"Unsere Aufgabe ist es nicht, Stereotypen zu bedienen"
ARD-Korrespondent Stefan Schaaf im Interview
Stefan Schaaf, seit fünf Jahren als Fernseh-Korrespondent für die ARD in Madrid tätig, betreut neben Spanien und Portugal auch den Maghreb (Marokko, Algerien, Tunesien). Davor war er an den Standorten Mexiko und Südafrika im Einsatz. Im Interview mit DasErste.de spricht er über seine Arbeit als Korrespondent im Ausland und die Bedeutung Europas.
DasErste.de: Wie hat sich die Arbeit als Korrespondent über die Jahre verändert?
Stefan Schaaf: Da haben wir natürlich eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht innerhalb der letzten 15 bis 20 Jahre. Angefangen mit den Möglichkeiten der digitalen Übertragung von Ton- und Filmaufnahmen – es ist noch nicht so lange her, da wurde noch analog auf Beta-Kassetten (oder anderen Formaten) gedreht. Sendebänder mussten zur Überspielung zu einem der nationalen Fernsehsender gebracht werden, in Mega-Metropolen wie Mexiko-Stadt war das ein schweißtreibender Kampf mit dem kilometerlangen Stau. Da blieb schon mal ein Tagesschau-Beitrag auf der (Auto)Strecke …
Wie läuft das heute ab?
Heute werden Beiträge digital per Mausklick aus dem Studio überspielt – ein Quantensprung! Es geht alles viel schneller, wobei diese Schnelligkeit Fluch und Segen zugleich ist: Wir müssen heute bei einem Ereignis innerhalb kürzester Zeit live zuschaltbar sein. Da ist es oft schwierig, sich schnell ein klares Bild von der Situation machen zu können. Zunächst müssen wir uns auf die Agenturen verlassen, und dann natürlich auch unsere eigenen Quellen nutzen. Bei sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter bleibt höchste Vorsicht geboten. Aber auch "seriöse" Quellen können irren. Bei den Hochrechnungen zum letzten Wahldurchgang in Spanien lagen viele spanische Institute mit ihren ersten Prognosen ziemlich daneben. Diese Prognosen mussten wir in unseren ersten Live-Schalten übernehmen und dann im Laufe des Abends korrigieren. Wir lernen also ständig dazu.
Wie kommen Sie an Themen?
Das kommt darauf an – Aktualität schreibt sich von selbst. Bei Attentaten etwa, wie unlängst in Barcelona, laufen die Eilmeldungen über den Ticker, schnell meldet sich dann die Zentrale aus Hamburg und der ganze Apparat fängt zu rotieren an. Bei Themen fürs das Europamagazin oder den Weltspiegel können wir mit längerem Atem arbeiten, hier sind wir freier in der Umsetzung. Generell bieten wir einmal die Woche die Themen aus unserem Berichtsgebiet an, und die Redaktionen geben Bescheid, ob sie Interesse haben.
Ihr Team in Madrid setzt sich aus jeweils zwei Fernseh- und Hörfunkkorrespondenten, drei Producern, einem Kameramann, Cutter, Tonmann, der Senderegie sowie dem Sekretariat zusammen. Wie verläuft hier die Zusammenarbeit bei der Herstellung von Beiträgen?
Wir haben die aktuellen Themen gemeinsam im Blick. Die Producer beziehungsweise Stringer schlagen Themen vor, recherchieren diese. Sie kümmern sich um geeignete Protagonisten, holen Drehgenehmigungen ein und überlegen, wie man die Themen visuell darstellen kann. Bei Aktualität müssen wir oft Material von Agenturen und spanischen Sendern übernehmen. Natürlich versuchen wir zusätzlich, eigenes Material zu drehen und Interviews zu führen. Bei Magazinbeiträgen haben wir den Anspruch, die Geschichte stets selbst zu drehen. Das wir das noch können, ist ein großes Privileg, und unterscheidet uns von vielen anderen.
Welche Position nimmt man als Korrespondent ein?
Ich möchte als Korrespondent keine Stereotypen bedienen und ein Spanien-Bild zeichnen, das viele Deutsche aus dem Urlaub kennen. Wir möchten die Sichtweisen des Landes, aus dem wir berichten, vermitteln – zum Beispiel während der Wirtschaftskrise, als zwischen dem Norden Europas (Brüssel/Berlin) und dem Süden (Lissabon, Madrid, Athen) gegenseitig Schuldzuweisungen ausgetauscht wurden. Ich denke, das ist eine wichtige Aufgabe, den nüchternen Zahlen einer Krise ein Gesicht zu geben.
Zum Beispiel?
Die Krise hat als Thema die Berichterstattung über Spanien in deutschen Medien stark dominiert. Wir haben versucht, Schicksale darzustellen, wie etwa Familien sich gegenseitig helfen. Wir haben Beispiele gefunden, in denen Enkelkinder und Söhne wieder beim Großvater eingezogen sind, weil sie arbeitslos waren – immerhin hatte der Großvater eine sichere Rente. Es ist bewundernswert, wie die Spanier diese Krisenzeit überstanden und nicht resigniert haben. Viele sind ins Ausland gegangen, um nach Arbeit zu suchen, aber nun kehren auch wieder viele in ihre Heimat zurück. Auch darüber berichten wir.
Welches Thema, worüber Sie berichtet haben, hat sie in diesem Jahr bislang am meisten bewegt?
Im Januar interviewte ich für einen Weltspiegel-Beitrag die Familie des Berlin-Attentäters Anis Amri und Angehörige anderer verschwundener Jugendlicher, um Gründe für deren Radikalisierung zu finden. Die Gespräche mit den Familien, deren Kinder sich dem Dschihad angeschlossen haben, haben mich sehr berührt. Man spürt diese Verzweiflung und den tiefen Schmerz. Als Reporter weiß man gleichzeitig auch, welchen Schmerz die Angehörigen der Opfer empfinden müssen – in solchen Momenten bleibt nur eine große Hilflosigkeit.
Den Terroranschlag in Barcelona habe ich als Journalist nicht miterlebt, weil ich zu diesem Zeitpunkt im Urlaub war. Aber natürlich hat es einen auch aus der Entfernung mitgenommen und aufgewühlt – nach den Attentatsserien in Paris hatten wir schon seit einiger Zeit auch mit einem Anschlag in Spanien gerechnet.
Muslime haben in Spanien einen Anteil an der Gesamtbevölkerung von weniger als vier Prozent. Das ist nicht viel im Vergleich zu anderen großen Einwanderungsländern, aber offenbar genug, um Spannungen zu provozieren. Nach den jüngsten Anschlägen in Barcelona sind Moscheen angegriffen und mit Parolen beschmiert worden. Wie erleben Sie die Stimmung in Spanien aktuell?
Ich weiß nicht, ob die Islamfeindlichkeit wirklich zugenommen hat. Sicherlich hat es einzelne Vorfälle gegeben, aber generell erlebe ich Spanien weiterhin als sehr tolerantes Land. Spannungen und Übergriffe gegen Ausländer wie in anderen Ländern, Ghettos wie die Banlieus in Frankreich gibt es in Spanien kaum oder gar nicht. Spanien hat in den 90er Jahren enorm viele Einwanderer aus Lateinamerika integriert, und dann auch aus dem Nachbarland Marokko. Es ist noch viel zu früh, um zu beurteilen, ob die Attentate in Katalonien die Stimmung tatsächlich verändert haben.
Auch rechtsgerichtete Parteien mit populären Parolen sind in Spanien relativ unbedeutend? Woran liegt das?
In Spanien ist die Franco-Zeit noch sehr frisch in Erinnerung und in dieses Zeitalter will keiner mehr zurück. Franco ist 1975 gestorben, Spanien hat also eine viel jüngere Demokratie als andere europäische Länder. Als Deutsche wissen wir, wie schwierig es ist, mit der Vergangenheit umzugehen. Und der Bürgerkrieg hat dann noch einmal eine andere Qualität. Er ging quer durch die Gesellschaft, durch Dörfer, durch Familien. Viele Spanier blockieren bei diesem Thema, der Bürgerkrieg bleibt oft noch ein Tabu. Dennoch leiden bis heute viele unter den Folgen. Man ist in der Hinsicht also sehr sensibel. Die Bereitschaft, sich extremen Strömungen anzuschließen ist auch aus diesem Grund gering. Und schließlich konnten die Anhänger des rechten Randes durch die Partido Popular (PP) absorbiert werden.
Was bedeutet Europa für Sie?
Ich bin nach dem zweiten Weltkrieg aufgewachsen und sozialisiert worden, für mich bleibt Europa ein Projekt, für das es sich lohnt, zu kämpfen. Dass wir nun auf dem mitteleuropäischen Kontinent schon seit Jahrzehnten weitgehend friedlich und ohne Kriege zusammenleben, ist keine Selbstverständlichkeit. Ich habe lange außerhalb von Europa gelebt und gearbeitet, war als Korrespondent in Mexiko und Südafrika. Als ich 2012 in Madrid ankam, war es für mich erschreckend zu sehen, wie mit der Eurokrise auch die Nationalismen wieder aufgebrochen sind, wie Spanier oder Griechen mit den Fingern auf die Deutschen gezeigt haben und die Deutschen ihrerseits auf die "faulen Südländer" – wie Stereotypen, die ich eigentlich für beerdigt geglaubt hatte, wieder auferstanden sind. Gegen solche Klischees hilft auch eine gute Auslandsberichtserstattung – hoffe ich.
Zur Person:
Interview: Kathrin Lucia Meyer
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