So., 06.10.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Jemen: Vereint gegen Israel
"Tod für Amerika, Tod für Israel." Ein überdimensional großes Schild am Eingang der Altstadt von Sanaa verrät schnell, auf welcher Seite die aufständischen Huthi im Nahostkonflikt stehen. Die Huthi schießen seit Monaten aus 2.000 Kilometer Entfernung Richtung Tel Aviv, und Israel fliegt Luftangriffe auf ihre Stellungen. Jeder ausländische Angriff scheint für die Huthi wie ein Ritterschlag. Sie, die einst unterschätzten, werden wahrgenommen als einflussreicher Akteur im Nahen Osten. Sie scheinen derzeit die einzige mit Iran gegen Israel verbündete Gruppe, die noch kaum etwas ihrer militärischen Stärke verloren hat.
Viel Unterstützung für die Palästinenser im Jemen
Sanaa, die Hauptstadt des Jemen, mehr als 2.500 Jahre alt. Hier herrschen seit einem Jahrzehnt die aufständische Huthi, um ihren Anführer Abdelmalik. Erstmals reise ich ins Huthi-Gebiet, längst mehr als nur Nebenschauplatz im Nahostkonflikt. Das Stadtbild verrät, auf welcher Seite sie stehen. Getötete Hamas-Führer gelten hier als Märtyrer, israelische Politiker als Kindermörder. "Tod für Amerika und Israel. Verdammt seien die Juden." So steht es am Eingang der Altstadt. Einst lebten Juden, Christen und Muslime hier über Jahrhunderte friedlich zusammen. Heute undenkbar. Die Bereitschaft der Bevölkerung für einen Krieg gegen Israel ist groß. "Unser ganzer Eifer für die Unterstützung der Palästinenser ist instinktiv, tief drin in uns Jemeniten", sagt Mohammad al-Surmi. "Jeder Jemenite steht hinter seinen arabischen Brüdern, hinter jedem in der arabischen Welt."
In keiner anderen Stadt der Region gehen Woche für Woche so viele Menschen auf die Straßen wie hier. Die Huthi mobilisieren Zehntausende. Demos Pro Palästina, gegen Israel. Am Freitag in Solidarität mit der libanesischen Hisbollah, in Gedenken für den getöteten Anführer Hassan Nasrallah. Die Huthi haben den Nahostkonflikt ins Rote Meer gezogen. Es ist weiterhin kein westlicher Tanker vor ihren Angriffen sicher. Ihre Drohnen und Raketen erreichen trotz 2.000 Kilometer Entfernung Tel Aviv. Gegenbeschuss auf den Jemen nehmen sie in Kauf. Die Verbündeten um Israel antworten immer wieder heftig, fliegen Luftangriffe auf das Huthi-Gebiet, zuletzt das US-Militär am Freitag.
"Wir sind seit 10 Jahren den Krieg gewohnt, wurden erst von Saudis und Emiratis bombardiert, dann von den USA, den Briten, nun von Israel", meint Deif Allah Al-Shami, Ex-Informationsminister der Huthi. "Krieg ist für uns zu einer Art Kunst geworden, zu einem Wettbewerb. Wir sehen den Angriffen mit aller Lässigkeit entgegen, diese Bombardierungen machen uns stärker." Mein Eindruck: ihm gefällt die Rollenverteilung. Sie, die unterschätzen Huthi fordern die großen Mächte heraus. Jeder Luftangriff bedeutet internationale Wahrnehmung. "Unsere Operationen werden weitergehen, bis die Angriffe auf Gaza aufhören, bis israelische Truppen sich aus all den Gebieten zurückziehen, in die sie eingedrungen sind."
Trotz Wirtschaftskrise nur verhaltene Kritik an den Huthi
Wir fahren Richtung Norden, in die Berge. Spurensuche, dort wo die Huthi ihren Ursprung haben. Wir bleiben stecken, im Dorf ist Markt, Schafe und Ziegen werden verkauft. Kaum zu glauben, denke ich mir, dass die Huthi, deren Widerstandsbewegung vor 20 Jahren in dieser Gegend im Nordjemen begann, heute weltweit berüchtigt sind. Ihre Hochburg: Saada, nahe der Grenze zu Saudi-Arabien. Der Gouverneur führt uns durch die Altstadt. Er spricht viel über Krieg, zeigt zerstörte Häuser durch Luftangriffe von Saudi-Arabien, ein weiterer Erzfeind der Huthi. Weil Saudi-Arabien und Israel über eine Normalisierung ihrer Beziehungen verhandelt hatten, könnten die Huthi bald auch wieder saudische Ziele ins Visier nehmen. "Die Saudis und die Israelis sind vereint damit die arabische und islamische Welt zu zerstückeln", so Mohammad Awad, Gouverneur von Saada.
Das Reich der Huthi: geprägt von Kriegen und Feindbildern. Und doch sehen sie sich derzeit an allen Fronten als Sieger. Ob in Saada oder wie hier in Sanaa, im Schatten der Kriege aber leiden Millionen. Unter der Wirtschaftskrise, unter der Drogenkrise – ein Großteil der jemenitischen Männer kaut täglich stundenlang die Aufputschdroge Qat. Wirtschaftlich laufe es miserabel, erzählen sie uns im Bazar. "Die Kaufkraft hat enorm nachgelassen", sagt der Verkäufer Badr al-Mallah. "Jeder Käufer überlegt ganz genau, wie viele Kilos er nimmt, früher haben sie in großen Mengen eingekauft" Angesprochen auf die Huthi verweigern einige vor der Kamera die Aussage. "I will not speak, Stop.”
Nur wenige trauen sich Kritik zu üben. Kurz vor unserer Abreise treffen wir Amin Jumann, einen der einflussreichsten Geschäftsmänner in Sanaa. Er führt den einzigen Reitstall der Stadt, leitet ein modernes Café, braut und verkauft den Nationalstolz der Jemeniten: Kaffee. Seit der Machtübernahme der Huthi sei vieles schwieriger geworden. "Ich antworte ohne Zurückhalten auf die Frage. Früher hatten wir keine Probleme im Handel mit dem Ausland, alles war einfacher und wir hatten überall immer Zugang." Beim Thema Palästina gibt aber auch er sich voll auf Linie mit den Herrschenden. "Wir stehen mit Gaza". Die Huthi untermauern ihre Botschaft weiter mit Angriffen. Auch weil ihr Imagegewinn im arabischen Raum groß ist, bestärkt es die Huthi in ihrer Entschlossenheit.
Autor: Ramin Sina ARD-Studio Kairo
Der Weltspiegel Podcast beschäftigt sich mit dem Thema "Eskalation in Nahost – ein Jahr nach dem Überfall der Hamas auf Israel" Moderation: Philipp Abresch, Redaktion: Steffi Fetz.
Stand: 06.10.2024 23:36 Uhr
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