Mo., 20.06.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Das Referendum
Das ist der Stoff aus dem die Liebesschnulzen im Fernsehen sind, Cornwall, kleine Häfen, pink explodierende Straßenhecken und Sonnenuntergänge so schön, dass man bleiben und an den ewigen Frieden glauben möchte – bis zum nächsten Morgen. Bis wir auf die rot gewandete Armada der Brexiteers treffen. Hier unten am südwestlichen Zipfel des Vereinigten Königreichs glauben sie fest an eine gloriose Zukunft ohne Brüssel und ohne all die Zuwanderer. Und doch – so kurz vor dem Ziel liegen die Nerven blank.
Cornwall und der Brexit
"Es regt mich auf, zu sehen, wie dieses Land den Bach runter geht. Es ist eine verdammte Schande. Wir arbeiten hart und wir sollten unser Land für uns behalten." Es hat sich Fremdenfeindliches und Aggression in den Wahlkampf geschlichen, einer der anders denkt, wird niedergebrüllt. Ein EU-Befürworter will seine Sicht erklären – keine Chance, Fairplay, diese urenglische Disziplin – ist ihnen in der Hitze des Gefechts abhanden gekommen.
Stimmen der Fischer haben Gewicht
Es sind vor allem die Fischer, die die Stimmung hier in Newlyn so antieuropäisch einfärben. Noch immer ist die Flotte beachtlich, aber geschrumpft in den letzten zehn Jahren. Brüssel geben sie die Schuld an den ungerecht verteilten Fangquoten, dabei hat London die Quoten meistbietend verkauft. Hier, wo das Meer das Land umschlingt, haben die Stimmen der Fischer immer noch Gewicht. "Raus. Seit dem wir drin sind – nichts als Probleme. Wir haben im eigenen Land nur ein Minimum an Fangquoten, andere Länder fischen hier ab. Es kann doch nicht sein, dass eine Inselnation dem Diktat von Nicht-Seefahrern folgen soll.“ meint Kenny Downing, ein Fischer aus Newlyn.
Mehr als 80 Prozent der Fische, die hier früh morgens verkauft werden, gehen direkt rüber auf den Kontinent. Aber alle sind überzeugt, dass Franzosen und Spanier ihre Fische schon weiter kaufen und essen werden, auch wenn der Handel außerhalb des Binnenmarkts ihren Fisch teurer macht. Und dass die Kühlanlage und auch der neue Steg mit EU Geld gebaut wurden, sei's drum.
Mit Geld kauft man hier keine Liebe
Glenis und Dick verstehen die Welt nicht mehr und dass sich so viel Brüssel-Hass bei ihnen in Cornwall breit gemacht hat. Sie haben eine kleine Pension, leben von den Besuchern vom Kontinent. Glauben an den europäischen Gedanken. "Ich denke, dass wir eine Menge von der EU hier profitieren, aber viele glauben, wir hätten keinen Penny bekommen. Man sieht es eben nicht. Ich sehe es." sinniert Glenis Cliffe.
Und damit wir es auch sehen, will uns Dick durch die Stadt führen, denn das EU Geld sei überall: im schnelleren Internet, in der Universität und hier am besten vom Hügel zu bewundern – in der neuen Berufsschule. Über 5.000.000 Euro, aber mit Geld kaufst Du dir hier keine Liebe. "Es gibt eine ganze Menge Gründe dafür, viele fühlen sich abgehängt. Und es gefällt einigen opportunistischen Politikern, die EU als Schuldige vorzuschieben. Aber es sind unsere Probleme und sie werden noch da sein – wenn diese Wahl daneben geht."
Sturheit und jede Menge Stolz
Es ist diese Idylle, die das Bild von Cornwall prägt. Aber nirgendwo in Großbritannien sind die Löhne so tief wie hier. Cornwall ist die ärmste Region im ganzen Land. Seit die Zinnminen in den 80ern dicht machten, ging es bergab mit dem Wohlstand. Und die EU springt ein. Fast zwei Milliarden Euro seit 2000 allein aus Brüssels Strukturfonds. Und doch ist es nicht leicht, hier für die EU zu trommeln.
Man sagt den Menschen so fern von London eine gewisse Sturheit nach – und jede Menge Stolz. Kann man ja auch sein auf solch ein Rindviech. Einmal im Jahr zeigen die Bauern, was sie und ihre Bullen so drauf haben. Auf der königlichen Cornwall Show. Wohl alle, die hier ihre Preise abholen, hängen am Tropf Brüssels: zusammen rund 50 Millionen Euro bekommen Cornwalls Farmer im Jahr. Dankbar ist kaum einer. "Es ist wohl besser, den Teufel zu wählen, den man kennt, als den Teufel, der fremd ist. Zuviel Ungewissheit, wenn wir gehen." "Nein", sagt er ",wir sind doch nur eine Insel und all die Zuwanderer, die uns die Termine bei den Ärzten wegschnappen."
Unabsehbare Folgen für die Jungen
Voller Wehmut besingen sie ihr schönes Cornwall. Ihren Garten Eden, den sie mit so vielen Touristen teilen – und auch mit Elena und Maria aus Spanien. Die beiden Surflehrerinnen erwarten mit Sorge den kommenden Donnerstag. Sie leben hier, sie lieben hier – aber was wenn das Land nach einem Austritt die Grenzen dicht macht, für die Zuwanderer aus der EU. "Ich weiß nicht, ob wir bleiben können. Ich bin mit einem Engländer verlobt, was wenn wir nicht so schnell heiraten, werden wir in verschiedenen Ländern leben müssen?" "Abwarten und Daumen drücken und aufs Beste hoffen."
Es sind die Jungen, die die Folgen schultern müssen – und es sind vor allem die Alten, die an die Wahlurnen drängen – gerade hier in Cornwall, dem Paradies für Pensionäre und Surfer.
Autorin: Hanni Hüsch/ARD Studio London
Stand: 12.07.2019 02:47 Uhr
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