Mo., 19.11.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Honduras: Warum die Menschen fliehen
Der Flüchtlingstreck durch Mexiko ist kurz davor, die US-Grenze zu erreichen. Viele kommen aus Honduras. Xenia Böttcher (ARD-Studio Mexiko) zeigt, warum sie dort wegwollen. Die Armut wäre zu ertragen, sagt eine Frau, deren Sohn sich in den großen Treck eingereiht hat, wären da nicht auch noch die Banden, die das ganze Viertel tyrannisieren. Und die Politiker? Fehlanzeige. Denn die sind damit beschäftigt, sich selbst zu bereichern. Eine Reportage aus einem Armenviertel.
Wenn es dunkel wird in Honduras – sprechen die Maschinengewehre. "Es gibt all das: Drogen, Sex, Alkohol, Geld, Essen", meint Marco. Ein Land beherrscht von Armut – und Gewalt durch rivalisierende Banden. "Hier sind drei Fronten. Drei", sagt Darwin. Ein Teufelskreis, der die Menschen aus dem Land treibt. Raquel Lopez erreicht ihren Sohn nicht. Wie so oft. Arlin hat seine Familie verlassen, weil er in die USA will. Vor Wochen ist er mit der Karawane aus San Pedro Sula losgezogen. "Ich kann ihn nicht erreichen, wenn ich es will", klagt Raquel Lopez. "Nur wenn er eine Möglichkeit findet. Ich frage mich, ist ihm was passiert? Ich habe Angst um ihn."
Jeden Tag 10 Morde
64% der Honduraner leben in Armut. Raquel gehört zu ihnen. 90 Dollar im Monat. Das reicht gerade für Bohnen, Reis und Bananen – jeden Tag. Und immerhin vier Wände aus Stein. Doch die will man ihr wegnehmen. "Der Bürgermeister sagt, dass hier kein Abschaum, kein Armer bleiben soll. So sehen sie uns als Abschaum." 16 Jahre hat sie in einer Kleiderfabrik gearbeitet bis das Nasenbluten chronisch wurde. "Mit 44 Jahren bekomme ich keine Arbeit mehr."
Eine Tochter ist noch im Land, die andere …ruft gerade an – aus den USA. "Oh wie schön, meine Nichte! Hallo Mami! Wie geht’s?" "Ich habe Besuch hier." Ist das Leben in den USA besser? "Oh ja, viel besser. Gut, ohne Donald Trump wäre es noch besser." Ist sie legal dort? "Nein, sie hat keine Papiere." Jeder hier habe mehrere Verwandte illegal in den USA. Mit welchem Recht will ich wissen? Jeden Tag werden 10 Menschen im Land ermordet und daran seien die USA Mitschuld. "Die Gewalt kommt durch die USA, Honduras ist der Kanal für Drogen. Ein Junge der nicht auswandert, muss in eine Bande eintreten und stirbt."
Die Menschen sind immer umgeben von Gewalt
Darwin Castro ist nicht mit Arlin und der Karawane weggegangen. Will seine Ausbildung als Buchhalter abschließen. Wir treffen ihn an einem sicheren Ort umgeben von Gewalt. "Die Welt um mich herum ist wie ein Dschungel. Wo du immer mit der Angst unterwegs bist, dass dich ein Tier angreift. Mit dem Unterschied, dass es hier eine Kugel ist, die dich trifft."
Wir betreten das gefährlichste Viertel von Honduras. Jede Straße hier ist von rivalisierenden Banden umkämpft. Der Nachhauseweg macht Darwin und Tatiana selbst am Tag Angst. Eigentlich wollte uns die 17-Jährige hier ein Interview geben. Deinen Vater haben sie ermordet? "Jetzt nicht. Hier sind zu viele Leute" sagt Tatiana Escobar." Nie vor, aber immer um uns herum, werden wir beobachtet. Ohne Begleitung könnten wir nicht drehen. Späher berichten Bandenchefs über jeden unserer Schritte. Sie bewachen die Kreuzungen. Dieser Späher nutzt ein Kind als Schutzschild. Und es gibt die, die keinesfalls vor die Kamera wollen…Marco spricht verdeckt zu uns. "Wenn ein Gegner hier rein kommt wird sofort mit Kugeln geantwortet. Ohne Warnung. Auch wenn es eine Frau ist, wir schießen. Ich denke nicht: 'die Arme' – direkt Feuer."Wir kehren gleich zu Marco zurück.
Kein Vertrauen in die Polizei
Um zu Darwins Haus zu gelangen müssen wir jetzt unweigerlich eine Frontlinie kreuzen. "Das ist wie das heilige X. Nachts schießen sie hier von einer Seite zur anderen", sagt Darwin. Ein Leben wie im Kriegsgebiet. Darwin hat gleich Abendschule. Seine Hoffnung in Honduras Arbeit zu finden, sieht der 17jährige trotz seiner Mühen bei fast Null. "Dieses Viertel gilt als böse und darum gibt es hier für viele auch nur böse Menschen. Ehrlich gesagt will ich auch auswandern. Aber nicht in die USA. Ich möchte gerne nach Spanien." Nach der Schule, wenn es Nacht wird, wollen wir Darwin wieder treffen. Überall markiertes Revier. Den Banden ist das Leid ihrer Nachbarn völlig egal. Die Regierung sei schuld sagt uns Marco. Seit 20 Jahren Bandenmitglied. "Es ist das Gesetz des Dschungels. Damit ich Leben kann muss ein anderer sterben. Ohne die Bande müsste ich betteln gehen. Wenn man mir sagt töte den und ich sage nein – vorbei." Drogen und Schutzgeld sind das Kerngeschäft – und die Polizei? "Obwohl ich es Dir gar nicht sagen müsste, von unseren Schutzgeldern geht ein ordentlicher Batzen an die Polizei. Deswegen vertraut die Bevölkerung der Polizei auch nicht."
Um sechs Uhr wird es dunkel in San Pedro Sula. Die Straßen werden leerer an der Front, im Viertel von Darwin. Die Kinder dürfen jetzt nicht mehr auf der Straße spielen. Jeden Abend banges Warten auf den ältesten Sohn. "Ich habe Angst, dass sich eine Kugel verirrt", sagt Linda Martinez, "oder dass er mit einem anderen verwechselt wird." Der Sohn kommt nach Hause. Pünktlich, alles gut – heute. Und jetzt? Es ist ein eingesperrtes Leben. Halb neun und das Spiel der Geschwister wird durch erste Maschinengewehrschüsse durchbrochen. Alltag – jede Nacht in Honduras.
Stand: 30.08.2019 01:29 Uhr
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