Mo., 23.11.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kanada: Straße der Tränen
Brenda Wilson hat auf dem, Highway Nummer 16, dem Highway of Tears, ihre Schwester Ramona verloren. Gut 20 Jahre ist das her. Aber bis heute hat sie ihren Tod nicht überwunden. Wir begeben uns mit ihr auf eine Reise zurück in den Schmerz, in die Wut und in die Schuld: "Ich bin nach dem Tod meiner Schwester völlig zusammengebrochen. Ich bin damals zur Alkoholikerin geworden , ich fühlte mich mitschuldig. Ich habe sie doch mit großgezogen und nun hatte ich nicht genügend auf sie augepasst", sagt Brenda Wilson.
Polizie reagierte nicht
Am 11. Juni 1994 war Ramona Wilson von zu Hause aufgebrochen, um im Nachbarort tanzen zu gehen. Öffentliche Verkehrsmittel gab es an dem Highway 16 nicht, sie gibt es bis heute nicht. Also trampte sie. Was dann geschah, ist bis heute nicht aufgeklärt. Der Grund dafür könnte an ihrer Hautfarbe liegen. Ramona ist eine von 43 Frauen, die auf dieser Strecke verschwunden sind, fast alle diese Frauen waren nicht weiß , sie waren Kinder aus First-Nation-Familien, so nennen die Kanadier ihre Ureinwohner.
Es hatte damals Tage gedauert, bis die Polizei die Vermisstenanzeige im Fall Ramona ernst nahm. "Als wir die Polizei alarmiert haben, da haben die einfach nicht reagiert, da gab es keine klaren Vorschriften, wie sie mit Vermisstenanzeigen umzugehen haben", erzählt Brenda Wilson.
Mordrate vier Mal höher als bei weißen Frauen
Ortswechsel. Vancouver – 100 brechen zum Protestmarsch auf, so wie jedes Jahr. Überall im Land marschieren sie und halten die Bilder der ermordeten und vermissten Frauen hoch. Der Highway of Tears ist überall in Kanada: In den letzten 25 Jahren sind 1.181 Frauen von den First Nations verschwunden , die Mordrate liegt bei ihnen vier Mal höher als bei weißen Frauen und die Aufklärungsrate der Polizei geht gegen Null. "Das Vertrauen zwischen uns und der Polizei ist zerstört – seit langem und es wird sehr lange dauern, bis dieses Vertrauen wiederhergestellt ist", sagt Brenda Wilson.
Sie bringt uns zu ihrer Mutter Matilda. Sie lebt heute in ärmlichen Verhältnissen. Sie hat die Gedichte herausgeholt, die Ramona als junges Mädchen geschrieben hatte . Die Wände sind gespickt mit Erinnerungen an die verlorene Tochter. Ramona war außergewöhnlich klug, sie wollte Psychologie studieren. Ihre Mutter – ein Leben lang alkoholkrank – hatte die Erziehung weitgehend Brenda , der zwölf Jahre älteren Schwester, überlassen Die Gedichte bringen den Schmerz wieder hoch, und die Erinnerung, dass Ramona damals darum gebeten hatte, mit dem Auto zum Tanzen gebracht zu werden und keiner Zeit für sie hatte. "Sie war so fröhlich und lebensfroh, mit ihr ist die Freude aus unserem Leben verschwunden", sagt Matilda Wilson. Am Flughafen von Smithers, unweit der Stelle, wo sie verschwunden war, fand man acht Monate später ihre Leiche. Die Polizei, mit den vielen Mordfällen an dem Highway Nummer 16 völlig überlastet, stellte die Ermittlungen bald ein.
Überforderte und rassistische Polizei
Ray Michalko war lange Jahre Polizist. Heute ist er Privatdetektiv. Das offensichtliche Versagen bei der Aufklärung der vielen Mordfälle an jungen Frauen ließ ihm keine Ruhe . Er fing an, selber zu ermitteln und stieß auf den erbitterten Widerstand bei den alten Kollegen. Die Polizeiführung, so sagt er, sei überfordert und rassistisch: "Mathilda Wilson hat einmal gesagt, wie hätte die Polizei ermittelt, wenn die Tote blauäugig und blond gewesen wäre und sie hat leider vollkommen recht. Das ging von ganz oben in der Polizeiführung aus."
Brenda ist den Highway 16 entlang gelaufen – immer wieder als Therapie. Sie hat ihre Alkoholkrankheit überwunden, sie ist zu einer Aktivistin geworden, Sie hält die Erinnerung an ihre ermordete Schwester und all die anderen Opfer wach. Vielleicht gibt es ja doch noch Spuren, die zu den Tätern führen. Und deshalb arbeitet sie heute direkt mit der Polizei zusammen, besucht die Familien der Opfer und baut Brücken. Das Mißtrauen dort sitzt tief, die Erfahrungen schmerzen. Aus Sicht der First-Nation-Familien agiert die Polizei seit Jahrzehnten offen rassistisch
"Wir haben und geändert"
"Ja, wir haben Fehler gemacht und dafür sollten wir uns entschuldigen. Die Familien sollten wissen, kein Mordfall verjährt. Wir haben uns geändert und sind heute für sie da. Eine Entschuldigung wäre ein erster, ein großer Schritt , um das Verhältnis zu verbessern", sagt Polizist Jason Gilles.
Ramona liegt in Smithers begraben – unter Apfelbäumen Mathilda und Brenda halten ihr Andenken aufrecht . Der Tod der Schwester hat Brendas Leben eine Richtung gegeben . Er hat sie zu einer Kämpferin gegen Gewalt und Rassismus gemacht: "Das bin ich meiner Schwester schuldig, stark zu sein. So kann ich den Schmerz überwinden, in dem ich zeige, zu was ich fähig bin."
Autor: Markus Schmidt, ARD-Studio New York
Stand: 10.07.2019 03:56 Uhr
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