So., 05.07.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Fußballstar schlägt Johnson
Es ist so etwas wie ein kleines Sommer-Märchen, und es spielt hier, in Wythenshawe einem der alten Arbeiterviertel Englands.
Armut in Manchester
Marcus Rashford, einer der beliebtesten Nationalspieler der Insel ist von hier. Ein erfolgreicher Stürmer, ein Star, der gegen Boris Johnson antrat und auch da gewonnen hat. Er wisse, was es heißt, hungrig zu sein, erklärte er und siegte mit einer Kampagne gegen Johnson, als der jetzt Essensgutscheine für arme Familien streichen wollte.
"Es ist doch verrückt, dass die Kinder hier heute immer noch hungern, in 2020, das darf noch nicht mehr sein", sagt Marcus Rashford, Nationalspieler England.
Aber so ist es. Immer noch. Rashfords damaliger Trainer, David und Ronnie, sein Assistent wissen, dass 80% der Kinder die sie hier trainieren, auf Foodbanks angewiesen sind.
"Du siehst, dass wenn sie ankommen und zittern, und es ist nicht das Wetter, dann frag ich sie: Hast du was gegessen heute Morgen. Und wenn nicht, kriegen sie einen Hotdog hier in der Küche", sagt Ronnie, Assistent von Marcus Rashford.
"Das ist so schrecklich, hier Kinder zu trainieren, die einfach wirklich nichts zu essen haben zu Hause", sagt David, ehemaliger Trainer von Marcus Rashford.
"Und was Marcus gemacht hat, er hat ihnen dieses Essen wieder zurückgegeben. Und das ist etwas worauf wir hier mehr als stolz sind", so Ronnie.
Gute Laune und echte Zuneigung
103 Profispieler sind in den letzten dreißig Jahren aus ihrer Talentschmiede hervorgegangen. Davids Rezept neben Hotdogs zum Frühstück: gute Laune und echte Zuneigung für jedes einzelne Kind, egal wie begabt es ist. Die großen Talente machen den Rest dann fast von selbst. Lisas Sohn Dane ist hier entdeckt worden, von den Talentscouts von Manchester United und spielt jetzt seit einigen Wochen dort in der Akademie.
"Ich hab immer hinten bei uns im Hof gekickt, und mein Onkel hat gesagt mach weiter, und dann haben sie mich zu ManU geschickt", erzählt Dane, Nachwuchstalent von Manchester United.
Dass ihn viele hier nun den kleinen Rashford nennen, macht ihr und ihrem Sohn Druck, sagt uns Lisa. Aber stolz ist sie natürlich auch. Und dem echten Rashford dankbar, denn ohne die Essensgutscheine wäre sie so aufgeschmissen wie dessen Mutter damals. "Er hat der Regierung die Augen geöffnet, die meisten Familien brauchen die einfach hier", erzählt Lisa, Danes Mutter.
Seit der Corona-Krise noch dramatischer
Aber selbst mit den Gutscheinen gibt es für Dane oft nur Pancakes und Videos zum Lunch. Nach Abzug ihrer Rechnungen bleiben ihr von der Sozialhilfe umgerechnet nur circa 120 Euro im Monat. "Es ist hart, besonders wenn Du wie ich alleinerziehend bist. Aber auch generell für Familien. Ich denke deshalb nur bis genau zur nächsten Woche, wie weit ich mit meinem Geld komme, und oft komm ich nicht sehr weit", erzählt Lisa.
Und ob ihr Sohn jemals als Profi Geld verdient, weiß sie natürlich auch nicht. Seit der Corona-Krise ist die Situation hier noch dramatischer geworden. Ein Großteil der Arbeitsplätze in Wythenshawe hing vom Flughafen Manchester ab.
Sarah hatte hier eine Stelle im Reisebüro. Sie und David, der Sicherheitsbeamter war, sind seit April beide arbeitslos. Dass sie nun hier wieder erste Flieger sehen, wird ihnen nichts mehr nützen. In diesem Jahr rechnet der Flughafen mit maximal 10% Auslastung. Womit sie seit April alle drei für absehbare Zeit auf die lokale Foodbank angewiesen sind.
"Am Anfang hab ich mich ein bisschen geschämt, aber was willst Du machen, wir haben keinen Wahl, wenn wir nicht verhungern wollen", erzählt David, Sicherheitsbeamter.
Situation könnte sich verschlimmern
Oft stehen sie wie so viele andere schon um halb acht morgens Schlange, obwohl die Foodbank erst um Zehn öffnet. Und Sarah und David sind nicht die einzigen Neuen. 75% der Erwachsenen des Viertels kommen jetzt täglich bei Kirsty vorbei, die hier unbezahlt zehn Stunden am Tag ehrenamtlich arbeitet.
"Das sind Leute aus allen Schichten jetzt, und erwachsene Männer, die weinend vor mir stehen. Das bricht mir das Herz manchmal. Männer, die einfach nicht wissen, wie sie ihre Familien ernähren", so Kirsty, ehrenamtliche Mitarbeiterin Foodbank.
Noch bis zum Herbst unterstützt die Regierung Kurzarbeit in den Betrieben, die noch nicht ganz geschlossen haben. Ab dann aber läuft auch das aus und dann dürfte sich die Situation hier noch einmal drastisch verschlimmern. Und damit auch die der Kinder. Sarah isst schon jetzt oft nichts mehr, weil es für sie und ihren Sohn Thomas oft nicht reicht. Ihre Versuche, das vor ihm zu verbergen aber, hat er längst durchschaut.
"Ich mag das nicht, dass sie nichts isst, nur weil ich mehr essen soll. Wenn sie Hunger hat, muss sie doch essen", so Thomas, Sarahs Sohn. Die Essensgutscheine, die Marcus Rashford für sie alle hier gerettet hat, werden auch Sarah erstmal über den Sommer helfen.
"Aber wieso musste uns ein Fussballer helfen, und wieso sieht die Regierung das nicht von alleine, wie verzweifelt wir hier sind. Aber es ist toll, was Marcus getan hat. Und klar bin ich dankbar", sagt Sarah, Angestellte in einem Reisebüro.
Hoffnung für Underdogs
Die vier Jungs aus dem Viertel, die das 1:0 Banner ans Ortsschild gehängt hatten, das in allen Abendnews zu sehen war, bringen es jetzt ins Manchester Fußballmuseum. Dass Boris Johnsons Politik sich dadurch grundsätzlich ändert aber glauben sie nicht. "Das war ein grosser Sieg für uns, aber mal sehen was es auf Dauer wirklich bringt", erzählt Joe, Junge aus Wythenshawe.
"Wir sind einfach zu höflich, wir machen keine Aufstände hier, deshalb bin ich skeptisch, wir streiken nicht mehr. Ich weiß es nicht", sagt Jamie, Junge aus Wythenshawe.
"Und diese Armut, obwohl wir das viertreichste Land der Welt sind, angeblich. Wie geht das zusammen, das macht doch alles keinen Sinn", erzählt Andy, Junge aus Wythenshawe.
Und dennoch: Rashford hat ganz England gezeigt, was möglich ist, wenn jemand selbstlos die Initiative ergreift, die andern fest im Blick. 1:0 für die Underdogs.
Autorin: Annette Dittert/ARD Studio London
Stand: 05.07.2020 20:41 Uhr
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