Mo., 08.01.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Indien: Das perfekte Baby
Ist sie nicht super!? Stolz zeigt die siebenjährige Hiya ihre Pokalsammlung. Spitze im Sport, Spitze in der Schule.
Wie kommt man an Musterkinder?
"Das ist mein Lieblingspokal. Den habe ich bekommen, weil ich in sechs Minuten hundert Matheaufgaben gelöst habe. Da war ich in der ersten Klasse."
Brav, versichern ihre Eltern, ist sie auch noch. Was ist ihr Geheimnis?
"Wir haben bei ihr eine alternative Schwangerschaftsmethode verwandt. Deshalb hat sie hat schon zwanzig Preise gewonnen. Und in der Schule kriegt sie lauter Einsen", erklärt ihre Mutter.
In der Wohnung gibt es einen hinduistischen Anbetungsschrein. Zurück zur Tradition, nicht nur beim Gebet, sondern auch bei der Geburtsvorbereitung: Wie wirksam die ist, sollen Hiya, ihr Bruder und deren vielen Urkunden beweisen. Und wie kommt man an solche Musterkinder?
Ashram für Schwangere
Ganz im Westen Indiens, im Bundesstaat Gujarath, führt diese Nebenstraße zu einer kleinen Siedlung. Hier lassen sich werdende Eltern beraten und behandeln. Bei ihr: Doktor Narvani leitet einen Ashram – also ein spirituelles Zentrum – für Schwangere. Geboten wird ein Mix aus Götterverehrung, Yoga, Astrologie und Ayurveda, der alt-indischen Gesundheitslehre. Sex ist während der Schwangerschaft verboten, Fleisch auch. Die, selbstverständlich heiligen, Kühe nebenan sollen die spirituelle Aura verstärken.
"Heute gibt es in Indien viele Menschen mit Erbkrankheiten und angeborenen Behinderungen. Die genetischen Defekte werden weiter vererbt. Durch die Rückkehr zu den uralten Schwangerschaftspraktiken kann dieser Trend gestoppt werden", erklärt die Ärztin Karishma Narvani.
Der Tagesablauf ist genau geregelt, die Wohnhütte spartanisch. Diese Frau ist im sechsten Monat schwanger. Sie und ihr Mann hoffen, dass sie für ihre Mühen belohnt werden, so wie angeblich vierhundertfünfzig Paare vor ihnen.
"Ich kann die Wirkung der Methode bereits spüren. Ich habe das starke Gefühl, dass mein Kind sich positiv entwickelt", erzählt eine Ehefrau.
"Gesund soll unser Kind sein und möglichst intelligent. Damit es später helfen kann, aus Indien eines der führenden Länder der Welt zu machen", ergänzt ihr Ehemann.
Deutschland als Vorbild
Kinderkriegen als patriotische Aufgabe. Wer zu Doktor Narvani kommt, zunächst hier in ihre Stadtpraxis, ist in der Regel davon überzeugt, dass Indien vom rechten Weg abgekommen ist, durch muslimische, christliche und materialistische Einflüsse. Das findet auch dieses Paar. "Die Jugend von heut kann man doch vergessen. Da waren unsere Vorfahren doch aus ganz anderem Holz geschnitzt, die hatten mehr Talent, und das wünschen wir uns auch für unser Kind", sagt die Ehefrau.
Seit drei Monaten lässt sich das Paar anleiten, wie es sein Erbgut durch ayurvedische Praktiken optimieren kann. Für die nächste Woche hat die Ärztin die Zeugung angeordnet.
"Denn dann, so hat sie uns gesagt, ist die Planetenkonstellation ideal. Vorher haben wir bereits unseren Körper gereinigt, unser Blut und unseren Geist", fügt der Ehemann hinzu.
Wunschkinder nach uraltem Rezept: Im Internet wirbt Doktor Narvani mit Bildern hellhäutiger Babys, das entspricht nicht nur dem verbreiteten Schönheitsideal, sondern auch der unter Hindu-Nationalisten verbreiteten Vorstellung von Reinrassigkeit. Als Beleg dafür, dass ihre Methoden funktionieren, führt sie Deutschland an.
"Die Deutschen haben sich der Weisheiten bedient, die wir selbst vergessen haben. Sie haben ein System entwickelt, wie man starke Kinder erzeugt. Aber ursprünglich kommt das Wissen von hier", so Karishma Narvani.
Vorgeburtskult will eine Herrenrasse
Doktor Narvani steht der radikalen Hindu-Organisation RSS nahe, deren Mitglieder hier eine ihrer regelmäßigen Paraden abhalten. Bilder, die erinnern an die Aufmärsche faschistischer europäischer Massenorganisationen. Kein Wunder. Die Gründer der RSS waren bekennende Fans von Adolf Hitler. Den RSS vermuten Kritiker auch hinter dem neuen Vorgeburts-Kult.
"Wissenschaftlich gesehen ist es doch Schwachsinn, perfekte Babys produzieren zu wollen. Es erinnert mich an das, was die Nazis in Deutschland versucht haben. Hitler hat ja dauernd von Rassenhygiene gesprochen. Wie er wollen auch die radikalen Hindus eine Herrenrasse züchten", sagt der Historiker D. N. Jha.
Rückbesinnung auf Hindu-Traditionen
Womöglich mit seiner Unterstützung: der indische Premierminister Modi ist selbst aus der RSS-Bewegung hervorgegangen, fordert bei jeder Gelegenheit eine Rückbesinnung auf Hindu-Traditionen. Er kommt aus Gujarath, genau wie Doktor Narvani. "Wir wollen in alle indischen Bundesstaaten expandieren. Derzeit betreiben wir in Gujarat sieben Geburts-Zentren. Wir wollen für den bestmöglichen Nachwuchs sorgen, nicht nur in Indien, sondern wenn möglich auch in anderen Ländern", so Karishma Narvani.
Noch können in Doktor Narvanis Geburtszentrum nur acht Paare gleichzeitig betreut werden: sie sollen Botschafter der angeblich revolutionären Methode werden. Vor allem deren Kinder. Vorausgesetzt, die geraten später so perfekt wie versprochen.
Autor: Markus Spieker/ARD Studio Neu Delhi
Stand: 31.07.2019 21:16 Uhr
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