So., 21.01.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Jemen: Huthi-Miliz als Machtfaktor am Roten Meer
Vor drei Jahren floh Soraya Anes mit ihren vier Kindern vor den Huthi ins Gebiet der sogenannten international anerkannten Regierung. Dort leben sie in einem Camp für Geflüchtete. Ein paar Bretter, eine Plane, das ist ihr Zuhause. Sorayas Kinder dürfen nicht in die Schule, es gibt kein fließendes Wasser, keine Decken, keine Toiletten. Wie Soraya leiden Millionen Jemenitinnen und Jemeniten unter den Auswirkungen des seit neun Jahre andauernden Krieges. Nun kommt der nächste Konflikt im Jemen noch hinzu. Die Huthi greifen weiter Handelsschiffe im Roten Meer an, das US-Militär attackiert Huthi-Stellungen. Für die Huthi gleichen die Bombardierungen einem Ritterschlag. In großen Teilen der islamisch-arabischen Welt werden sie nun als Schützer der palästinensischen Sache gefeiert, von Zehntausenden auf den Straßen der Hauptstadt Sanaa, aber auch von vielen Jemeniten, die jahrelang gegen die Huthi gekämpft haben. Von Deeskalation im Roten Meer keine Spur.
Zu diesem Thema auch der Weltspiegel Podcast. "Wie überleben im Jemen?". Joana Jäschke unterhält sich mit Ramin Sina und Serkan Eren von der Hilfsorganisation Stelp, ab Samstag in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt. Redaktion: Steffi Fetz
"Sie behandeln uns wie Hunde"
Kindliche Unbeschwertheit kommt nur selten auf in diesem Camp für Geflüchtete bei Seiyun. Ein paar Jungs spielen Fußball, ihr Kickplatz gleicht eher einer Müllhalde. Es ist ein Camp im Zentrum des Jemen, etwa 120 Familien leben hier. Sie alle sind geflohen vor den Huthi. Im Krieg, der seit neun Jahren andauert. Auch Soraya Anes hat einen steinigen Weg hinter und vor sich. Sie geht Wasser holen. Campbewohner haben ein paar Kanister abgefüllt. Für Soraya die einzige Möglichkeit an Trinkwasser zu kommen. Im Camp kämpfen sie täglich ums Überleben, erzählt sie. "Wir haben hier weder Toiletten noch fließendes Wasser, kein Essen, keine Decken, keine Betten, wir haben gar nichts. Und wenn es regnet, sind wir klatschnass und sitzen im Wasser."
Mit ihren vier Kindern wohnt Soraya in einem Zelt – das kaum den Namen verdient. Ihre Heimatstadt Hodeida, aus der sie vor drei Jahren floh, ist in diesen Tagen in den Nachrichten, wird bombardiert vom US-Militär. Doch davon kriegt sie kaum etwas mit. Zu groß sind die eigenen Probleme. "Niemand hat uns geholfen, auch hier nicht, unsere Kinder dürfen nicht mal zur Schule gehen. Wir haben keine Ausweise, nichts. Sie behandeln uns wie Hunde." Und Khaled Al-Saghir, ebenfalls aus Hodeida geflohen, ergänzt. "Wir hoffen, dass die Kriege aufhören und es uns bald besser geht. Uns geht es sehr, sehr schlecht, die Umstände sind sehr hart. Aber nicht nur bei uns, im ganzen Jemen."
Die Huthi demonstrieren Stärke
Zu allem Übel ist nun ein weiterer Kriegsschauplatz hinzugekommen. Die Hauptstadt Sanaa, hier herrschen die Huthi. Aktuell gibt es akute Bombengefahr. Die Huthi sind Zaiditen, eine schiitische Gruppierung mit eigener theologischer Lehre. Beim Freitagsgebet schwört ein Prediger die Anhänger ein, nicht zurückzustecken trotz der Bombardierungen der Amerikaner. Auch Sheikh Hassan Abdallah gehört den Huthi an. Das jemenitische Volk sei nicht so schnell zu brechen, meint er. "Die US-Angriffe werden uns nicht beeinträchtigen. Wir sind widerstandsfähig und haben neun Jahre lang Luftschläge überstanden. Im Gegenteil, sie haben uns noch stärker gemacht."
Seit drei Monaten freitags der immer gleiche Ablauf. Nach dem Gebet – Massendemonstration. Wie Hassan Abdallah muss jeder Huthi, der als Aufrechter Unterstützer seiner Gruppierung wahrgenommen werden will, sich hier blicken lassen. Zehntausende solidarisieren sich mit Gaza und skandieren gegen die USA und gegen Israel. Die Botschaft, die sie aus dem Norden des Jemen in die Welt senden wollen: "Wir lassen uns nicht einschüchtern, auch nicht von Großmächten."
Dieses Bild ging um die Welt. Die Huthi attackieren und entführen Handelsschiffe im Roten Meer. Von den USA wurden sie nun auf die Terrorliste gesetzt. Ein Ziel der Huthi: den Handel um den israelischen Hafen Eilat lahmlegen. Ihre Forderung: ein Waffenstillstand in Gaza. Ihr Kalkül: sich als Beschützer der palästinensischen Sache feiern lassen. "Sind tausende Kinder und Frauen in Gaza Terroristen?", fragt Huthi-Scheich Hassan Abdallah. "Oder sind diejenigen die Terroristen, die sie töten?"
Solidarität der Huthi mit den Palästinensern
Zurück in Seiyun. Kein Huthi-Gebiet, hier stand man der Miliz jahrelang feindselig gegenüber. Doch im Konflikt mit den USA überdenken nun einige ihre Haltung zu den Huthi. Die Bilder der amerikanischen Kampfjets im Fernseher des Straßencafés sorgen für reichlich Gesprächsstoff.
Traditionell bewegt die palästinensische Sache die Menschen im Jemen. "Wir haben nichts gegen Attacken auf israelische Schiffe", sagt Hassan Omar, "aber Schiffe von anderen Ländern sollten in Ruhe gelassen werden." Und Bashir Al-Hemdani meint: "Schon unsere Großväter waren für Gaza und so sind es auch wir. Wir halten zu jedem, der Israel angreift."
Kampfansagen mit denen die Kriegsgeflüchteten im Camp bei Seiyun wenig anfangen können. Sie wollen Frieden, Essen, Trinken. Soraya wünscht sich ein richtiges Dach über dem Kopf und träumt davon eines Tages in ihre Heimat Hodeida zurückkehren zu können. Es brauche doch eine Perspektive für die Jüngsten. "Oh könnten wir nur neue Ausweise bekommen, unsere Kinder zur Schule schicken. Ich wünschte wir könnten vieles unseren Kindern ersparen." Diesen Wunsch vieler Jemenitinnen und Jemeniten hören die fernen Kriegsparteien nicht, sind nicht bereit einzulenken. Und so kommt Unbeschwertheit bei den Kindern des Jemen nur selten auf.
Autor: Ramin Sina, ARD-Studio Kairo
Stand: 21.01.2024 22:45 Uhr
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