So., 19.11.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Brasilien: Schwarze Frauenpower
"Das Meer bedeutet für mich Stärke, Akzeptanz und Zugehörigkeit. Ich gebe viel Liebe und ich empfange auch viel Liebe. Ich bin all das: Ich bin Erde, ich bin Meer, ich bin ein Kind, ich bin eine Frau, ich bin Nuala Costa." Nuala Costa ist eine Pionierin in Brasilien. Ende der 90er gehört sie zu den ersten Schwarzen Frauen die nationale Profi-Wettkämpfe im Surfen bestreiten. Nuala gewinnt Meisterschaften – aber keine Anerkennung. So groß, so stark, so anders, so allein: "Niemand hat offen rassistisch zu mir gesprochen. Aber keine der großen Marken hat mich gesponsert. Ich merkte, dass in Zeitungen und Zeitschriften Artikel über die Wettbewerbe erschienen, an denen ich teilnahm, aber mein Name tauchte nie auf. Selbst wenn ich den Wettbewerb gewonnen hatte, interessierte es sie nicht."
Obwohl Nuala mit ein Meter 83 unübersehbar ist, fühlt sie sich unsichtbar. Ohne Sponsoren fehlt ihr das Geld, um zu den Wettbewerben zu reisen und so gibt Nuala den Profisport auf. Bis heute habe sich die Situation der Schwarzen Frauen kaum verbessert. "Eine Frau verdient weniger als ein Mann und eine Schwarze Frau verdient weniger als alle anderen", erklärt sie.
Nuala schenkt Hoffnung und Selbstvertrauen
Der Strand in Maracaipe im Nordosten Brasiliens gehört den Tourist:innen, sie geben den Ton an. Gutes Geld verdient im kleinen Ort kaum jemand. Ohne Ausbildung widmen sich viele Frauen dem Haushalt. Oder sie arbeiten viel und verdienen wenig. Es fehle vielen an Selbstbewusstsein, meint Nuala. Und was macht das mit den Kindern? Nuala will was verändern und startet eine Bewegung: Für Sichtbarkeit. Für selbstbestimmte Schwarze Mädchen und auch Jungs. Und das beginnt in den Wellen. Jeden Samstag lehrt Nuala die Kinder surfen. Denn obwohl sie hier leben, glauben viele, dass sie nicht an den eigenen Strand gehören: "Surfen ist ein Sport, der an sich schon Kraft gibt und stark macht. Hier zu Surfen sorgt dafür, dass sich unsere Kinder ganz natürlich zugehörig fühlen zum Strand, zum Meer, zu allem hier."
Selbstverständlich den Raum einnehmen, der allen gehört, Mädchen wie Jungs, Schwarzen wie Weißen und allem, was es dazwischen gibt. Nuala ist ihre Quelle für Selbstvertrauen, ihr Vorbild: auch für die 5-jährige Calyane: "Wenn ich mal traurig bin, dann ist Nuala für mich da und ich kann über meine Gefühle reden. Auch wenn ich surfe und Angst habe, macht sie mir Mut. Ich höre auf sie und schaffe es." Selbstvertrauen auf allen Ebenen – darum geht es. Auch in der eigenen Kultur und Geschichte. Im Mangrovenwald spüre sie besonders ihre Afro-Brasilianischen Wurzeln, sagt Nuala. An dieser Sandbank wurden vor über 100 Jahren die Sklaven an Land gebracht und verkauft. Von hier sind sie in den Schutz der Mangrovenwälder geflohen. Haben ihre Freiheit erkämpft. "Ich gehe hier durch und mir wird klar, dass es das ist, was meine Vorfahren wollten: dass ich als freier Mensch hier bin", sagt sie.
Ein Vorbild für viele
Zur eigenen Kultur gehört die legendäre Capoeira-Kampfkunst. Gleich beginnt der Unterricht bei Nuala. Nachbarin Jani ist so dankbar, dass Nuala, die Mädchen im Ort stark macht. Capoeira wurde im 17. Jahrhundert von Sklaven in Brasilien als Widerstandskampf entwickelt. Um den Kampf zu tarnen, vereint Capoeira Angriffstechniken mit Tanz. Die eigene Kultur am Leben erhalten, und dadurch Kraft spüren. Nuala organisiert den Unterricht mit Hilfe von Spenden. Ihre Devise: Willst du etwas verändern: pack es selbst an: "Angst blockiert mich nicht, sondern treibt mich an. Man muss einfach anfangen. Viele Menschen haben Angst vor dem Neuen, Angst zu versagen, aber wenn du nicht irgendwann anfängst, kommst du nirgendwo an, wenn es schief geht, fängst du einfach neu an."
Nuala verändert nicht nur ihre Gemeinde, sie verändert in kleinen Schritten ganz Brasilien. Auf den Tag heute freut sie sich schon das ganze Jahr. "Ich bin jetzt wirklich aufgeregt, wirklich", sagt sie. Aus dem ganzen Land kommen Frauen angereist, die Surfen wollen. Und für sie ist es keine Selbstverständlichkeit, das Geld für das Flugticket und Übernachtungen zu haben. Doch sie wollen unbedingt dabei sein. Für sie alle ist Nuala die Vorkämpferin, die ihnen Kraft und Mut gibt. "Sie ist eine große Inspiration. Ich wollte nicht weinen und es braucht keine Minute. Wir sind die Mehrheit, wir können nicht am Rande der Geschichte stattfinden. Wir müssen unsere eigene Geschichte erzählen. Wir müssen Events machen, uns den Raum nehmen, und zwar am besten schon seit gestern", erzählt Erica Pardo.
Selbst im Jahr 2023 ist es keine Selbstverständlichkeit als Schwarze Frau zu surfen, auch heute noch brauche es den Schutz der Gemeinschaft, um sich auszuprobieren. "Wenn du auf Instagram schaust, oder im Fernsehen, sind alle weiß. Es ist gut, dass wir hier einander haben", sagt Surf-Schülerin Erica. Heute sind es hier dreißig Frauen. Doch es sollen mehr und mehr werden, und geht es nach Nuala, nicht nur in Brasilien, sondern auf der ganzen Welt. Die Bewegung sei nicht mehr zu stoppen. "Surfistas Negras."
Autorin: Xenia Böttcher / ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 19.11.2023 20:12 Uhr
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