So., 16.05.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Israel: Der Konflikt mit den Palästinensern eskaliert
In den vergangenen Tagen ist der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern so stark eskaliert wie schon lange nicht mehr. Und trotz internationaler Vermittlungsbemühungen gehen Raketenbeschuss und Bombardierung weiter.
Streit um Zwangsräumungen in Jerusalem
Heute Morgen wirkt Scheich Dscharrah fast friedlich. Jüdische und palästinensische Nachbarn vereint beim Saubermachen ihres Stadtviertels nach den nächtlichen Ausschreitungen. Jeder kehrt vor der eigenen Haustür, auch Jakub Abu Arafeh. Auf dem Plakat daneben steht: 'Wir werden hier nicht weggehen.' "Wir werden Scheich Dscharrah nicht diesen jüdischen Siedler überlassen", bekräftigt Jakub Abu Arafeh. "Diesen Dieben, die aus Manhattan oder New York kommen. Die behaupten, dass unsere Häuser ihnen gehören. Auch dieses Haus hier, in dem ich 1962 geboren bin."
Am 02. August 2009 gingen diese Bilder um die Welt: Palästinensische Häuser werden nach einem entsprechenden Gerichtsurteil zwangsgeräumt. In ihre Wohnungen ziehen jüdische Siedler. Seitdem gilt das Viertel Scheich Dscharrah in Ostjerusalem als Mikrokosmos, in dem sich der große Nahostkonflikt widerspiegelt und wie in einem Brennglas entzündet – zuletzt vor einer Woche. Jakub ist einer der palästinensischen Bewohner, die jetzt von Zwangsräumung bedroht sind. Seine Eltern mussten im israelisch-arabischen Krieg 1948 ihr Zuhause in Westjerusalem verlassen, in den Ostteil der Stadt fliehen. Der wurde damals von Jordanien regiert, bis Israel Ostjerusalem 1967 eroberte. Mit diesem Dokument bestätigt die jordanische Regierung, dass dieses Haus der Familie Abu Arafeh 1956 überlassen wurde. Jetzt hat eine amerikanische Siedlerorganisation Anspruch auf das Haus angemeldet. Jakub und seiner Schwester Haifah kämpfen vor Gericht gegen die Enteignung. "Seit der jüngsten Eskalation, habe ich den Eindruck, dass die ganze Welt von unserer Sache weiß und uns unterstützt", sagt Haifah Abu Arafeh.
Wem gehört das Land?
Szenen vom Montag. Wir haben gedreht, weil das Gerichtsurteil zur Zwangsräumung erwartet wurde. Ausgerechnet am Jerusalem-Tag, an dem die jüdischen Israelis die Wiedervereinigung der Stadt feiern. In Scheich Dscharrah kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen. Die israelische Regierung setzt das Urteil auf unbestimmte Zeit aus. Kurz danach feuert die Hamas die ersten Raketen Richtung Israel. Scheich Dscharrah ist einer von vielen Gründen für die jüngste Eskalation. "Hey, sind gerade Araber auf der Straße?", fragt er bei unserem Ortsbesuch heute Morgen. "Nein, aber warum willst Du das wissen?" "Ok, macht mal die Eure Kamera aus!" Das tun wir nicht. Sowieso ist die Straße voller Überwachungskameras, die jetzt von allen Seiten dokumentieren, wie er die palästinensische Flagge auf der Hausmauer seiner Nachbarn überschmiert. "Alle Menschen, die hier wohnen, tun das aus ideologischen Gründen. Sie glauben, dass das Land Israel komplett uns gehört. Auch Scheich Dscharrah ist ein Viertel, das einmal jüdisch war. Das ist unser Land. Da gibt es keinen Zweifel daran."
Es dauert nicht lange, dann erscheint die Polizei, nimmt ihn wegen Sachbeschädigung mit. Wir wechseln die Straßenseite, zu einer der palästinensischen Familien. Treffen gleichzeitig mit einem anderen Besucher ein. Er ist jüdischer Israeli. Gekommen, um den palästinensischen Bewohnern von Scheich Dscharrah seine Solidarität zu zeigen. Er will, dass sie wissen, dass längst nicht alle Israelis mit den Siedlern sympathisieren. "Mir tun diese Menschen leid", sagt Dubi Barak. "Es tut mir leid, dass die Siedler sie nicht in Ruhe lassen. Sondern dass sie herkommen, ihre Häuser beschlagnahmen, ihr Leben kaputtmachen." Draußen ist Jakub Abu Arafeh beim Großreinemachen mittlerweile bei seinem Auto angekommen. Dass sich nebenan wieder einmal die jüdischen Nachbarn mit den palästinensischen streiten, ist ihm nicht mal einen Blick wert. Alltag in Scheich Dscharrah in Ostjerusalem. Der Nahost-Konflikt auf kleinstem Raum komprimiert.
Raketen für die Hamas aus dem Iran
Fast 2.900 Raketen feuerte die radikal islamistische Hamas seit Montag von Gaza Richtung Israel. Sie kommen in massiven Salven. Dieser massenhafte Beschuss soll das israelische Raketenabwehrsystem überfordern. In der Tat sind viele Raketen aus dem Gazastreifen auf israelischem Gebiet eingeschlagen, auch heute wieder. Der Gazastreifen ist bettelarm, Geld für Tausende dieser Raketen gibt es hier nicht. Die Hamas lässt sich ihre Waffen von Verbündeten finanzieren. Der wichtigste Geldgeber: Die Islamische Republik Iran. "Das meiste was in Gaza existiert, zum Beispiel alles was mit der Raketenproduktion und Raketentechnologie zu tun hat, oder Anlagen, haben wir von den iranischen Revolutionsgarden", sagt Hassan Nasrallah von der pro-iranischen Hisbollah.
Teheran vor wenigen Tagen, eine Anti-Israel Demonstration. Vor kurzem kündigte der Iran an, seine monatlichen Zahlungen an die Hamas im Gazastreifen auf 30 Millionen Dollar zu erhöhen. Mehr Geld bei gleichzeitig simpler Waffentechnik, ein Grund für die vielen Raketen im Gazastreifen. "Und da müssen dann letztendlich nur noch einzelne Materialen und einzelne Komponenten importiert werden, was deutlich leichter ist als der Schmuggel der kompletten Raketen", erklärt Fabian Hinz, Analyst für Sicherheitspolitik. Die Hamas hat angekündigt, sie habe noch zahlreiche Raketen in ihren Lagern.
Autorinnen: Susanne Glass ARD Studio Tel Aviv und Natalie Amiri
Stand: 16.05.2021 21:35 Uhr
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