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China: Klimasünder oder Vorreiter?

China: Klimasünder oder Vorreiter?  | Bild: WDR

Solar-Paneele soweit das Auge reicht. Hier im nördlichen Landesteil, der Inneren Mongolei, entsteht eines der weltgrößten Solarkraftwerke in einer Wüste. Chinesische Gigantomanie. Für so etwas wird unsere Interviewanfrage akzeptiert, was in diesem Land nicht oft vorkommt. Wir bekommen eine Extra-Tour mit verschiedenen Vertretern der Lokalregierung. Ein Verwalter zeigt uns, was geleistet wurde – und was noch kommen soll. "Bis Ende 2025 werden wir den Bau von acht Gigawatt-Kapazitäten abschließen, dann sind es insgesamt neun", sagt Zhong Yuzhan.

Trotz Ausbau der Erneuerbaren wird weiter in Kohle investiert

Die Fläche soll sich in den nächsten zwei Jahren verfünffachen. Rund 28 Prozent der Stromerzeugung in China speist sich aus Solar, Wind und Wasser. Das Land will bis 2060 klimaneutral sein. Umso erstaunlicher: derzeit wird mehr in Kohle investiert, Kapazitäten ausgebaut. Kohlekraftwerke neu genehmigt. Wir sind, wenige Autostunden von dem Solarpark entfernt, an einer der größten offenen Kohleminen Asiens. Hier wurden dieses Jahr bereits Rekordwerte erzielt. Überall fahren rote Trucks schmutzige Kohle durch die Gegend. Wir entdecken in dieser kohle-intensiven Region eine Mine, die neu gebaut wird, der unter Tage Abbau soll mit Maschinen digitalisiert werden, mit weniger Personal und besserem Arbeitsschutz, so sagt uns dieser Kohlearbeiter, den wir treffen, der aber aus Sicherheitsgründen nicht erkannt werden will. Seit er 15 Jahre alt ist, arbeitet er in Minen. Eigentlich wollte er weg aus dieser Industrie: "Ich bleibe, weil ich keine andere Wahl habe. Bislang habe ich keine besseren Möglichkeiten. Das dürfte für jeden Minenarbeiter gelten."

In dieser Gegend gibt es wenig Alternativen, es gibt Landwirtschaft und eben Kohle. Der jetzige Kohle-Ausbau kurbelt die lokale Wirtschaft an. Geschäfte sind neu entstanden, erzählen uns Anwohner*innen. Auch die Restaurants profitieren: "Mein Geschäft läuft ganz gut. Jetzt, wo es einige Kohleminen gibt, ist der Verkehr größer. Es kommen viele Leute und ziehen dann weiter. Viele, die in der Mine arbeiten, sind nicht aus der Gegend, kommen aus anderen Orten", erzählt die Verkäuferin eines Deli-Shops.

Die Geschichte der Kohle in der Inneren Mongolei

China: Noch fehlen die Speicherkapazität und Übertragungswege für die "saubere" Energie.
China: Noch fehlen die Speicherkapazität und Übertragungswege für die "saubere" Energie. | Bild: WDR

Den Reichtum durch vergangene Hochphasen der Kohleförderung sieht man in der Inneren Mongolei, etwa in Ordos haben die damaligen Stadtoberen vor vielen Jahren dieses extravagante Zentrum hin bauen lassen. Lange war Kangbashi eine Geisterstadt, nun ist ein wenig Leben da. Das 1,4 Milliarden-Menschen Land ist energiehungrig. Der jahrzehntelange Aufstieg der Wirtschaft und die Kohle gehören untrennbar zusammen. Das Land hatte die Kohle-Produktion bereits deutlich verlangsamt. Heute sind es immer noch 63 Prozent der Stromerzeugung mithilfe von Kohle.

Und nun, wie diese Karte eines Energieforschungsinstituts zeigt, sind überall im Land, auch dort wo es bereits viel Kohle gibt, neue Projekte geplant. Ma Jun ist wohl der bekannteste Umweltschützer Chinas. Seit langem kämpft er vor allem gegen die Luftverschmutzung. Die Kohlekraft solle zwar auch helfen, die Erneuerbaren kontinuierlicher ins Stromnetz zu integrieren. Aber er rät bei all den neuen Projekten zur Zurückhaltung, setzt auf Innovationen bei den Erneuerbaren: "Es gibt auch andere Möglichkeiten, um diese besser in unser Stromnetz zu integrieren. Eine davon ist die Energiespeicherung. Zum anderen geht es um all diese verschiedenen regionalen Stromnetze, die besser koordiniert werden können", erklärt Ma Jun.

Es gab in den letzten zwei Jahren Energieengpässe in manchen Landesteilen. Staatsmedien berichteten. Dass dies eine Folge des menschengemachten Klimawandels ist, wird meist ausgeblendet. Wasserkraftwerke litten unter der Dürre. Für China stehen Sicherheit und Unabhängigkeit an erster Stelle und da ist Kohle wohl am unkompliziertesten. "Der Schutz der Energiesicherheit ist immer unsere wichtigste Aufgabe. Wir werden die fossilen Energieträger als Sicherung und Backup stärken. Kohle wird eine wesentliche Rolle spielen", sagt Zhang Jianhua von der Nationalen Energiebehörde. Es gibt strukturelle Herausforderungen.

Chinas Wirtschaft bleibt energiehungrig, dazu gehören Kohle und erneuerbare Energie.
Chinas Wirtschaft bleibt energiehungrig, dazu gehören Kohle und erneuerbare Energie. | Bild: IMAGO

Die regionalen Stromnetze sind nicht ausreichend miteinander verknüpft, viele Landesteile wollen nun Kohle für mehr Sicherheit und es fehlt an Speicherkapazitäten für die Erneuerbaren Energien. Ma Jun hat Sorge vor überflüssigen Kohle-Kapazitäten: "Jetzt müssen wir innovative Wege finden, um dieses Problem zu lösen. Andernfalls werden die CO2-Emissionen steigen, unsere lokalen Emissionen werden zunehmen und das wird sich auf die Luftqualität auswirken, die für die Gesundheit wichtig ist." Für ihn ist die Kohle Fluch und Segen zugleich. Sie schafft Arbeitsplätze, aber auch Risiken. Er berichtet von früheren Erfahrungen an anderen Minen: "Da ich in Minen einige Unfälle erlebte, wollte ich nicht mehr im Bergbau arbeiten. Dann habe ich versucht, mich selbständig zu machen, aber das ging nicht gut aus."

In den letzten zwei Jahren gab es nach jahrelangem Rückgang plötzlich wieder mehr tödliche Minenunfälle. Diese Mine wurde 2021 reaktiviert, im Februar dieses Jahres sind mehr als 50 Arbeiter gestorben. Bei unserem Rundgang mit den vielen Begleitern durch den Mega-Solarpark lernen wir, dass die hier erzeugte Energie bislang nur in der Inneren Mongolei bleibt. Man arbeite an weiteren Übertragungsmöglichkeiten. Ganz offenbar gibt es noch große Herausforderungen, um langfristig noch mehr als Klima-Vorreiter und weniger als Sünder dazustehen. 

Autorin: Marie von Mallinckrodt / ARD Studio Peking

Stand: 19.11.2023 20:10 Uhr

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