So., 30.01.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
China: Eine Weltmacht lädt zu Olympischen Winterspielen
Die XXIV. Olympischen Winterspiele in Peking. Für das Regime eine willkommene Chance auf Hochglanz-Bilder, die zwei Wochen lang Schlagzeilen von Menschenrechtsverletzungen und Freiheitbeschränkungen in den Hintergrund drängen. Und auch das eigene Volk soll begeistert werden: Bis zum nächsten Jahr, so Staats- und Parteiführer Xi Jinping, sollen 300 Millionen Chinesen zu Wintersportlern werden.
Tamara Anthony begleitet mit ihrem Team einen Skifan, der auf einem rollenden Ski-Teppich im Einkaufszentrum trainiert. Und sie erlebt auf der Drehreise, wie sehr die chinesische Regierung die Berichterstattung über Olympia steuern will.
Skifahren boomt in China
Die Skyline von Shanghai. Das moderne China. Zheng Haiyang ist mit seiner Mutter auf dem Weg zum Skifahren. Aber statt in die Berge, geht’s ins Einkaufszentrum. Wintersport ist hip bei der wohlhabenden Mittelschicht. Olympia macht den Skisport noch präsenter. "Das erste Mal bin ich hier vor knapp vier Jahren gefahren. Schnee hatte ich noch nie gesehen, insofern war das eine tolle neue Erfahrung für mich." Slalomrennen auf der Teppichpiste. Dazu ein bisschen Après-Ski. Hier kann die wachsende Mittelschicht unkompliziert auf den Wintersport-Geschmack kommen. Die Südtiroler Firma Snow51 hat das Konzept entwickelt. Ein riesiger Markt lockt. Viele wittern den Profit. Die Winterspiele ein riesiger Wachstumsmotor für die Ski-Industrie. Die olympischen Pisten nahe Peking eine neue Tourismusattraktion.
Und die Menschen in den Dörfern neben den Pisten? Wir sind unterwegs, wollen herausfinden, was sie hier über Olympia denken. Aber die Ortschaften sind zu Sicherheitshochburgen geworden. Polizeikontrollen, immer wieder. Jeder muss sich ausweisen. Als Ausländer sollen wir direkt mit der Polizei sprechen. Sie wollen von unserem Pass ein Foto machen, auch von unserem Visum. Und nicht nur das: Wir sollen eine App auf unser Handy laden. Darin verlangt die Polizei Zugang zu unserer Ortung. Damit wir weiterfahren dürfen, lassen wir uns darauf ein. Nun können sie uns auch digital verfolgen.
Die gleichen zwei Autos fahren immer hinter uns her. Die Region ist ärmlich. Profitieren hier die Menschen vom Ski-Boom? Zum Beispiel dieser Mann auf einem Schrottplatz. Aber schon funkt jemand dazwischen. Gibt ihm offenbar Anweisungen. Noch bevor wir ihn überhaupt ansprechen können, macht er das Tor zu. Unsere Aufpasser waren schneller. Wir versuchen es etwas abgelegener, an einem Bergweg. Und haben Glück, treffen einen Anwohner. Das ist meine Feuerschutzjacke erzählt er und will dann ganz entspannt ein Interview geben. Aber dann: "Junge Frau, ich …äh… ich muss noch was holen, ähhh, jemand wartet auf mich." Ein anderer Mann kommt hinzu. "Wegen der Pandemie dürfen keine Fremden ins Dorf." Wieder ist ein Aufpasser im Einsatz.
Der Staat hat die Berichterstattung unter Kontrolle
Der Staat will jede öffentliche Äußerung kontrollieren. Für die olympischen Spiele hat die Regierung einen eigenen Fernsehkanal ins Leben gerufen. Nur solche Bilder der Region sollen um die Welt gehen. Sie hat selbst erlebt, wie engmaschig die Zensur ist: Der Tennis-Star Peng Shuai. In einem Internetpost schreibt sie über sexuelle Übergriffe durch den hochrangigen chinesischen Politiker Zhang Gaoli. Im chinesischen Internet ist er nach nur 30 Minuten zensiert. Nur jahrealte Beiträge finden sich über den Tennisstar. Sie verschwindet aus der Öffentlichkeit. Im Ausland fragen sich immer mehr "Wo ist Peng Shuai?” Ein Gespräch mit IOC-Präsident Bach soll der Welt vermitteln, dass es ihr gut geht. Einige Wochen später nimmt sie sogar die Vorwürfe zurück. aber konnte sie frei sprechen?
In China haben erzwungene Aussagen in der Öffentlichkeit System. Wang Yu hat das selbst erfahren. Sie ist Anwältin, vertrat Dissidenten. Doch 2015 wurde sie verhaftet. Untergrabung des Staates, so der Vorwurf. "Seit ich verhaftet wurde, haben sie von mir gefordert, mich im Fernsehen schuldig zu bekennen, ich habe das abgelehnt." Über ein Jahr hält der chinesische Staat Wang Yu fest, zunächst an einem unbekannten Ort. Dort erfährt sie, dass auch ihr Mann − ebenfalls Anwalt − und ihr damals 15 Jahre alter Sohn festgenommen sind. Nach schwerer Folter, so erzählt sie, gesteht sie schließlich vor Kameras. "Die Methode des erzwungenen Geständnisses im Fernsehen hat nicht mit mir begonnen und wird auch nicht mit mir enden. Hier ist das alles sehr weit weg. Politik ist ein Tabu."
Im Skigebiet treffen wir wieder den 15-jährigen Zheng Haiyang und seiner Mutter aus Shanghai. Jetzt wird sich zeigen, wie gut das Training auf dem Ski-Teppich im Einkaufszentrum war. Zwei Wochen hat er sich von der Schule befreien lassen, um sich für den heutigen Wettkampf vorzubereiten. Seine Ambitionen sind groß. "Was ist dein Traum?" "Chinas bester Skifahrer werden." Er muss sich gegen Konkurrenten aus ganz China durchsetzen. Zheng Haiyang fährt heute auf Platz 7. Skination China? Er glaubt nicht, dass das noch lange dauert. Von Null zur Weltspitze. China will es mit den Olympischen Winterspielen demonstrieren: für sie sei nichts unmöglich.
Autorin: Tamara Anthony, ARD-Studio Peking
Stand: 30.01.2022 21:05 Uhr
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