So., 02.04.23 | 18:30 Uhr
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Frankreich: Proteste und kein Ende
Frankreich kommt nicht zur Ruhe. "Wir sind absolut entschlossen, dass damit Schluss ist, dass diese Reform gestoppt wird", sagt Krankenpfleger Yoann Rouvière. Ihr Feindbild: Präsident Macron und seine Rentenreform "Er will einfach nicht hören, dass Millionen demonstrieren gegen das, was da passiert. Ihm ist es einfach egal", erzählt Camille Raballand.
Protest auch weiterhin groß
Auch diese Woche sind wieder Hunderttausende auf der Straße. Das Krankenhaus von Nantes. Yoann Rouvière ist Krankenpfleger. Auch er wird nun zwei Jahre länger arbeiten müssen: "Jetzt liegt das Renteneintrittsalter bei 62, mit der Reform bei 64. Das Problem ist, dass unsere Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren immer schlechter geworden sind. Es wird immer härter." Momentan ist der 39-Jährige für die Arbeit in der Gewerkschaft freigestellt. Heute ist wieder Demo angesagt. Auch am 10. Protesttag sind Yoann und seine Kollegen motiviert. Seit Monaten protestieren sie gegen die Rentenreform: "Können wir los, Kameraden?"
Yoann findet die Rentenreform einfach ungerecht. Nicht nur dass ihr Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben wird. Volle Bezüge gibt es erst, nachdem sie 43 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. "Das haut rein, dass man 43 Jahre einzahlen muss. Das ist viel zu viel, gerade wenn man später angefangen hat, weil man zum Beispiel studiert hat. Wenn man früher als nach 43 Jahren aufhört, bekommt man deutlich weniger Rente", erklärt er.
Die Stimmung bei der Demo in Nantes: eher wie bei einem Volksfest. Mindestens 18.000 Menschen sind gekommen. In ganz Frankreich sind es diese Woche mehr als 700.000, darunter viele junge Menschen. So wie die 30-jährige Camille Raballand, die im Theater arbeitet. Die Rentenreform findet sie ungerecht, ihr geht es aber um viel mehr: "Wir haben einen Hals auf Präsident Macron. Er hört uns nicht zu. Es gibt keinen Austausch zwischen dem Volk und dem Präsidenten."
Camille hat besonders aufgeregt, dass die Regierung die Reform ohne Abstimmung im Parlament durchgedrückt hat: "Keiner will das wirklich. Wir haben die ganze Zeit demonstriert. Als klar wurde, dass die Reform im Parlament keine Mehrheit bekommen könnte, hat die Regierung sie einfach durchgeboxt. Das geht doch nicht, wenn draußen Millionen demonstrieren."
Verhärtete Fronten
Während 70 Prozent der Franzosen die Demos für gut heißen, ist Präsident Macron über Monate weitgehend abgetaucht. Im ersten Interview seit langem: dünnhäutig, aber entschlossen sein zentrales politisches Projekt um jeden Preis durchzusetzen: "Glauben Sie, dass mir diese Reform Spaß macht? Nein. Hätte ich nicht wie viele andere vor mir die Sache unter den Teppich kehren können? Ja. Es macht mir keinen Spaß, aber ich habe es aus Verantwortung getan."
Solche Äußerungen des Präsidenten kommen auf der Straße gar nicht gut an. Auch wenn der Großteil der Demonstrationen friedlich verläuft, kommt es zu Ausschreitungen. Krankenpfleger Yoann aus Nantes wundert das nicht. "Es gibt große soziale Spannungen in diesem Land. Und wenn man dann dem Volk nicht zuhört, steigen diese Spannungen. So einfach ist das", sagt er. Über die Reform, die hier alle ablehnen, urteilt nun der Verfassungsrat. Präsident Macron versucht stattdessen mit anderen Themen die Oberhand zu gewinnen, hat diese Woche einen Plan gegen Wasserknappheit vorgestellt: "Es gibt in der Bevölkerung Widerstand gegen das Reformvorhaben. Aber das heißt ja nicht, dass alles andere stillsteht. Das ist normal, wir arbeiten weiter. Es gibt ja immer noch Probleme wie Inflation, Arbeitslosigkeit oder Trockenheit."
Aber die Fronten sind verhärtet. Theatermitarbeiterin Camille lässt sich von solchen Manövern wenig beeindrucken. Sie will nicht aufgeben, bis die Reform vom Tisch ist: "Wir haben eine Nachricht an Macron: Hör uns zu! Hör auf, so arrogant zu sein." Beim nächsten Streik am Donnerstag wird sie natürlich auch wieder dabei sein.
Autorin: Friederike Hofmann / ARD Paris
Stand: 02.04.2023 20:34 Uhr
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