Also es ist doch so von den Haaren herbeigezogen, wie wenn es heute nichts Wichtiges zu verbessern gäbe als die Vergangenheit. Die bringt ja nichts mehr. Auch wenn es falsch gewesen wäre."

Erste Anhörung von VW ist Mitte Juni

Über 12 Jahre war er Manager der Farm, als die Ruinen noch Neubauten waren. Dann hat VW sie verkauft, das Geschäft lohnte sich nicht. Über die gesamten 12 Jahre soll es laut Ermittlungsakte Menschenrechtsverletzungen in hunderten von Fällen gegeben haben. "VW hat diese Form von Versklavung offensichtlich nicht nur akzeptiert, sondern auch befördert – es war schlichtweg billige Arbeitskraft", sagt Staatsanwalt Garcia. "VW und Herr Brügger hätten diese Gewalt sofort stoppen müssen, von Beginn an." Aber von Verantwortung will Brügger nichts wissen. Im damaligen Rahmen sei nichts Unübliches passiert. "Das geht ins Uferlose. Irgendwo hört die Verantwortung eines Unternehmers auf." Frage: Das Ausmaß muss Ihnen noch klar gewesen sein. Sie waren doch der Manager. "Es ist absurd. Man muss die Sache im Rahmen sehen. Wo Tausende und 1.000 Leute auf einem – Männer auf einem – die Frauen ziehen sich raus – auf einem Haufen sind, dass es da nicht immer ganz zart zugeht. Das liegt auf der Hand. Vor allem Mitten im Urwald."

Rafael Garcia
Staatsanwalt Rafael Garcia ermittelt gegen VW  | Bild: SWR

Brügger spreche nicht für die Volkswagen AG, heißt es aus Wolfsburg, seine Aussagen würden im Widerspruch zu den Werten von VW stehen. Inhaltlich gibt es keinen Kommentar. VW schreibt aber, man nehme die Vorwürfe ernst. Staatsanwalt Rafael Garcia in Rio de Janeiro will jetzt Gerechtigkeit herstellen. "Wir sind davon überzeugt, dass Volkswagen seine Verantwortung anerkennen wird", meint Staatsanwalt Garcia. "Dass es einen Vergleich mit der Staatsanwaltschaft gibt, damit die Arbeiter von damals entschädigt werden. Mitte Juni muss Volkswagen zu einer ersten Anhörung erscheinen.Letztendlich geht es darum, dass die Arbeiter von damals eine Wiedergutmachung erfahren, für die Gewalt, die Ihnen offenbar angetan wurde. Jahrzehnte später.

Autorin: Stefanie Dodt

Stand: 29.05.2022 20:43 Uhr

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