Mo., 08.01.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Italien: Menschenhandel in Turin
Sie sind Opfer des Menschenhandels, ein sehr lukratives Geschäft für die nigerianische Mafia.
Turin – eine Hochburg des Menschenhandels
Die italienische Stadt Turin ist das Tor nach Europa für Menschenhändler. Von hier zwingen die Zuhälter ihre Sexsklavinnen in die Bordelle und auf die Straßen. Die Frauen werden mit falschen Versprechen nach Europa gelockt. Allein 2016 wurden über 9000 von ihnen nach Italien verschleppt. Princess Okokon hat sich eine Lebensaufgabe gegeben: Sie will diese Frauen retten. Immer wieder sucht sie den Kontakt, um ihre Hilfe anzubieten. "Beim ersten Treffen fällt es den Mädchen nicht leicht, über ihre Probleme zu sprechen. Normalerweise gebe ich ihnen meine Telefonnummer und die Büroadresse für den Fall, dass sie mit mir sprechen möchten. Denn meistens sind sie in einer Gruppe und haben Angst, dass sie jemand verrät."
Der erste Kontaktversuch dieses Abends: Princess muss aufpassen, dass die Zuhälter sie nicht erwischen. Es klappt.
"Ich arbeite Tag für Tag seit zwei Jahren. Wenn die Kinder groß sind, kann ich endlich verschwinden", erzählt eine Prostituierte. "Ok, aber immer Kondome benutzen", fordert Princess Okokon sie auf. "Ja, mach' ich. Danke", erwidert die Prostituierte. "Alles klar, bye bye", verabschiedet sich Princess.
Geheime Unterkünfte für Zwangsprosituierte
Princess betreibt mit ihrem Mann Alberto eine kleine Hilfsorganisation für Zwangsprosituierte. So wie diese verzweifelte Nigerianerin, die von ihrer Zuhälterin erzählt. "Was ist passiert? Wohin hat sie dich gebracht", fragt Princess Okokon. "Sie sagte, ich solle einem Freund folgen. Sie gab mir Kondome und Taschentücher. Ich war so geschockt, weil ich nicht gewusst hatte, was mich für eine Arbeit erwartet. Und dann hatte ich keine Wahl mehr", erzählt das Mädchen.
Ob sie genug Mut hat, ihrer Zuhälterin zu entfliehen, ist unklar. Denen, die sich trauen, bietet die Organisation geheime Unterkünfte. Niemand darf wissen, wo sie sich aufhalten. Auch Princess muss immer darauf achten, nicht verfolgt zu werden, wenn sie ihre Schützlinge besucht.
"Das Beste an meiner Arbeit ist, wenn sich eine Frau dazu entschließt, nicht mehr als Prostituierte auf die Straße zurück zu gehen. Und wenn ich erkennen kann, dass sie für sich jetzt ein besseres Leben will."
Bedrohung durch Zuhälter immer präsent
In den geheimen Unterkünften sind die jungen Frauen sicher – aber auch isoliert. Die Gefahr, draußen wieder in die Fänge der Zuhälter zu geraten, ist groß. Den Freundinnen Eze und Naomi fehlt die Freiheit sehr. Doch verglichen mit dem, was sie auf ihrer Flucht erlebt haben, ist diese Einschränkung gut zu ertragen.
"Ich kam nach Libyen, wo ich drei Monate blieb. Dort wurde ich eingesperrt und vergewaltigt. Die Leute haben mich jedes Mal mit einem Stab geschlagen. Manchmal steckten sie mir ihre Waffen in den Anus. Nachts haben sie uns geweckt, so um 11, 12, 1 Uhr, und steckten uns ihre Waffen in den Anus. Gott sei Dank bin ich dort weg und nach Italien gekommen. Hier war es zuerst auch nicht besser, aber ich habe versucht über den Schmerz hinweg zu kommen. Ich fand es am Schlimmsten, dass ich mit meinem Körper Geld verdienen musste", erzählt Naomi.
Princess wollte in Italien Köchin werden
Princess weiß, wie sich das anfühlt. Sie wurde selbst auf den Strich gezwungen. Dass sie heute ein glückliches Leben führen kann, verdankt sie ihrem Mann Alberto. Mit 23 verließ sie ihre Heimat Nigeria, um ein besseres Leben zu finden. Sie hoffte auf eine Arbeit als Köchin in Italien. Stattdessen wurde sie an eine unbekannte Frau verkauft.
"Als sie mich das erste Mal auf die Straße gestellt haben, fing ich an zu weinen. Ich habe mich zurückgezogen und Gott gefragt: Warum hast du mich hierher geschickt? Ich habe meine Augen geschlossen, dachte ich träume. Aber als ich sie wieder aufmachte, habe ich gemerkt, dass es kein Traum war. Es war Wirklichkeit. Später, zurück im Haus, sagte die Frau ich müsse das verdiente Geld abgeben, was ich zunächst verweigerte. Daraufhin schlug sie mit dem Schuhabsatz auf meinen Kopf ein. Als ich aus dem Krankenhaus zurückkam, wusste ich, dass es ernst ist. Sechs oder acht Monate später lernte ich glücklicherweise Alberto kennen. Er hörte mir zu und fand einen Weg mich zu befreien", berichtet Princess Okokon.
Aufklären in Flüchtlignscamps
Dass Turin eine Hochburg des Menschenhandels ist, ist kein Zufall. In den 80er Jahren wurde in der Stadt ein nigerianisches Konsulat eingerichtet. Die Mafia erkannte darin schnell eine Möglichkeit, Visa für ihre Zwangsprostituierte zu beschaffen. Es war der Anfang eines brutalen Geschäfts.
Manchmal nehmen Princess und Alberto junge Frauen, die noch nicht in die Fänge der Zuhälter geraten sind, auf eine besondere Tour mit. Sie zeigen ihnen die Straßenstriche von Turin.
"Solange die jungen Frauen noch in den Flüchtlingscamps sind, versuchen wir sie zu informieren und ihnen zu zeigen, wie eine Nigerianerin ohne Papiere in Europa lebt, unter der Kontrolle eines Netzwerks von Zuhältern und Menschenhändlern und als Zwangsprostituierte", sagt Alberto.
"Ich habe Euch gesagt, dass wir eines Tages nach Turin fahren und uns ansehen, wo die Mädchen arbeiten. Und heute ist es so weit", so Princess Okokon.
Ihre beiden Mitfahrerinnen können es kaum glauben, dass hier Frauen wie sie als Ware angeboten werden. Schicksale, die Princess möglichst vielen Mädchen ersparen will. Und auch wenn der Menschenhandel weiter zunimmt – aufgeben will Princess nie.
Autoren: Chiara Sambuchi/Michael Strempel
Stand: 31.07.2019 21:16 Uhr
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