So., 07.04.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Israel: Der Wahlkampf und der Gaza-Konflikt
Die Störche sind gerade auf ihrem Rückweg, machen Zwischenstation in Israel, bevor sie weiterfliegen über Gaza Richtung Europa. Meirav Barkai, ihr Mann und die beiden kleinen Söhne, lieben diese Jahreszeit, die Natur, wenn es im Süden Israels noch nicht zu heiß, und alles grün ist, sie draußen picknicken können auf den Feldern nahe ihres Kibbuz Be‘eri, direkt an der Grenze zu Gaza. Aber im vergangenen Jahr war diese ganze Region verbrannt, weil radikale Palästinenser aus Gaza Feuerdrachen über den Grenzzaun fliegen lassen. Seit mehr als einem Jahr demonstrieren sie regelmäßig. An manchen der Flugobjekte hängen auch Sprengsätze. Und dann sind da noch die Raketen der Hamas.
Umkämpfte Grenze
Das israelische Militär reagiert mit Gegenschlägen, schießt scharf auf alle, die dem Zaun zu nahen kommen. Von den Soldaten fühlen sie sich im Kibbuz beschützt, von den Politikern aber alleine gelassen, mit Ausnahme von Haim Yelin: Der Knesseth-Abgeordnete war lange Jahre der Vorsitzende des Regierungsbezirks in der West-Negev. Yelin beobachtet die Freitagsdemonstrationen am Zaun regelmäßig. Er ist einer der rund 1000 Bewohner von Be’eri, der idyllischen Oase, die sie sich hier erschaffen haben. Aber alle wissen, dass seine Arbeitspartei, die israelischen Sozialdemokraten, einst legendär unter dem Friedensnobelpreisträger Rabin, bei den Wahlen keine große Rolle spielt. Nach den Umfragen liegt sie bei maximal zehn Prozent.
Wahlgeschenk für Siedler
Im Endspurt des Wahlkampfs machte Netanjahu nochmals Zugeständnisse an die rechten Hardliner und kündigte an, im Falle eines Sieges Teile des von Israel besetzten Westjordanland zu annektieren. Jetzt zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinen zwei stärksten Konkurrenten ab: Der ehemalige Armeechef Benny Gantz und der liberale Politiker Jair Lapid haben sich zur "blau-weißen Liste" zusammengeschlossen. Sie haben die Kibbuzim an der Gaza-Grenze besucht und ein härteres Durchgreifen als Netanjahu versprochen, der trotz der ständigen Provokationen der Hamas bisher einen weiteren Krieg vermieden hat.
Die allgegenwärtige Bedrohung, das ständige Geräusch der Überwachungsdrohnen und kleinere Explosionen in der Nähe des Grenzzauns gehören in den Kibbuzim mittlerweile zum Alltag.
Meirav hat eine Nachbarin aus Deutschland. Florentin Lempp-Dagan, lebt mit ihrem israelischen Mann und den drei Kindern seit vielen Jahren hier. Sie glaubt, dass die israelische Regierung bisher kein wirkliches Interesse an einer Friedenslösung mit den Palästinensern hatte: "Weil es einfacher ist Menschen zu regieren, die sich in einer Ausnahmesituation befinden, die gestresst sind, die Angst haben, die sich jemanden wünschen, der kommt und Ordnung macht."
Wie die meisten Israelis glauben sie auch in Be‘eri nicht daran, dass sich durch die Wahlen grundlegend etwas ändert. Nach den Umfragen dürfte es bei einer rechten Regierungskoalition bleiben, bei der die Siedlerpartei und die Ultrareligiösen wieder einmal das Zünglein an der Waage bilden. Und selbst diejenigen, die wie Florentin keine Netanjahu-Fans sind, befürchten, dass sie sich in einer neuen Regierung noch schlechter vertreten sehen.
Routine in Israel
Den in Israel in jeder Wohnung vorgeschriebenen Bunker haben sie bei sich zu Hause zum Kinderzimmer gemacht. Den Alarm nehmen sie routiniert, wie Florentine Lempp-Dagan beschreibt: "Du hast zehn Sekunden Zeit, in den Schutzraum zu gehen. Dann wartest du, bis du den 'Bumm' hörst. Dann wartest du noch ein bisschen, ob nicht noch irgendetwas kommt. Dann gehst du wieder raus und lebst dein Leben weiter."
Meirav und ihre Familie, beim Picknick draußen auf den Feldern, wollen sich in ihren glücklichen Momenten den Optimismus nicht nehmen lassen, dass sich dieses Leben doch noch friedlicher weiterleben lässt, und zwar auf beiden Seiten des Grenzzauns: "Es muss jemand auch dafür sorgen, dass es für die Palästinenser wieder Hoffnung gibt. Heute, in diesen wertvollen Minuten, wo wir hier draußen spielen und essen können, haben wir alle Probleme kurzzeitig vergessen und unseren Traum gelebt. Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch solche Momente braucht. Wenn alle etwas zu verlieren haben, was ihnen wertvoll ist, werden sie auch alles unternehmen, um in Frieden zu leben."
Bis es soweit ist, fahren sie die Ernte auf ihren Feldern in diesem Jahr schon früher ein, eigentlich viel zu früh, aber sie fürchten die verheerende Wirkung der Feuerdrachen aus Gaza. Denn schon bald wird das Klima hier wieder heiß und trocken sein.
Autorin: Susanne Glass, ARD Tel Aviv
Stand: 07.04.2019 23:15 Uhr
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