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Europa: Energiekrise – wie weiter?

Europa: Norwegen setzt auf Wasserkraft, muss keine Energie sparen.
Europa: Norwegen setzt auf Wasserkraft, muss keine Energie sparen. | Bild: WDR

Polen

Europa in der Energiekrise. Spürbar für uns alle. Im Euroraum kostet Energie – unter anderem Strom, Gas und Öl – im Schnitt 38,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Und die Regierungen stimmen auf einen harten Winter ein.

Beispiel Polen. Europas Kohle-Hochburg. Die Gas-Speicher sind hier zwar nahezu voll, aber die Kohle für das Heizen wird knapp und teuer. Im Strommix macht Erdgas nur 4,6 Prozent aus, 9,3 Prozent Windkraft. Dafür aber noch mehr als 75 Prozent die begehrte Kohle. Also suchen die Menschen günstige Alternativen.

Polen: Holz statt Kohle: Für viele Polen lässt sich so im Winter preiswerter heizen.
Polen: Holz statt Kohle: Für viele Polen lässt sich so im Winter preiswerter heizen. | Bild: WDR

Karol Ochnik bereitet sich auf den kommenden Winter vor. In der Nähe seines polnischen Heimatdorfes Grabina schlägt er Äste und sammelt Reisig. Für den kräftigen Mann eine leichte Übung: "Diese Arbeit macht mir richtig Spaß und es ist vor allem günstig. Denn jetzt ist auch das Holz teurer geworden, aber das Astholz hat noch einen guten Preis." Das Holz ist für die Öfen seiner Familie bestimmt. Holz und Reisigsammeln ist in Polen beliebter geworden seitdem die Energiepreise stiegen. Geklaut wird hier aber nicht, sondern bezahlt beim Förster. Umgerechnet acht Euro. "Ziemlich oft kommen sie jetzt, so zwei bis drei Mal die Woche habe ich mit Kunden wie Karol zu tun", erzählt Förster Waldemar Kempa.

Polen braucht viel Kohle für die Strom- und Wärmerzeugung und ein Viertel der Bevölkerung nutzt sie direkt zum Heizen. Früher wurde aus Russland importiert – damit ist jetzt Schluss! Inzwischen stiegen die Preise auf mehr als das Doppelte. Ein Trick um Geld zu sparen: Direkt beim Bergwerk einkaufen für sich und die Nachbar:innen mit eigenem LKW. Tagelanges Warten in Bogdanka. "Das Warten macht mir nichts aus. Wir verbringen hier nett die Zeit miteinander und spielen Karten. Das ist hier 1500 Zloty, also 320 Euro günstiger pro Tonne als wenn ich beim Händler kaufe. Für mich ist das viel", sagt Kohlekäufer Adam.

Die private Nachfrage steigt, häufig ist Kohle ausverkauft bei den Händler:innen. Diese Warteschlange gibt es seit zwei Wochen. Die Sorgen im kalten Winter gut über die Runden zu kommen, wachsen auch in Polen.  

Frankreich

Frankreich hat kein riesiges Gasproblem. Das Land setzt bei der Energie vor allem auf Atomkraft. 67 Prozent stammen aus Atomkraftwerken, gefolgt von 13 Prozent Wasserkraft und 7,9 Windkraft. Doch jedes zweite Atomkraftwerk in Frankreich steht still.

Hier braucht man viel Energie. Jean-Philippe Dubets Firma im Beaujolais stellt Keramik und Fliesen her. "Die hier sind für ein Restaurant in Paris", erzählt er. Wie alle Unternehmen in Frankreich muss 'Céramiques du Beaujolais' jetzt einen Plan einreichen, wie sie zehn Prozent Energie einsparen werden. Eine Herausforderung, die Brennöfen laufen rund um die Uhr. "Wir werden die Zeit, in der Ton gebrannt wird, verkürzen. Zur Not müssen wir die Fliesen auch dünner machen, aber das wollen wir nicht, da die Qualität dann leiden kann", sagt der Firmeneigentümer. Dabei begrüßt Dubet Einsparungen: Wegen seiner Ökobilanz und steigender Kosten: "Wir erwarten, dass der Strompreis auf ein vierfaches steigt. Und Gas sieben bis acht Mal teurer wird.“

Seine größte Sorge: dass die Energiezufuhr zeitweise gekappt werden könnte. Wenn seine Maschinen nicht laufen, gehen die empfindlichen Produkte kaputt. Er hätte nicht gedacht, dass so etwas im Atomland Frankreich überhaupt diskutiert werden könnte. Doch wegen Wartungen und Korrosionsschäden steht mehr als die Hälfte der Reaktoren still.

Frankreich produziert zu wenig Strom, dabei braucht es im Winter besonders viel – auch, weil gut ein Drittel der Haushalte mit Strom heizt. Deshalb lautet Präsident Macrons Ziel: Zehn Prozent weniger Energieverbrauch! "Wenn wir uns mäßigen und überall Energie einsparen, wird es keine Rationierungen und Stromabschaltungen geben", sagt der Französische Präsident.

Unternehmer Dubet findet gut, dass Frankreich jetzt mehr Strom aus Deutschland importieren will, um über die Runden zu kommen. Aber beim Sparziel ist er skeptisch: "Unser Unternehmen wird zehn Prozent nicht schaffen, fünf bis sieben Prozent sind realistisch.“

Ob das für ihn Konsequenzen haben wird, weiß er noch nicht. Klar ist: Wenn er mehr für Energie zahlen muss, werden die Preise seiner Produkte steigen.

Norwegen

Norwegen. Einer der größten Öl- und Gasexporteure der Welt. Derzeit liefert Norwegen so viel Gas wie noch nie in die EU. Für den eigenen Bedarf setzt es fast komplett auf erneuerbare Energien wie Wasser- und Windkraft.

Norwegens Hauptstadt Oslo strahlt. Auch bei Dunkelheit. Straßen, Häuser, öffentliche Gebäude – auch in diesem Winter sollen sie erleuchtet bleiben. Energie sparen, muss hier niemand. "Es ist vielleicht ein Luxus, das Rathaus hinter mir auch nachts sehen zu können", sagt Freda. "Wir haben viele Energiequellen", erzählt Ludvik.

Die wichtigste Quelle liegt hinter diesen Staumauern: Mit Wasserkraft decken sie in Norwegen fast ihren kompletten Strombedarf. Wie hier in Rana an der Westküste. Tief unter der Erde wird aus Wasserkraft Strom. Allein dieses Kraftwerk kann mehr als Hunderttausend Haushalte versorgen, erklärt die Leiterin: "Das ist einer der vier Generatoren. Hier werden einhundertzwanzig Megawatt produziert."

Strom aus Wasser – in Norwegen wollen sie noch mehr davon. Und die Technik wird immer effektiver. Deshalb tauschen sie in diesem Schacht gerade die Turbine aus. "Das hier ist eine Art Wasserhahn. Hier kommt das Wasser durch, nachdem es 500 Meter in die Tiefe gefallen ist und dreht die Turbine", erzählt Mariane Fineide weiter.

Der Strom aus dem Wasserkraftwerk fließt auch in den größten Industriepark des Landes. In Mo i Rana stehen Stahl und Eisenwerke. Norwegens energiehungrige Schwerindustrie. Extrem hohe Temperaturen wie in diesem Siliziumwerk – auch das geht mit Wasserkraft. "Ob der Strom aus Wasserkraft- oder aus einem Kohlekraftwerk kommt, spielt keine Rolle. Die CO2-Bilanz und die Kosten sind aber niedriger!", sagt Ingenieurin Ine Mariell Haugli.

Mit Hilfe der Wasserkraft will die norwegische Regierung auch ein ehrgeiziges Ziel schaffen: Bis 2030 will das Land klimaneutral werden.  

Belgien

Belgien ist Ölland. Der Rohstoff hat einen Anteil von fast 50 Prozent am Energiemix. Gas macht nicht einmal ein Viertel aus. Belgien setzt auf Wasserstoff als Hoffnungstechnologie.

Ein bisschen Großmarkt, ein bisschen Discounter mit günstigen Lebensmitteln und Haushaltswaren. Colruyt, Belgiens größte Supermarktkette hat 33.000 Mitarbeiter. Colruyt hat auch Tankstellen und verkauft Energie. Am besten nachhaltige Energie. Grünen Wasserstoff. "Wir müssen jetzt unbedingt von fossilen Brennstoffen wegkommen", sagt Stephan Windels, CEO von Eoly Colruyt Group Energy.

Windturbinen und Solarzellen auf den Produktionshallen erzeugen grünen Strom. Und mit dem wird Wasser in Sauerstoff und eben Wasserstoff zerlegt. Das Verfahren heißt Elektrolyse. Jede Minute rollt bei Colruyt ein LKW vom Hof, bald sollen sie mit grünem  Wasserstoff fahren. "Veränderung ist immer schwierig, Veränderung heißt, man verabschiedet sich von dem, was man immer zu tun gewohnt war", sagt Stephan Windels weiter.

Die Gabelstapler fahren schon heute mit grünem Wasserstoff. Mitarbeiter:innen können sich finanziell beteiligen und bekommen ihre Investition vom Unternehmen verzinst. Und bis 2030 will die Supermarktkette auch selbst Gewinn mit dem grünen Wasserstoff machen.    

Trotz innovativer Ideen. Trotz Entlastungen für die Bürger:innen. Der Winter wird kommen. Und mit ihm Sorgen.

Autoren: Christian Blenker/Olaf Bock/Friedericke Hoffmann/Michael Grytz

Stand: 11.09.2022 19:41 Uhr

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