Mo., 18.07.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Italien: Parmesan von indischen Bauern
Es ist ein ganz gewöhnlicher Sonntag in Pessina Cremonese, gut 50 Kilometer südlich des Gardasees: Indische Sikh treffen sich wie immer sonntags zum Beten hier, auch Sukhraj Singh Brar und seine Familie. Er kommt wie alle hier aus dem Punjab, lebt und arbeitet seit 1990 in der Po-Ebene als Melker. Obwohl er mittlerweile einen italienischen Pass hat, ist der Tempel für ihn, ebenso wie für seine Frau ein Stück Heimat, erzählt er uns: seine Muttersprache, sein Essen, seine Tradition. Im Tempel darf er keine Interviews geben. Das erlaubt die Hausordnung nicht.
Eine große indische Gemeinde
Im Norden Italiens steht der größte Sihk Tempel Europas. Er wurde vor fünf Jahren mit Unterstützung der Italiener gebaut, weil die Gemeinde hier stetig wächst. Der Präsident des Tempels Ranjit Singh: "Es gibt vier Pfeiler, weil sie an unseren Tempel in Punjab erinnern. Und die vier Türen sind Zeichen dafür, dass alle willkommen sind; alle können herkommen; er ist offen, sowohl als Haus als auch als Tempel."
Sukhraj muss in den Stall, die Kühe rufen. Er wohnt seit 12 Jahren auf dem Hof Malvasia, auf dem er auch arbeitet, mietfrei. Sechs Stunden arbeitet er täglich, die erste Schicht beginnt nachts um halb drei, die zweite 12 Stunden später, sechs Tage die Woche.
Beim Melken erzählt uns Sukhraj Singh Brar: "Der Job ist natürlich hart, weil wir auch mitten in der Nacht arbeiten müssen. Aber im Laufe der Zeit haben wir uns daran gewöhnt. Nach all den Jahren stresst mich das nicht mehr. Es ist anstrengend, mitten in der Nacht um zwei Uhr aufzustehen. Aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt."
Reguläre Arbeit ohne Lohndumping
Sein Gehalt ist fest geregelt – Lohndumping gibt es hier nicht. In den 80ern und 90er Jahren haben sich die Inder in der Po-Ebene niedergelassen: sie machen die Arbeit, für die sich viele Italiener zu schade sind. Sukhraj Singh Brar Melker ist stolz: "Der Job ist unglaublich wichtig für die Wirtschaft. Milch ist gesund, wichtig für unseren Körper. Die Milch ist uns heilig. Und wir machen daraus Butter und Käse, beides wird immer gebraucht."
Wir besuchen eine Käserei, in der sie ebenso auf Inder angewiesen sind, wie auf den Bauernhöfen. Der Grana Padano wird hier hergestellt. In Deutschland läuft auch er häufig unter dem Namen Parmesan. Die Bürgermeisterin von Pessina Cremonese zieht oft ihre Runden durch die Unternehmen. Zu vielen Indern hat sie nach all den Jahren schon ein freundschaftliches Verhältnis, denn sie weiß ganz genau: Ohne die Sikh keine Milch, keine Butter und keinen Käse. Und Virginia Susta ist es wichtig, dass das Miteinander von Italienern und Indern funktioniert: "Ich empfinde sie als stets flexible und ruhige Menschen, die sich an die Regeln unserer Gesellschaft halten und dabei aber weiter ihre Traditionen pflegen."
Käse macht reich
Der Käse wird in die ganze Welt exportiert, mit ein Grund, wissen alle, warum die Region so reich ist. Die Gemeinde Pessina Cremonese zählt 645 Seelen, und Virginia Susta will nicht, dass sie noch weiter schrumpft. Ein Grund mehr, warum sie die Sikh willkommen heißt: "Seit einigen Jahren haben wir einen Geburtenrückgang in italienischen Familien, was in indischen Sikh-Familien anders ist: da sind zwei bis drei Kinder der Durchschnitt. Und das hat uns wiederrum ermöglicht, unsere Grundschulen und Kindergärten offen zu halten."
Sukhrajs Tochter ist elf Jahre alt, sie hat viele italienische Freundinnen und indische. Da macht sie keinen Unterschied. Und in der Schule, da ist der Vater ganz stolz, ist sie sehr fleißig: "Sie ist sehr gut in der Schule. Das macht mich glücklich. Ihre Lehrerin sagte mir, dass sie intelligent ist. Deshalb lege ich Geld zur Seite, damit sie dann ein Zimmer hat, wenn sie zur Universität geht. Ich bin froh, dass sie klug ist."
Sukhraj selbst hatte in Indien damals Mathe, Englisch und Wirtschaft studiert. Er fand aber in seiner Heimat keinen Job. Deswegen ist er über Frankreich und Deutschland hierher nach Italien gekommen. Auch im Moment sind Tausende Menschen auf der Flucht. Sukhraj hofft für sie, dass auch sie einen Job finden, um nicht auf die schiefe Bahn abzurutschen. Er ist dankbar, dass er ganz offiziell einreisen konnte nach Europa. Dass er einmal zum Retter der italienischen Landwirtschaft würde, hatte er sich damals nicht träumen lassen.
Autorin: Ellen Trapp, ARD Rom
Stand: 12.07.2019 07:42 Uhr
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