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China: Folter als Alltag

China: Folter als Alltag | Bild: ARD

Kaum ein Land verzeichnet bei Schwerverbrechen höhere Aufklärungsquoten als China. Dort gilt der Justiz häufig ein Urteil nur dann als gutes Urteil, wenn auch ein Geständnis vorliegt. Geständnisse werden jedoch sehr oft durch Folter bei den polizeilichen Verhören erpresst. Eine Praxis, die laut einem Bericht von Human Rights Watch fast schon routinemäßig ist.

Zwar bekämpft die Staatsführung offiziell die Verwendung falscher und erzwungener Aussagen in Strafprozessen. Der Alltag sieht aber anders aus. Verdächtige werden tagelang u.a. "an Metallstühlen festgeschnallt, an Handgelenken aufgehängt". Kaum einem Gewaltopfer gelingt es später gegen die staatlichen Peiniger gerichtlich vorzugehen. Eine Reportage von Ariane Reimers, ARD Peking.

Nicht einmal Gebete haben geholfen. Der 76jährige Großvater und seine Tochter wissen keinen Rat. Ihre Familie ist zerstört. Seit mehr als drei Jahren sind ihre Liebsten im Gefängnis, drei Söhne und der Schwiegersohn. Unschuldig sagen sie. Erst erpresste die Polizei unter der Folter Geständnisse, und auf deren Grundlage verurteilte sie das Gericht dann zu mehr als zehn Jahren Haft. Der Vorwurf: organisierte Kriminalität. "Ich kann nur weinen", klagt Zheng Songmu. "Ich kann kaum sprechen. In jener Nacht des 28. August wurde unsere ganze Familie festgenommen."

Eine ganze Familie wird gefoltert

Frau erzählt wie sie gefoltert wurde
Zheng Sumei wurde zusammen mit ihrer Familie verhaftet und gefoltert.  | Bild: SWR

Die Polizei kommt in den frühen Morgenstunden. Die Bilder von der Überwachungskamera der Familie zeigen den Überfall. Alles geht ganz schnell. Nach fünf Minuten werden die Verdächtigen zum Teil mit Kapuzen über den Kopf abgeführt, insgesamt acht Familienmitglieder, auch der Großvater, auch die Tochter. So beginnt im Jahr 2012 die Katastrophe der Familie Zheng. "Sie haben uns geschlagen, bis die Zähne sich lockerten", erzählt Zheng Sumei. "Nach zehn Tagen konnte ich nicht länger, ich habe an Selbstmord gedacht. Ich wollte ihnen vorgeben, ich müsste zur Toilette und wollte dann meine Halskette schlucken. Die Folter war so schrecklich, schlimmer als sterben." In den Nachbarzellen schreien die anderen. Traumatische Erlebnisse. Der Großvater und seine Tochter: inzwischen wieder frei. Warum die Zhengs zur Zielscheibe wurden – sie wissen es nicht. Einer der Verurteilten war sogar 15 Jahre lang Vorsitzender des Dorf-Komitees. Unter der Folter aber haben die Brüder gestanden, eine kriminelle Organisation geleitet zu haben. "Ein Knochen in der Hand von meinem Schwiegersohn war gebrochen, er war ständig gefesselt, die Gliedmaßen dadurch geschwollen", erzählt Zheng Songmu. "Mein jüngster Sohn wurde auch schlimm geschlagen und war auch gefesselt, z.T. haben sich Hände und Füße dunkel verfärbt. Hier sieht man, der ganze Körper war voller Verletzungen."

Zeichnung verschiedener Folterarten
Durch Folter erzwungene Geständnisse sind in China alltäglich.  | Bild: SWR

In diesem Verhörzentrum nicht weit von ihrem Zuhause wurden sie gequält. Auch in China ist das illegal. Erzwungene Geständnisse dürfen seit 2012 auch nicht mehr in Prozesse eingebracht werden. Dem Gericht war das egal. Im Januar 2014 fällt das Urteil, seitdem kämpft die Familie um Gerechtigkeit. Die Großeltern waren schon 20 Mal im weit entfernten Peking, um als Petitionäre Gehör zu finden. Insgesamt 100 Mal haben sie um Recht gebettelt. Bisher vergeblich. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" hat die Folterpraxis in China dokumentiert: Stresspositionen, Fesselung über Tage und Wochen, Schläge, Kälte, Schlafentzug... Erzwungene Geständnisse sind nach wie vor üblich – weil der Staat den Erfolg der Polizeiarbeit lange an der Aufklärungsquote bemessen hat und Geständnisse als non plus ultra gelten. "Es ist Teil der Kultur in China – oder besser gesagt, übliche Praxis im Rechtssystem, auf Geständnisse der Beschuldigten zu setzen", erklärt der Anwalt Wang Xing. "Beweise zu ermitteln, kostet Zeit und Mühe und erfordert moderne Methoden. Ein Geständnis ist der einfachste Weg, um einen Fall zu lösen, denn dann hat der Angeklagte das Verbrechen ja selbst zugegeben."

Mehr als 10 Jahre Gefängnis nach der Folter – ein Fehlurteil

Folter und Fehlurteile haben auch das Leben von Familie Zhang in der Provinz Anhui zerstört. Seit ihr Mann 1999 festgenommen wurde, galt Wu Min als Frau eines Mädchenmörders und Vergewaltigers. Sie musste alleine die Familie ernähren, die Kinder großziehen. Zhang Dafa saß mehr als zehn Jahre hinter Gittern. Eine schwere Zeit. Ein verschenktes Leben. "Als ich ins Gefängnis kam, gab es niemanden mehr, der Geld verdiente", sagt Zhang Dafa. "Meine Kinder wurden in der Schule gemobbt, "Dein Vater ist ein Mörder" wurden sie beschimpft, aber sie haben doch auch Würde, dann haben sie die Schule abgebrochen, mit 13 bzw. 15. Die Familie hat sehr gelitten."

Fünf Männer sitzend
Zhang Dafa und vier andere Männer wurden 1999 zu Unrecht wegen des Mordes an einem Mädchen verurteilt.  | Bild: SWR

Zhang Dafa und vier andere Männer aus dem Dorf wurden 1999 wegen des Mordes an einem jungen Mädchen festgenommen. Das Verbrechen hatte bereits drei Jahre vorher stattgefunden und war nicht aufgeklärt worden. Dann schob die Polizei es ihnen in die Schuhe. Alle fünf wurden massiv gefoltert, am Ende gestanden sie die Tat. "Ich hatte keine Kraft mehr, keinen Willen. Ich konnte die Folter einfach nicht mehr ertragen. Es gab keinen Ausweg. Die Polizisten haben mir erzählt, wie die Tat begangen wurde und ich musste einfach nur mit "Ja" bestätigen. Wenn ich "Nein" gesagt habe, haben sie sofort wieder zugeschlagen. Und so habe ich unterschrieben."

19 Jahre nach dem Verbrechen – im Juli dieses Jahres – hat die Staatsgewalt die Fehlurteile eingestanden. Ein erster Schritt. Eine Entschädigung haben die fünf aber noch nicht bekommen. Dafür wollen sie jetzt kämpfen. Wichtiger noch, sie wollen, dass ihre Folterer zur Rechenschaft gezogen werden. Die waren damals nämlich alle befördert worden und bekamen einen Santana 2000 als Belohnung. Die fünf kommen gut vorbereitet zum lokalen Petitionsbüro. Sie haben Schriftsätze dabei, sie sind voller Hoffnung, sie glauben Xi Jinping’s Versprechen, für mehr Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. "Diejenigen, die das Gesetz gebrochen haben, müssen zur Verantwortung gezogen werden", meint Zhang Baifa. "Es sind nicht unsere persönlichen Feinde, sie haben das chinesische Gesetz gebrochen. Und danach sollen sie jetzt gemessen werden." Ein Kader empfängt sie, bittet sie hinein –der zuständige Verantwortliche sei zwar gerade in einer Sitzung, aber sie sollen doch gerne drinnen warten. Es wird ein langer, schwieriger Weg, der noch vor ihnen liegt. Denn was Rechtsstaatlichkeit ist in China, entscheidet nach wie vor die Partei.

Stand: 09.07.2019 12:57 Uhr

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