Mo., 29.08.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Katar/Nepal: Die ausgebeuteten Wanderarbeiter
Freitagabend in Doha. Endlich Freizeit für Dambar Rai nach sechs langen Arbeitstagen. Seine Frau ist 4000 Kilometer weit weg – in Nepal.
"Ich denke die ganze Zeit an meine Familie. Sie fehlt mir sehr. Egal wie gut es dir geht, ohne Familie ist es immer schwer – und einsam!", sagt Dambar.
Sagt’s und lächelt. Das tut Dambar Rai, auch wenn er Geschichten erzählt, die eher nach Weinen klingen. "Als ich in Nepal in der 10. Klasse war, ist mein Vater gestorben. Ich wollte eigentlich Lehrer werden. Aber ich konnte das College nicht zu Ende machen. Ich musste meine Mutter unterstützen und meinen Geschwistern ein Studium finanzieren", erzählt Dambar. "Ich habe dann beschlossen, ins Ausland zu gehen. Viele Nepalesen sind gegangen um ihren Familien zu helfen. Ihnen habe ich mich angeschlossen."
Nur wer den Akkord schafft darf bleiben
Mit dem ersten Job in Dubai hat er Geld für einen Führerschein gespart. Seither fährt er Taxi. Erst in Saudi-Arabien, seit drei Jahren in Katar. 11 Stunden am Tag.
"Ich verdiene 2000 Rial im Monat, davon spare ich, so viel ich kann, bis zu 1800 Rial", sagt Dambar. Umgerechnet 450 Euro, schickt Rai nach Nepal, nahezu den gesamten Monatslohn. Im Vergleich zu anderen Arbeitsmigranten verdient er gut – allerdings nur, wenn er den Akkord schafft. "Wir müssen am Tag mindestens 265 Rial Umsatz machen, also 66 Euro, wenn es einen Tag nicht zusammen kommt, müssen wir das am nächsten Tag ausgleichen. Am Ende des Monats rechnet die Firma den Verdienst zusammen. Wenn du den Umsatz nicht bringst, wirst du beobachtet. Nach drei Monaten beenden sie deinen Vertrag und schicken dich nach Hause", schildert es Dambar.
Vom glitzernden Luxus des Golfemirats sieht Rai nur die Fassade. Er spart jeden Cent für die Familie zuhause. Rai hat vor vier Jahren geheiratet und ist Vater geworden. Zur Geburt der Tochter war er einige Monate in Nepal. Wie sie aufwächst, sieht er nur auf Fotos. Bald will er auf Besuch nach Hause fahren – erstmals seit drei Jahren.
"Wenn ich jetzt mit meiner Familie zusammen sein könnte, das wäre wunderbar. Ohne sie bin ich so einsam und verloren. Ich weiß eigentlich gar nicht, wo ich bin", sagt Dambar.
Der erste Besuch zu Hause seit drei Jahren
Drei Monate später in Ilam, Nepal. 45 Stunden war Rai unterwegs von Doha bis in sein Heimatdorf – Flugzeug, Bus und das letzte Stück zu Fuß.
"Meine Tochter hat mich erst nicht erkannt. Nach drei Tagen hat sie dann verstanden, wer ich bin, und ist zu mir gekommen", sagt Dambar.
Ilam liegt im äußersten Nordosten Nepals. Tee und ein bisschen Landwirtschaft – viel mehr gibt es hier nicht. Viele junge Männer sind weggegangen – um im Ausland Geld zu verdienen, das sie der Familie nachhause schicken.
Dambar Rais Familie bereitet die Hochzeit seines jüngsten Bruders vor. Das ist der Grund für Rais Heimaturlaub. Er bezahlt das Fest in seinem Haus. "Wir haben dieses Haus vor vier Jahren gebaut. Ich habe das Geld dafür aus dem Ausland geschickt", erzählt Dambar.
Rais Haus hat fünf Zimmer, das ist viel im Vergleich zu den Nachbarn. Er hat es außerdem erdbebensicher bauen lassen. Er ist jahrelang weg. Seine Frau Manisha und Tochter Arya sollen sicher leben.
Auch der Bruder arbeitet im Ausland
Am nächsten Tag ist die Hochzeit, Rai übernimmt die Rolle des früh verstorbenen Vaters.
"Ich bin glücklich. Die ganze Familie, Gäste und Verwandte sind gekommen. Und der Monsoon ist gnädig heute – kein starker Regen", sagt er.
Auch der Bräutigam verdient sein Geld im Ausland. Er arbeitet in Singapur, als Söldner der Armee. Seine Braut wird ihn nach der Hochzeit dorthin begleiten. Sie feiern hier also auch ein Abschiedsfest.
Dambar Rais Familie darf nicht zu ihm nach Katar ziehen – sein Gehalt ist zu niedrig für ein Visum. In wenigen Tagen wird er abreisen und so bald nicht wiederkommen.
Ein Abschied für unbestimmte Zeit
Am nächsten Morgen ahnt Tochter Arya, dass sie den gerade gewonnenen Vater bald wieder verlieren wird.
"Für unsere Tochter wäre es besser, wenn Mutter und Vater zuhause wären. Sie fragt ihren Vater, wohin gehst du? Ich habe ihr weisgemacht, dass Papa nur kurz auf den Markt fahren wird und dann wieder kommt", sagt Manisha, Dambars Ehefrau.
Dambar sagt: "Ich bleibe vielleicht noch zwei Jahre im Ausland. Dann möchte ich hier was aufbauen, ein Hotel vielleicht. Was genau ich in der Zukunft mache, hängt davon ab, wie bis dahin hier die Lage ist."
Und Manisha meint: "Mir wäre es lieber, wenn er hier bliebe. Aber hier gibt es keine Jobs. Unsere Tochter soll in die Schule gehen. Wir haben nur eine Zukunft, wenn er im Ausland arbeitet."
"Die zwei Wochen sind vergangen wie zwei Tage… ich bin traurig, weil ich meine Familie verlassen werde. Aber ich muss gehen, ich muss ja arbeiten!", sagt Dambar.
Ein Film von Esther Saoub
Stand: 12.07.2019 15:23 Uhr
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