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Das Erste
Grönland: Zukunft durch fruchtbaren Gletscherschlamm?
Grönland! Hier im Süden des Landes versteht man, warum die Wikinger die Insel einst als grün bezeichneten. Hügel, Wiesen, Seen und Flüsse – und erst dann, weiter nördlich, das schier endlose Eis. Für Minik Rosing ist diese Landschaft Heimat. In Grönland ist er geboren. Hier bei Kangerlussuaq gingen schon seine Urgroßeltern auf Jagd. Oft reist der preisgekrönte Geologe aus Dänemark gen Norden.
Einer neuen Geschichte auf der Spur
Grönland, sagt er, ist wie ein offenes Buch, das man nur lesen muss: "Alle diese Steine hier in der Landschaft erzählen eine Geschichte. Klar, man muss ihre Sprache verstehen können, aber dann haben sie keine Geheimnisse mehr. Im Gegenteil: Sie sind voller Geschichten und können es fast nicht erwarten, diese loszuwerden." Mittels eines grönländischen Steins datierte Rosing den Beginn des Lebens auf der Erde um 300 Millionen Jahre zurück – und gewann dafür Anerkennung weltweit. Jetzt sammelt der 60-Jährige Schlamm statt Steine. Er ist einer neuen Geschichte auf der Spur – manche meinen, einer Verheißung für sein Land.
Gletscherschlamm ist reich an Nährstoffen
An dieser Stelle ist das Inlandseis geschmolzen, riesige Stein- und Geröllhaufen bleiben zurück. Doch was aussieht wie eine graue Gesteinswüste, ist tatsächlich ein nahezu unendlicher Speicher an mineralischen Nährstoffen: "Dieser Gletscherschlamm hier ist vom Eis zermalmtes Gestein", erklärt der Wissenschaftler. "Und gerade er ist interessant, weil er sich an all die Orte der Welt transportieren lässt, wo Nährstoffe fehlen. Gerade in den Tropen und Subtropen, dort, wo die meisten Menschen leben, fehlt es den Böden massiv an Nährstoffen." Und eben diesen feinporigen Schlamm nimmt das Schmelzwasser mit sich. Ein Rinnsal wird zu einem Bach, ein Fluss zu einem Strom – am Ende zu einer ganzen Landschaft. Eine Milliarde Tonnen pro Jahr, so meint Rosing, gelangen auf diesem Weg vor die Küsten Grönlands. Genug Nährstoffe, ist er optimistisch, um die ganze Welt zu ernähren.
Im Süden des Landes wachsen Erdbeeren
Auf seiner Wanderung zurück trifft Minik Rosing einen alten Bekannten. Morten Nielsen baut in Gewächshäusern Kräuter und Salat an. Der Klimawandel macht sich auf Grönland bemerkbar. Weiter im Süden des Landes wachsen inzwischen Erdbeeren und Kartoffeln – zu einer großflächigen Landwirtschaft wird es aber auch in Zukunft nicht reichen. "Der Klimawandel ist Tatsache und man muss ihn realistisch sehen – er führt gute und schlechte Aspekte mit sich. Hier in Grönland wie überall auf der Welt sind wir Teil der Natur. Wenn diese sich verändert, müssen wir das Beste daraus machen."
Pragmatischer Blick in die Zukunft
Und daran arbeitet er. Rosing sieht die Zukunft seines Landes ebenso optimistisch wie pragmatisch. Wer unabhängig werden will, muss auch ökonomisch auf eigenen Beinen stehen. "Wovon wir als Gesellschaft leben sollen?", fragt er. "Nun, Grönland hat eine unberührte, nahezu unendliche Natur, hat enorme Mengen an Fisch im Meer – alles Dinge, deren Wert stetig steigt, im Gegensatz zum Öl, das wir einfach lassen sollten, wo es ist. Nein, der graue Schlammstrom hier hinter mir, das ist das Rauschen von Geld, das unsere Kassen eines Tages füllen wird." Statt von Rohstoffen und sprudelnden Quellen weit draußen im Meer zu träumen, braucht man nur zu nutzen, was längst schon im Übermaß vorhanden ist.
Autor: Marc Christoph Wagner
Stand: 20.07.2019 16:50 Uhr
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