So., 06.10.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Syrien: Marschieren die türkischen Truppen ein?
Jedes Mal, wenn Sahwan Mohammed auf sein Dach steigt, beschleicht ihn ein mulmiges Gefühl. Die Grenze zur Türkei ist keine 100 Meter entfernt. Von dort werden sie beobachtet, gelegentlich fallen Schüsse. Einschüchtern aber lassen will sich der 19j-ährige Kurde dadurch nicht.
2011 erhoben sie sich gegen Präsident Assad, vertrieben seine Truppen aus der Stadt. 2012 schlugen sie die Islamisten der Nusra-Front zurück. Hunderte kurdische Kämpfer starben. Sie sind stolz hier auf die erreichte Unabhängigkeit.
Nun aber ist die Unabhängigkeit wieder in Gefahr. Der türkische Präsident Erdogan hat vergangene Nacht Truppen und Waffen an die Grenze verlegt. Er betrachtet die YPG als Terrororganisation, die es auszulöschen gelte. Auf einer Parteiveranstaltung gestern ließ er keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit.
Dabei sind die Kurden ihm weit entgegengekommen. Entlang der Grenze wurde eine so genannte Sicherheitszone eingerichtet, 100 Kilometer lang, bis zu 15 Kilometer breit. Darauf haben sich die Türkei, die USA und die Kurden Anfang September verständigt. Die YPG zog sich daraus zurück. Nun patrouillieren dort türkische mit US-Streitkräften.
Ras el Ain liegt mitten in dieser Zone. Für viele Anwohner kein Grund zur Beruhigung. Mohamed Muslim montiert Metallteile für seine Nachbarn. Der Kurde hat erlebt, wie Assads Truppen abziehen, Islamisten zurückgeschlagen werden. Nun fürchtet der 35-Jährige den Einmarsch türkischer Truppen.
Für reichlich Unruhe in Raas el Ain sorgt auch, dass Erdogan in der Sicherheitszone eine Million syrischer Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln will. Von Bevölkerungsaustausch ist die Rede zu Lasten der Kurden.
Nein, sie wollen sich nicht kleinkriegen lassen in Raas el Ain. Nicht nach all dem, was sie schon durchgemacht haben. Auch wenn sie gegen Erdogans Armee kaum eine Chance haben dürften.
Autor: Daniel Hechler, ARD Kairo
Stand: 07.10.2019 08:59 Uhr
Kommentare