So., 04.06.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Israel: Leben und Lieben im ewigen Konflikt
Die Glücksjauchzer sind traditionell, das Fest aber äußerst unkonventionell: Palästinenser und Israelis feiern gemeinsam die Verlobung eines gemischten muslimisch-jüdischen Paares in den Bergen oberhalb Jerusalem. Die Brauteltern: Ebenfalls ein gemischtes Paar. Hannah ist Jüdin, Amer Palästinenser.
Tareq Kayal hat die beiden schon 1997 gedreht. Und herausgefunden, dass sie mittlerweile in Jerusalem wohnen. Schon zuvor am Telefon haben sie Tareq erzählt, dass sie trotz der schlimmen Ereignisse persönlich auf insgesamt gute Jahre zurückblicken. Sie haben zwei Jungs und ein Mädchen großgezogen. Die schüchterne Hannah von damals hat sich zu einer heiteren, humorvollen Frau entwickelt. Amer wirkt heute zufrieden, in sich ruhend und immer noch in Hannah verliebt: "Ja, ohne sie wäre ich nichts. Sie steht bei mir an erster Stelle. Sie ist mir noch wichtiger als meine Kinder."
Vor 25 Jahren und heute
Damals ging Amer täglich mit seinen Brüdern nach Jerusalem illegal an den israelischen Checkpoints vorbei. Wie tausende Palästinenser arbeiten sie schwarz auf israelischen Baustellen. Die Baubranche boomt, denn überall in den besetzten Gebieten breiten sich jüdische Siedlungen aus. Dank der Arbeit von Palästinensern, wie Amer, die selbst keine Baugenehmigung bekommen. Der israelische Auftraggeber lässt das Team filmen, will aber nicht erkannt werden.
Bis zum heutigen Tag ist Schwarzarbeit Amers einzige Möglichkeit, seine Familie zu ernähren. Alle Anträge auf legalen Aufenthaltsstatus als Palästinenser in Jerusalem wurden abgelehnt. Wieder dürfen wir Amer bei der Arbeit filmen, wenn der Auftraggeber anonym bleibt. Die ganze Wohnung hat Amer ausgebaut. Beide pflegen einen freundschaftlichen Umgangston. Nebenbei erzählt uns der Israeli, dass er ein glühender Anhänger des neuen rechtsextremen Sicherheitsministers Ben Gvir ist, also einem erklärten Gegner aller Palästinenser. Als billige Arbeiter nimmt er sie aber offensichtlich gerne.
Amers Nachhauseweg führt an der „Hand-in-Hand-Schule“ vorbei. Für ihn und Hannah ist dieser Ort gegenüber ihrer Wohnung ein Hoffnungsschimmer. Hannah Barkat: "Auch unsere Kinder waren dort. Es ist eine der wenigen Schulen, wo israelische und palästinensische Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Sie lernen Hebräisch und Arabisch. Und die israelische Geschichte gleichberechtigt mit der palästinensischen."
hre Tochter hat auf dieser Schule ihren künftigen Ehemann kennengelernt, der auch aus einer gemischten Ehe stammt. Viele solcher gemischten Ehen kennen sie aber nicht. Die meisten Beziehungen zwischen Palästinensern und Israelis scheitern noch vor der Trauung. Amer Barkat: "Über die Jahre ist die Situation zwischen Arabern und Juden immer schlechter geworden. Es liegt viel mehr Spannung in der Luft. Früher habe ich mich in der Altstadt von Jerusalem noch mit jüdischen Freunden getroffen. Heute trauen sich die meisten dort nicht mehr hin."
In Amers Heimatdorf Nabi Samwil
Sein Bruder Asis wohnt weiterhin in dem Ort, wo der Weltspiegel die Familie vor 25 Jahren gefilmt hat. Der LKW ist ihr Dorfladen. Die beiden Autowracks gegenüber beherbergen eine Familie mit kleinen Kindern, denn Baugenehmigungen gibt es weiterhin keine. Alles, was von außen nach Gebäude aussieht, erhält von den israelischen Behörden einen Abrissbescheid, also improvisieren sie.
In der Nähe des Dorfes haben sich Amer und Hannah einen Rückzugsort geschaffen. Der Garten oberhalb Jerusalem ist ihr ganzer Stolz. Sie wollen bald auf diesem Grundstück in einem Gartenhaus leben, die teure Mietwohnung in Jerusalem aufgeben. Hierher haben sie jetzt zur Verlobungsfeier ihrer Tochter mit dem Schulkameraden geladen. Auch mitten durch diese Familie verläuft der Konflikt: Die Mutter ist Jüdin, der Vater Palästinenser. Aber anders als bei Hannahs, hat der jüdische Teil dieser Familie kein Problem mit dem muslimischen Schwiegersohn.
Fast überflüssig zu sagen: Auch dieser Ort ihrer friedlichen Koexistenz ist vom Abriss bedroht. Den entsprechenden Bescheid haben Amer und Hannah schon erhalten. Amer Barakat: "Wenn sie alles hier demolieren, dann stelle ich halt ein Zelt auf und baue wieder."
So vererbt sich die ewige Nahost-Konfliktgeschichte über Generationen, aber auch die Liebe behauptet sich wacker.
Autorin: Susanne Glass, ARD München
Stand: 24.07.2023 11:40 Uhr
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