Mo., 12.12.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kenia: Slum-Upgrade
Umzugstag im Slum Kibera. Alles wird eingepackt – in Plastiktüten. Umzugskartons kann Patrick Kiluzu sich nicht leisten. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen drei Kindern hat Patrick Kiluzu 10 Jahre in Afrikas größtem Slum gelebt. Doch jetzt zieht er um in eine richtige Wohnung – gleich gegenüber. "Kibera" ist ein Synonym für Müll. Für Kriminalität, für unwürdige Lebensbedingungen. Aber auch für soziales Leben, für Solidarität, für Nachbarschaft. "Ich habe gemischte Gefühle, hier wegzugehen. Die Nachbarn dort drüben sind Fremde. Da kann man nicht einfach so vorbeischneien, so wie wir es gewöhnt sind. Ich bin froh umzuziehen, es ist aber auch eine Herausforderung. Mit der Zeit werden wir schon Freunde finden." "Slum-Upgrading" nennt sich das Wohnungs-Projekt der kenianischen Regierung, frei übersetzt: unser Slum soll schöner werden.
Einige Monate zuvor: In Mathare, einem anderen Slum, sind die Straßen zum ersten Mal asphaltiert. Die Menschen in den grünlichen T-Shirts arbeiten im Auftrag der Regierung – auch dieses Armenviertel soll endlich besser werden. Geplant sind eine Krankenstation, eine Polizeiwache und eine Hühnerfarm. Die Helfer bekommen etwa drei Euro am Tag. Mehr als die meisten sonst in diesem Viertel verdienen. Auch die Gemüseplantage ist neu. Clarice Akinyi hat Sozialwissenschaft studiert, findet aber keine passende Anstellung. Jetzt pflanzt sie Gemüse in platzsparende Säcke. Finanziert wird das Ganze von keiner der üblichen Hilfsorganisationen, sondern ebenfalls von der kenianischen Regierung. "Es ist absolut außergewöhnlich. Wer auch immer sich das, was wir hier machen, ausgedacht hat, ist der beste in Afrika. Ich habe noch von keinem anderen Land gehört, das so etwas macht." Das erntefrische Gemüse verkaufen sie – den Erlös bekommen sie zusätzlich zu dem, was die Regierung ihnen zahlt. Zu schön, um wahr zu sein?
In Kibera ist Patrick Kiluzu weiter mit seinem Umzug beschäftigt. Wo jetzt schöne neue Häuser sind, standen früher auch Wellblechhütten. Die Bewohner wurden umgesiedelt und jedem eine Eigentumswohnung versprochen. Dafür mussten sie jeweils mehr als 1.000 Euro Anzahlung leisten. Wer das geschafft hat, ist stolz. "Das Leben ist anders", meint Anna. "Wir klopfen jetzt nicht mehr, wir klingeln. Das höre ich und dann heiße sie herzlich willkommen." Anna Wanjiru wohnt seit einer Woche in ihrer neuen Wohnung. Sie hatte Glück. Für ihre fünfköpfige Familie hat sie eine Dreizimmerwohnung ergattert. Und zum ersten Mal in ihrem Leben eine richtige Küche. "Vorher hätten Sie geweint, wenn sie mich besucht hätten. Ich habe auf einem kleinen Öfchen vor der Hütte gekocht, aber jetzt habe ich einen Gasherd, ich habe Wasser, ich habe ein Regal für meine Sachen. Ich fühle mich einfach nur gut."
Soweit ist Patrick Kiluzu noch nicht. Sein Hab und Gut muss er erst in den 5. Stock wuchten. Die neue Wohnung sieht schon ein wenig mitgenommen aus. Wasserschaden. Es soll repariert werden, nur wann? So lange wollte Patrick nicht warten. Bei der Verteilung der Wohnungen fühlten sich viele Slumbewohner hintergangen. Einige Apartments wurden unter der Hand verschachert. Nur eine von vielen Korruptionsgeschichten aus Kenia. "Wir dachten zuerst, auch unser Geld würde in irgendwelchen Taschen verschwinden", sagt Patrick Kiluzu. "Anfangs haben wir das mit Sparen nicht ernst genommen, nur hier mal ein bisschen zur Seite gelegt oder da. Letztlich hat es ewig gedauert, bis wir die Anzahlung zusammen hatten." Nämlich 10 Jahre für etwa 1.200 Euro. Manche haben das Geld noch immer nicht und hoffen darauf, dass es im nächsten Apartmentblock eine Wohnung für sie gibt. Denn bald, so der Plan der Regierung, soll ganz Kibera so aussehen.
Ein Dreivierteljahr nach unserem ersten Besuch in Mathare. Die Gemüseplantage sieht inzwischen traurig aus. Nach einem Korruptionsskandal in der zuständigen Behörde hat die kenianische Regierung die Zahlungen für dieses Slum-Verschönerungs-Programm eingestellt. Nur ein paar Jungs aus dem Viertel kümmern sich um die restlichen Pflanzen. Clarice Akinyi arbeitet nicht mehr auf der Gemüseplantage. Sie reinigt jetzt Straßen. Dafür hat sie monatelange kein Geld bekommen, jetzt gibt es gerade wieder welches. Mit Kritik an der Regierung ist sie trotzdem vorsichtig. "Die Regierung hat mir schon geholfen, auch wenn es nur wenig ist. Aber ich habe immerhin etwas, anstatt morgens ohne alles aufzuwachen." Die Gebäude für die Polizeiwache und die Krankenstation stehen leer. Und auch aus der Geflügelfarm wurde nichts. Die Hoffnungen auf ein besseres Leben haben sich hier in Mathare nicht erfüllt. "Ich wünsche mir vom kenianischen Staat, dass wir eingebunden werden in die Entscheidungsprozesse. Wir wollen mit der Regierung zusammenarbeiten und wir wollen, dass jeder einzelne hier beteiligt wird."
Die Menschen in den Slums leiden besonders unter korrupten Politikern oder Beamten, wenn Geld versickert oder leere Versprechungen gemacht werden. Das Slum-Verbesserungs-Programm ist ein besonders bitteres Beispiel. Doch Patrick Kiluzu ist erstmal froh. "Jetzt schaue ich auf Kibera." Für ihn eine ganz neue Perspektive auf den größten Slum Afrikas.
Stand: 13.07.2019 11:11 Uhr
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