Mo., 30.10.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Hongkong – Der zähe Kampf um Freiheit
Er wurde entführt, in ein Gefängnis geworfen, dann aufgefordert, Kollegen und Kunden zu verraten. Er konnte 2016 entkommen und klagt nun an: Buchhändler Lam Win-kee. Er hatte, wie andere auch in Hongkong, Bücher und Broschüren verkauft, die sich kritisch mit dem Mutterland China auseinandersetzen.
Lam hat Angst, dass die Schergen wieder kommen und ihn holen und trotzdem will er weitermachen, weiter Kritik an Unterdrückung und Repression in China üben. Lam ist nicht allein. Ob kritische Studenten oder Professoren – in Hongkong wollen viele nicht hinnehmen, dass auch dort Freiheit und Demokratie in Gefahr sind. Eine Reportage von ARD-Korrespondentin Sascha Storfner (Studio Peking) aus einer Stadt, die sich nicht einschüchtern lässt.
Früher klebte hier Werbung für Bücher, die in Hongkong ganz legal verkauft werden können, aber in China von der Partei verboten sind. Magazine über Politiker-Intrigen, Enthüllungen über Mao. Ein schmales Treppenhaus führt hoch zum Buchladen in dem die von Peking verbotenen Bücher verkauft wurden. Für den Buchhändler Lam Wing-kee war hier sein zweites zu Hause. Seit zwei Jahren ist der Laden verrammelt. "Ich kann nicht rein. Der Laden gehört jetzt der Kommunistischen Partei Chinas. Sie haben das Schloss ausgewechselt."
Verschleppt, weil die Bücher der Partei nicht gefielen
Lam Win-kees Geschichte beginnt vor zwei Jahren. Damals waren wir schon einmal hier, vor dem Buchladen der verbotenen Bücher. Überall Plakate. Vermisst: fünf Buchhändler. In der Mitte: Buchhändler Lam. Alle auf mysteriöse Weise verschwunden. Die Hongkonger fühlten sich ins Herz getroffen, sie appellierten an Peking: gebt uns unsere Buchhändler zurück! Die waren gekidnappt worden. Weil sie Bücher, die der Partei nicht gefielen, verlegt und verschickt hatten. Die Hongkonger sahen ihre Insel der Meinungsfreiheit bedroht. "Es gingen damals so viele Leute für einen kleinen Buchladen auf die Straße", erzählt der Buchhändler Lam Win-kee. "Sie kämpften für uns, aber auch für sich selbst, weil sie nicht wollten, dass ihnen ähnliches passiert."
Was ihm passierte, davon hat er noch heute Alpträume. Buchhändler Lam erinnert sich an seine fast neun Monate in Gefangenschaft. Er war auf dem Weg nach Shenzhen in China, 30 Polizisten fingen ihn am Zoll ab, eine Nacht lang wurde er verhört, dann mit Augenbinde und Handschellen verschleppt, 13 Stunden mit dem Zug in ein Gefängnis in Ningbo in der Nähe von Shanghai. Verhöre im Stil der Kulturrevolution. "Du bist gegen die Kommunistische Partei, Du liebst Dein Land nicht, Du willst die chinesische Regierung stürzen, Du verachtest unsere chinesischen Führer, deine Schuld kann nicht vergeben werden. Das sagten sie und ich wusste, dass sie mir lebenslänglich geben könnten, ohne Gerichtsverhandlung."
Auch in Freiheit noch Angst vor der Staatsmacht
Nach Monaten das erste Lebenszeichen von Buchhändler Lam: im chinesischen Staatsfernsehen macht er ein Geständnis. Er gibt illegale Aktivitäten zu: regimekritische Bücher verkauft und verschickt zu haben. Die Aufzeichnung: inszeniert und erzwungen. "Das Ganze war von ihnen abgesegnet worden, sie haben im Video geschnitten, wenn sie nicht zufrieden waren. Sie waren dabei, als Produzenten, ich musste ihnen folgen."
Im Sommer 2016 taucht er aus dem Nichts auf. Die chinesische Polizei hatte ihn für einen Tag nach Hongkong geschickt, damit er eine Festplatte mit allen Kundendaten hole. Er war schon auf dem Weg zurück nach China, da beschließt er, sich nicht benutzen zu lassen. Nimmt allen Mut zusammen und dreht um. Er tritt vor die Presse. Macht öffentlich, was ihm passiert war, sein einziger Schutz. Er tat es auch für Hongkong, sagt er. Angst davor, dass die Schergen wiederkommen, hat er immer noch, bis heute. "Ich bin immer sehr vorsichtig, wenn ich auf der Straße bin, trage eine Kappe und einen Mundschutz, um nicht erkannt zu werden und nehme unterschiedliche Routen mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln. Ich versuche, an belebten Orten zu sein. Ich muss vorsichtig sein."
Die Stimmung in Hongkong hat sich merkwürdig verkrampft. Die Menschen in der pulsierenden Stadt wirken seit der Sache mit den Buchhändlern depressiver. Verbotene Bücher findet man selten, zum Beispiel bei Paul Tang. Aber das Geschäft läuft nicht mehr gut, er bekommt nur noch halb so viele Bücher geliefert wie vor der Sache mit den Buchhändlern. Sogar Paul, ein positiv denkender Mensch, hat sich eine Überwachungskamera eingebaut. Alle haben Angst. Auch die Kunden werden zögerlicher. Bücher über den Nobelpreisträger Liu Xiaobo und die Regenschirmproteste, sie sind kaum mehr zu finden. "Einige der Verleger und Autoren bekamen Warnungen, dass sie ihre Geschäfte nicht fortführen sollen", sagt Buchhändler Paul Tang. "Einige meiner Partner haben ihr Unternehmen geschlossen und ich denke, sie sind eingeschüchtert durch die Entführungsfälle."
Chinas Einfluss in Hongkong wird größer
Es trifft nicht nur die Buchhändler, der lange Arm Pekings ist in Hongkong immer mehr zu spüren: jüngstes Beispiel: Berufungsverfahren im Prozess um die Studentenführer der Regenschirmproteste. Haftstrafen von 6 bis 8 Monaten. Wegen Anstiftung zur illegalen Versammlung. Sie waren im Herbst 2014 über einen Zaun zum Sitz des Regierungschefs geklettert. Das gilt als Auslöser der Regenschirmproteste, bei denen Studenten und Schüler das Zentrum von Hongkong lahmlegten. Friedlich demonstrierten sie für freie Wahlen und Demokratie. "Die Regenschirmproteste waren ein großer Gesichtsverlust für Peking", meint die Parlamentsabgeordnete Claudia Mo. "Dass vor allem junge Leute aus Hongkong, so un-loyal und so un-chinesisch sein würden, indem sie so eine massive Kampagne machten, so dass die ganze Welt es sehen konnte. Deshalb gehen sie jetzt gegen jeden vor, der nicht gehorcht."
Claudia Mo ist eine unbequeme Politikerin. Sie sitzt im Hongkonger Parlament. Seit dem Fall der verschwundenen Buchhändler sieht sie die Freiheit ihrer Stadt immer weiter beschnitten: "In Peking meinen sie doch wirklich, sie könnten einen Domino-Effekt bewirken: fällt einer um, fallen alle. Das ist die Idee dahinter, aber da täuschen sie sich: die Jungen werden nur noch entschiedener kämpfen."
Sie wollen einfach weitermachen: Buchhändler Lam will einen Buchladen in Taiwan eröffnen, von dort aus Bücher nach China verschicken. Paul Tang will sie weiter in Hongkong verkaufen, wo sie nicht zensiert sind. Die jungen Hongkonger kamen diese Woche überraschend auf Kaution frei und geben sich weiterhin kämpferisch: Für Meinungsfreiheit und Demokratie in Hongkong.
Stand: 31.07.2019 08:35 Uhr
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