Mo., 26.10.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Brasilien: Flüchtlinge willkommen
Sondervisa für Syrer – das war die Reaktion Brasiliens auf die Massenflucht aus dem Bürgerkriegsland. In den brasilianischen Botschaften von Beirut oder Amman können diese Visa beantragt werden. Alles was danach kommt, müssen die Syrer allerdings selbst organisieren: vom Langstreckenflug bis zum Job in Brasilien. Ali Jeratli hat das geschafft. Er lebt seit fast zwei Jahren in São Paulo, hat rasend schnell Portugiesisch gelernt und hilft nun Landsleuten, die sich schwerer tun mit ihrer neuen Heimat. 8.000 Syrer sind bislang als Kriegsflüchtlinge nach Brasilien gekommen. Sie werden die multi-ethnische Kultur des Landes bereichern, sagte Präsidentin Rousseff. Ali Jeratli tut dies bereits: er gibt Arabischkurse für interessierte Brasilianer. Eine Reportage von Michael Stocks, ARD Rio de Janeiro.
Außer dem Visum keine Hilfe
São Paulo, Großstadtdschungel und Megacity. Etwa 24 Millionen Menschen leben in der Metropolregion, fast alle mit Vorfahren aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt. Die Millionenstadt ist auch für viele Araber Heimat geworden. Inzwischen auch für einige syrische Flüchtlinge. Ali Jeratli ist bereits vor zwei Jahren in Brasilien gelandet. Froh, diesen exotischen Zufluchtsort erreicht und den Bürgerkrieg hinter sich gelassen zu haben. „Meine Heimatstadt Al-Salamiyah liegt mitten im Zentrum von Syrien. Der Islamische Staat ist dort und andere gefährliche Gruppen. Es ist wirklich sehr gefährlich.“ Als Syrer bekam Ali hier sofort ein Visum, ansonsten keine Hilfe. Das 27-jährige Sprachtalent hilft seinen neu ankommenden Landsleuten bei den Alltagsproblemen. „Das Portugiesisch ist schwer“, meint ein gerade angekommener Syrer. "Nein", entgegnet Ali. "Nur ein bisschen.“
So wie die Eingewöhnung in die neue, lockere, unislamische Umgebung. „Er denkt", sagt Ali, "die Unterschiede zwischen Brasilien und Syrien seien nicht so groß. Aber es gibt hier auch Vorurteile - Leute, die glauben, dass Araber sehr verschlossen sind. Manche denken, Muslime wären nur an Bomben interessiert. Aber so sind wir nicht. Deshalb will ich auch Leute unterrichten. Ich möchte, dass jeder weiß, dass Syrien eine große Geschichte hat.“
Gegenseitige Kulturvermittlung
Ali hatte sich gleich nach seiner Ankunft auf Brasilien eingelassen, portugiesisch gepaukt und konnte sogar bei der Fußball WM als Übersetzer arbeiten. Und jetzt bringt er interessierten, jungen Brasilianern die Kultur seines Landes näher. Sabah, will er wissen, was heißt das? Genau: bom dia – guten Morgen. Interesse für die anderen. Brasilien stellt sich wohl als eines der ungewöhnlichsten Aufnahmeländer im Syrien-Drama dar. Diese jungen Leute aus São Paulo jedenfalls wollen mehr wissen, über die, die aus ihrem Land flüchten mussten. Das begeistert Ali und auch die Schüler haben viel Spaß. „Bei all den Flüchtlingen, die nun kommen, finde ich es einfach gut, wenn man mehr über den anderen erfährt und man zusammen ist. Ali kann etwas sagen über sein Land, die Kultur und die Sprache. Das ist sehr reizvoll.“
Über 12 Millionen Brasilianer haben einen arabischen Migrationshintergrund, das entspricht 6 Prozent der Bevölkerung. In São Paulo steht die älteste Moschee Lateinamerikas - die Mesquita do Brasil, 1929 gebaut. Für syrische Flüchtlinge wie Ali, ist das fast wie ein Stück Heimat. Ein Ort der Begegnung, wo sie zumindest in Gedanken den Angehörigen zuhause etwas näher kommen können. 2.100 Syrer haben in den letzten zwei Jahren Brasiliens Angebot für ein Sondervisum angenommen. Alis Eltern und Verwandte bislang nicht. Dabei wünscht er sich nichts mehr, als das sie ihm nach Brasilien folgen würden. „Ich vermisse meine Familie sehr. Und nicht nur die Familie. Meine Stadt, meine Freunde, meine Cousins und Cousinen. Vor dem Krieg waren wir immer zusammen. Fast jeden Tag trafen wir uns zum Mittagessen. Wir hatten immer eine gute Zeit. So war mein Leben in dieser Vergangenheit.“
Wenigstens Frieden!
Die Gegenwart in Brasilien sieht nun so aus: kein Unterhalt, keine Sachleistungen. Alles, auch der Sprachunterricht, muss privat organisiert werden. Arbeiten könnten die Syrer sofort, wenn sie einen Job finden. In Zeiten der Wirtschaftskrise extrem schwer. Trotzdem, Hauptsache weg vom Bürgerkrieg. „Die Menschen aus Syrien müssen die Möglichkeit haben auszureisen. Sie wollen nicht länger ihr Leben verpassen, wegen des Krieges und der Hungersnöte. Deshalb versuchen sie jede Möglichkeit zu nutzen, auch die schwierigsten Wege. Manche eben auch mit Hilfe von Schleusern. Ich wollte das nicht und diesen Verbrechern auch noch 8.000 Euro bezahlen müssen.“
Syrische Flüchtlinge auf der Bühne. Sie erzählen von sich, der Katastrophe in ihrem Land und ihren Hoffnungen. In diesem Kulturverein in Sao Paulo treffen sie auf interessierte Zuhörer. Als Ali sie zum arabischen Tanz auffordert, lassen sich die Brasilianer das nicht zweimal sagen. "Das erinnert mich an die Feste zuhause mit meiner Familie. Bevor der Krieg losging, vor vier Jahren, war das mein Leben. Es war genauso, wie das, was ihr jetzt hier seht.“ Auch wenn die Integration angesichts der Wirtschaftskrise in Brasilien sehr schwer ist, so finden die syrischen Flüchtlinge hier doch eines: Frieden!
Stand: 09.07.2019 22:37 Uhr
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