So., 12.01.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Kambodscha: Ruin durch Mikrokredite
Eigentlich gelten Mikrokredite als Wundermittel gegen Armut. Neuere Studien aber zeigen, die gefeierte Hilfe zur Selbsthilfe hilft weit weniger als angenommen. Und ohne strenge Regeln verkehrt sich der Mikrokredit von der Starthilfe zur Schuldenfalle. In Kambodscha zum Beispiel nutzen Finanzhaie das positive Image, um ihre skrupellosen Geschäfte zu machen.
18% Zinsen für die Mikrobank
An seinen ersten Mikrokredit erinnert sich Nheum Yong jedes Mal, wenn er seine Wasserpumpe anschmeißt. Die hat er sich von dem geliehenen Geld gekauft. 200 US-Dollar, finanziert von einer Bank für Mikrokredite. Die Idee: Mit der Pumpe gäbe es immer genug Wasser auf dem Reisfeld, auch in der Trockenzeit. Eine bessere Ernte und mehr Gewinn. Da hätte er das Geld schnell wieder raus. Eigentlich ein guter Plan. Doch dann fiel der Reis-Preis. Die Rechnung ging nicht mehr auf. Heute ist Nheum Yong pleite, kann das Geld nicht zurückzahlen. "Ich weiß nicht was ich machen soll, ich verdiene einfach zu wenig Geld. Dabei arbeite ich arbeite jeden Tag so hart, ich will meine Familie ernähren. Trotzdem habe ich immer mehr Schulden, ich weiß nicht wie ich da rauskommen soll."
Die Mikrobank hat als Sicherheit für den Kredit sein Land genommen. Wenn Nheum Youg bis Ende des Jahres nicht bezahlen kann, nimmt die Bank ihm sein Reisfeld weg. Nicht weit weg vom Feld steht sein Haus. Hier lebt er mit seiner Frau und den vier Kindern. Noch haben sie Hoffnung und schuften, aber der Schuldenberg wächst. Erst waren es 200 Dollar, dann immer wieder neue Darlehen, um die alte Schuld zu tilgen. Mittlerweile ist er mit bei verschiedenen Mikrokredit-Banken mit 5.400 US-Dollar in den Miesen. Soviel verdient ein Kambodschaner im Schnitt in zwei Jahren. Der Familienvater zeigt uns die Darlehensverträge. 18 Prozent Zinsen, keine Versicherung gegen Ernteausfall. "Das bedrückt mich. Ich fühle mich gehetzt und habe Angst, alles zu verlieren. Wenn ich das vergleiche ging es uns vor dem Kredit viel besser als heute, wir hatten ein besseres Leben."
Finanzhaie und unseriöse Bankberater
So wie ihm geht es vielen hier im Dorf. Und im ganzen Land. Einige haben sich wegen der Schulden das Leben genommen. Fast zwei Millionen Menschen in Kambodscha haben einen Mikrokreditvertrag abgeschlossen. Dazu viele Hunderttausende die sich privat Geld leihen. Die Hauptstadt Phnom Penh. Einst trostloser Moloch im Herzen Kambodschas. Jetzt aufstrebend. Der Lebensstandard steigt. Daran wollen viele teilhaben, und sind leichte Beute für unseriöse Bankberater. Das System der Mikrokredite: pervertiert. Viele Darlehensnehmer: Ausgeliefert den Finanzhaien, meinen diese Menschenrechtler. "Viele Bankberater fragen Kunden überhaupt nicht nach einem Business-Plan", sagt Aum Sam Ath von der Organisation Lichado. "Manche Vertreter schwatzen den Leuten einen Mikrokredit regelrecht auf, denn sie bekommen ja eine Provision. Ungebildete Kreditnehmer verstehen die Kreditverträge nicht. Aber die Unterschrift ist der erste Schritt in die Schuldenfalle."
Ethisch vertretbar sind Mikrokredite nur dann, sagen die Menschenrechtler, wenn das Risiko für die Kreditnehmer gering ist. Ihre Meinung: Bei Mikrokrediten haben Banken eine moralische Verantwortung. Immer neue Mikro-Finanzinstitute entstehen. Gesetzliche Regeln gibt es so gut wie nicht. Die Leittragenden sind die, die sowieso nichts haben.
Was sagt der Bankenverband dazu, der diese Geldgeber in Kambodscha vertritt? "Es gibt viele Angebote für Mikrokredite im Land", meint Dr. Oknha Bun Mony, Verband der Mikrofinanzinstitute Kambodschas. "Und wenn jemand mit den Bedingungen nicht einverstanden ist, dann soll er halt zu einer anderen Bank gehen. Also ich finde, das läuft alles ganz friedlich und wir erleichtern es den Menschen, ein Business zu eröffnen." Friedlich? Auf der Fähre über den Mekong zurück ins Dorf. Einige Moped-Fahrer sind Inkassovertreter, die mit Nachdruck im Auftrag der Banken das Geld eintreiben. "Erinnerungs-Termine" nennen sie das.
Nicht alle versinken im Schuldensumpf
Dass Mikrokredite auch funktionieren können, auch in Kambodscha, zeigt sich im selben Dorf, nur ein paar Schritte entfernt vom Reisbauern. Hier betreibt Srey Mol ihren Baumarkt. Sie verkauft Reissamen, Dünger, Handwerkerbedarf. Angefangen hat auch sie mit einem Kredit von 200 Dollar. Die Idee ganz schlicht: Obst und Gemüse billig kaufen – und teurer wieder verkaufen. "Ich hatte Angst, dass ich nicht alles zurückzahlen könnte", erzählt die Geschäftsfrau Srey Mol. "Für mich war das viel Geld, und dann noch die Zinsen!"
Aber bei ihr klappte es. Der Laden brachte ein geregeltes Einkommen – eine der Voraussetzungen, sagen Experten, damit Mikrokredite funktionieren. Sie konnte den Kredit zurückzahlen, das nächste Darlehen war schon höher: 500 Dollar. Erst als das abbezahlt war, leiht sie neues Geld. Schon wieder bestellt sie neue Ware, die Nachfrage ist groß. "Ich habe das auch den Mikrokrediten zu verdanken. Mit dem Geld konnte ich viel schneller wachsen, sonst wäre ich immer klein geblieben." Jetzt verkauft sie sogar selbst manchmal Produkte auf Pump, und stellt die Zinsen in Rechnung. "Money makes money" sagt sie jetzt selbstbewusst. Mit Geld verdient man Geld. Reisbauer Nheum Yong sieht die andere Seite. Er versinkt im Schuldensumpf. Keiner hilft ihm und so werden seine Versuche wieder Gewinn zu machen immer verzweifelter: Ein gebrauchtes TucTuc. Damit will er Taxi fahren. Vielleicht hat er damit ja mehr Glück. Er kämpft und hofft.
Autor: Florian Bahrdt, ARD Singapur
Der Podcast zu diesem Thema "Schattenseite der Mikrokredite" ist ab Sonntagmorgen auf der ARD-Audiothek, auf iTunes und Spotify abrufbar.
Stand: 12.01.2020 20:52 Uhr
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